„Das Gesundheitswesen ist kein Bereich, in dem der freie Markt perfekt funktioniert. Wenn mit dem derzeit verhandelten Transatlantischen Freihandelsabkommen (TAFTA) zwischen EU und USA die größte Freihandelszone der Welt entstehen sollte, müssen die Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme genau unter die Lupe genommen werden“, sagte Prof. Angela Brand (Institute for Public Health Genomics, Universität Maastricht) beim European Health Forum Gastein (EHFG). „Europäische Gesundheitsthemen auch im globalen Kontext zu sehen und die globale Vernetzung voranzutreiben, gewinnt an Bedeutung, nicht zuletzt mit TAFTA. Hier muss sich die EU gesundheitspolitisch klar positionieren, um rechtzeitig die Weichen mitstellen zu können.“
Kritiker befürchten, dass das Abkommen im schlechtesten Fall auf Kosten von Gesundheits-, Konsumenten- und Umweltschutz gehen könnte. Prof. Brand: „Ich sehe das Abkommen als eine historische Chance, die Beziehungen zwischen Europa und den USA belastende Themen konstruktiv aufzuarbeiten, etwa die unterschiedlichen Positionen zur Gentechnik oder zu Sicherheitsstandards.“
Nicht nur Zollschranken können ein Handelshindernis darstellen, sondern vor allem auch die unterschiedlichen Regulierungssysteme und Standards in den beiden Wirtschaftsräumen. „Für solche Regelungen gibt es gerade in Bereichen wie dem Gesundheits-, Konsumenten- oder Umweltschutz gute Gründe, aber sie können auch unnötige Handelshemmnisse darstellen“, so Prof. Brand. „Solche Hürden durch Harmonisierung, Vereinfachung oder gegenseitige Anerkennung zu verringern kann wirtschaftlichen Nutzen bringen, ohne den eigentlichen Zweck der Schutzbestimmungen zu gefährden.“
Gegenstand der Verhandlungen könnte auch die Frage der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sein. „Welche Rolle dabei künftig die unabhängigen einzelnen nationalen Prüfungsbehörden spielen werden, ist hier einer der wichtigsten Verhandlungspunkte. Es wird sich die Frage stellen, ob die amerikanische „Food and Drug Administration“ (FDA) die europäischen Zulassungen akzeptieren wird und umgekehrt“, so Prof. Brand.
Im Gesundheitsbereich werde es wichtig sein, so Prof. Brand, dass die Verhandlungen sich stärker als in anderen Sektoren auf Dienstleistungen konzentrieren. „Gerade im immer wichtiger werdenden Sektor der personalisierten Medizin wird es zunehmend unmöglich, zwischen Produkten und Prozessen, also letztlich Dienstleistungen, zu unterscheiden. Medikamente werden zunehmend zu diagnostisch und therapeutisch eingesetzten Tools, und werden sich immer mehr hin zu ‚just-in-time‘-Therapien entwickeln, die sich am jeweils individuellen Behandlungsbedarf zu einem bestimmten Zeitpunkt orientieren.“
Prof. Brand sieht in den Verhandlungen auch die Chance, dass beide Seiten in wichtigen Bereichen voneinander lernen könnten. „Die USA könnten sich etwa Werten wie Solidarität und dem gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung für alle Bürger/-innen annähern, wie sie in den europäischen Wohlfahrtsstaaten fest verankert sind“, so die Expertin. „Europa andererseits könnte vom in den USA verbreiteten ‚open access‘-Zugang zu Daten lernen. Personalisierte Medizin kann nur dann Realität werden, wenn wir im Datenschutz von der individuellen Zustimmung zur Datennutzung wegkommen, hin zu einer ‚user-accountability‘ bzw. Verantwortlichkeit von Nutzer/-innen, und zum Prinzip, dass Bürgern/-innen ihre Daten gehören.“
Zum Transatlantischen Freihandelsabkommen
Am 14. Juni 2013 gaben die EU-Mitgliedstaaten der Kommission grünes Licht für Verhandlungen mit den USA, um ein bilaterales Handelsabkommen abzuschließen und damit die weltgrößte Freihandelszone entstehen zu lassen. Das Abkommen soll bis November 2014 abgeschlossen werden, vermutlich werden sich die Verhandlungen jedoch bis in das Jahr 2015 hinziehen. Die Erwartungen an die möglichen wirtschaftlichen Verbesserungen durch das Übereinkommen sind enorm: Schätzungen zufolge könnte das Abkommen bis 2027 einen jährlichen BIP-Zuwachs von 0,5 Prozent für die EU und 0,4 Prozent für die USA bringen.
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