Das neue Bildungs- und Forschungsinstitut ist ein Kind des „Petersburger Dialogs“, der die deutsch-russische Zusammenarbeit in alle Gesellschaftsbereiche ausdehnen soll: Erst im letzten Juni vereinbarten die Chefs der beiden Bahnkonzerne im Beisein von Medwedew und Merkel die gemeinsame Trägerschaft für die Einrichtung.
Nun trafen sich RZD-Präsident Wladimir Jakunin und Deutsche-Bahn-Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube erneut, um ihr Kind offiziell aus der Taufe zu heben – und um die weitere Kooperation zu besprechen.
Das neue „Center for International Logistics and Supply Chain Management“ (einen deutschen Namen dafür gibt es offenbar nicht, selbst Grube sagte dies auf englisch) ist an der elitären Management-Hochschule der Petersburger Staatsuniversität angesiedelt.
Wiesbadener Privat-Uni als Partner
Als weitere Hochschul-Partner sind die renommierte „European Business School“ (EBS) aus Wiesbaden sowie die Petersburger Eisenbahnuniversität an Bord. Die deutsche Privathochschule wird ihr Know-how im Logistik- und Versorgungsketten-Management einbringen, die ortsansässige Bahn-Uni fungiert hingegen als das technische Kompetenzzentrum.
Die beiden Bahngesellschaften haben sich verpflichtet, in den ersten fünf Jahren das Institut mit jeweils 248.000 Euro pro Jahr zu fördern, womit die Professoren bezahlt werden sollen. Dafür gehen DB und RZD auch in den Untertitel des Institutsnamens ein.
Ab September sollen etwa 25 bis 30 Studenten – und mit den Jahren einmal 180 bis 300 – hier in die Geheimnisse des Lieferkettenmanagements eingeweiht werden. Neben der Heranbildung kompetenten Führungs-Nachwuchses soll das neue Zentrum für die beiden Bahngesellschaften auch ein Partner für wissenschaftliche Begleitung und Forschungsaufgaben werden. „Hier soll anwendungsnah geforscht werden und Innovationen vorangetrieben werden“, so DB-Chef-Grube.
Russische Beteiligung an DB ist vom Tisch
Die ersten beiden “Vorlesungen“ hielten die beiden Bahnchefs am Eröffnungstag deshalb gleich selbst, wobei sie einige Ansätze durchblicken ließen, wie sich die beiden Bahnkonzerne langfristig auch auf anderen Feldern näher kommen können. Eine Beteiligung der RZD an der DB schloss Grube aber aus: „Das war ein Thema vor der Weltwirtschaftskrise, momentan gibt es wichtiger Dinge.“
VW-Containerzug nach Kaluga als Vorbild
So soll laut Grube ein deutsch-russisches Joint-Venture für die logistisch perfekte Abwicklung von Chemiegut-Transporten organisiert werden. Vorbild dafür soll die von DB- und RZD-Töchtern gemeinsam gemanagte Versorgungskette für das VW-Werk in Kaluga sein: Per Containerzug bekommt diese neue russische Autofabrik von verschiedenen Volkswagen- und Skoda-Standorten seinen Bauteil-Bedarf angeliefert.
Die Deutsche Bahn will sich auch an der Schaffung des neuen großen „Transport- und Logistikzentrums“ (TLZ) „Bely Rast“ an der Moskauer Ringautobahn beteiligen – in welcher Form verriet Grube aber nicht. Laut Jakunin müssen hier 20 Mrd. Rubel (500 Mio. Euro) investiert werden – dafür entsteht aber auch ein hochmodernes Güterumschlags- und Umpack-Areal mit 91.000 Quadratmeter Lagerflächen und einer Kapazität von 290.000 TEU (Standard-Containern) im Jahr.
RZD will Lagerhaus-Struktur umkrempeln
Damit sich die russische Staatsbahn vom reinen Gütertransporteur zu einem echten Logistikdienstleister entwickelt, müssten aber 50 derartige Zentren im ganzen Land und vor allem in der Nähe der Häfen entstehen und dann mit Blockzügen mit Personenzug-Geschwindigkeit miteinander verbunden werden, so Jakunin. Ein weiterer TLZ-Standort im Aufbau sei Schuschary am Petersburger Stadtrand. Nischny Nowgorod, der neue Ostseehafen Ust-Luga und Murmansk werden folgen, so Jakunin.
Aktuell ist es hingegen um die Qualität der Logistik-Infrastruktur im russischen Bahnimperium noch traurig bestellt, gestand der Bahnchef: 80 bis 90 Prozent der ihr zur Verfügung stehenden Lagerhauskapazitäten müssten in die niedrigsten Klassen C und D eingeordnet werden – „und das auch nur, weil es keine weiteren Buchstaben in dieser internationalen Klassifizierung gibt.“
Nicht nur die unterschiedliche Spurweite trennt noch
Auch wenn die beiden Bahnchefs mehrfach beteuerten, wie gut sie sich persönlich verstehen und wie wichtig das ist, um gemeinsam gutes Business zu machen und überhaupt, im Bahnverkehr müsse man ja immer die Interessen des Nachbarn berücksichtigen – die Petersburger Veranstaltung verdeutlichter doch auch, wie weit die beiden Konzerne im Selbstverständnis noch auseinander liegen.
So erklärte Russlands Ober-Eisenbahner Jakunin den Straßengüterverkehr und die Seeschifffahrt kurzerhand zu „Hauptkonkurrenten“ – während sich Grube in Hinblick auf sein Logistik-Tochterunternehmen DB Schenker den Hinweis nicht verkneifen konnte, es ginge in dieser Disziplin doch um die geschickte Integration aller Transportarten.
Deutsches Grün-Sprech und russischer Kader-Gehorsam
Grube stieß hingegen unter den RZD-Kadern im Saal auf völlige Ratlosigkeit bis mühsam unterdrücktes Unverständnis, als er von der CO2-Optimierung seines Unternehmens, "grünen Produkten" und gar dem aktuellen Angebot von „CO2-neutralen Bahntransporten“ für um ihre Umweltbilanz besorgte Kunden referierte.
Dafür wunderten sich die deutschen Gäste sichtlich, warum die russischen Bahnmitarbeiter zu Beginn der Veranstaltung alle aufstanden. Sollte etwa eine Nationalhymne gesungen werden? Wie sich zeigte, war dies nur eine rituelle Ehrbezeugung gegenüber dem eintretenden Unternehmenschef. Aber auch derartige interkulturelle Verständnisprobleme sollen nun zwischen DB und RZD tatkräftig ausgeräumt werden:
Als weiteres gemeinsames Investment ins Management-Knowhow haben die beiden Bahngiganten vereinbart, schon im zweiten Halbjahr 2010 erstmals jeweils 20 junge Führungskräfte zu Praktika in das Partner-Unternehmen zu schicken.