„Die biochemische Forschung wird mit diesem Projekt zu einer ‚Archäologie des Lebens'", sagt Prof. Dr. Birte Höcker, Lehrstuhl für Biochemie, die das Vorhaben an der Universität Bayreuth koordiniert. Zugleich betont sie, dass es dabei nicht allein um den Blick zurück ins Laboratorium der Evolution geht, sondern auch um Perspektiven für die Zukunft. „Wenn man weiß, wie das Prinzip der Neuverwertung zu neuen Proteinfunktionen geführt hat, lassen sich diese Erkenntnisse auf das gezielte Design funktionaler Proteine und Proteinsysteme anwenden. Diese biotechnologischen Innovationen können beispielsweise der Biomedizin oder der Landwirtschaft zugutekommen und insgesamt das Leben auf der Erde verbessern helfen. Wir freuen uns auf das von der Volkswagen-Stiftung geförderte Vorhaben, insbesondere auf die Kooperation mit unseren israelischen Partnern, die in der Proteinforschung international führend sind“, erklärt Höcker.
Seit ihrem Ursprung vor etwa 3,7 Milliarden Jahren sind Proteine die Schlüsselelemente des Lebens. Sie übernehmen im Organismus aller Lebewesen die verschiedensten lebenswichtigen Funktionen, zum Beispiel bei Stoffwechselvorgängen, Muskelbewegungen, Immunreaktionen oder der Fortpflanzung. Alle Proteine bestehen aus miteinander verknüpften Aminosäuren und falten sich in die unterschiedlichsten dreidimensionalen Strukturen. Bei der Erforschung der Frage, wie sich Proteine im Verlauf der Evolution herausgebildet haben, können die Projektpartner an die in der Forschung unstrittige Erkenntnis anknüpfen, dass die Natur bei der Entwicklung neuer Proteine schon vorhandene Bausteine wiederverwendet. Bei diesen Bausteinen handelt es sich um Proteinsegmente, die in neue Proteine eingebaut werden und hier – in Kombination mit weiteren Proteinsegmenten – ganz neue Funktionen übernehmen können. Die Proteinsegmente, die in allen Organismen eine besonders prominente Rolle spielen, heißen Domänen. Es gibt sie in sehr unterschiedlichen Zusammensetzungen und Faltungsstrukturen, in den meisten Fällen enthalten sie zwischen 100 und 200 Aminosäuren.
Ein Forschungsteam am Lehrstuhl für Biochemie der Universität Bayreuth und am MPI für Entwicklungsbiologie in Tübingen hat nun bei Analysen dieser Zusammensetzungen und Faltungsstrukturen eine faszinierende Entdeckung gemacht: Domänen in Proteinen heute lebender Organismen enthalten Hinweise darauf, wie sie und auch kleinere Segmente in früheren Stadien der Evolution verwendet wurden. Genau diese Indizien sollen in dem neuen deutsch-israelischen Verbundprojekt systematisch aufgespürt und ausgewertet werden. Computersimulationen auf leistungsstarken Rechnern, die mögliche Szenarien der Proteinentwicklung rekonstruieren und vergleichen können, werden dabei ein wichtiges Instrument der Forschung sein. Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler den Mechanismen auf die Spur kommen, welche die Herausbildung neuer Proteine – und damit die Entstehung neuer Funktionalitäten – gesteuert und vorangetrieben haben.