Ziel einer solchen Vorlage durch ein nationales Gericht ist es, den EUGH zu einer Klärung entscheidungsrelevanter europarechtlicher Vorschriften zu veranlassen. Der Conseil d'Etat hat jetzt unter Zugrundelegung der Auslegung dieser Vorschriften zu entscheiden, ob das Moratorium (Anbauverbot) von der französischen Regierung im Februar 2008 rechtmäßig ist oder nicht.
Der EUGH vertritt in seiner Entscheidung vom 8.8.2011 die Auffassung, dass die von der französischen Regierung seinerzeit gewählte Rechtsgrundlage (Freisetzungsrichtlinie 2001 / 18) im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist; vielmehr die EU-Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel 1829 / 2003. Diese schließe Sofortmaßnahmen nicht aus.
Der Staat, der solche Sofortmaßnahmen (vorläufige Schutzmaßnahmen) ergreifen möchte, müsse jedoch mehrere Bedingungen erfüllen und insbesondere die EU-Kommission offiziell von der Notwendigkeit, solche Sofortmaßnahmen zu treffen, unterrichten.
Zu den Tatbestandsvoraussetzungen der gemäß der Verordnung 1829 / 2003 getroffenen Sofortmaßnahmen stellt der EUGH fest, dass diese Verordnung die Mitgliedstaaten verpflichtet, außer der Dringlichkeit das Vorliegen einer Situation zu begründen, in der ein erhebliches Risiko bestehen kann, das offensichtlich die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet (vgl. weiter die unter der oben angegebenen Internetanschrift zur Verfügung stehende Pressemitteilung des EUGH Nr. 86 /11 vom 8.9.2011).
Es dürfte davon auszugehen sein, dass der Conseil d'Etat auf der Grundlage der vorangehenden Ausführungen das von der französischen Regierung im Jahre 2008 verhängte Moratorium für rechtswidrig erklären wird. Ein Präjudiz in der Sache selbst dürfte in der Entscheidung des EUGH vom 8.9.2011 nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - zu sehen sein, vielmehr beziehen sich die tragenden Entscheidungsgründe des Gerichtshofes im Schwerpunkt auf die Form, mit der seinerzeit von der französischen Regierung das Moratorium verhängt wurde.
Die französische Umweltministerin erklärte noch am 8.9.2011, dass Frankreich auf der Grundlage der vom EUGH entwickelten Kriterien ein Moratorium für den Anbau von dem genetisch verändertem Mais MON 810 auf den Weg bringen werde. Die Entscheidung des EUGH, die den Charakter einer "avis" habe, habe im Übrigen hinsichtlich des bestehenden Moratoriums keine suspensive Wirkung. Frankreich bleibe dabei, dass dieser Typ von Kulturen mit Risiken für die Umwelt verbunden sei. "Ich würde sagen," so die Ministerin, "dass die jüngsten Ergebnisse der Forschung (USA) mich in meinen bisherigen Überzeugungen noch bestärken".
Le Figaro berichtete in seiner Ausgabe vom 9.9.2011 unter der Überschrift "La France épinglée par l'Europe" ausführlich über den Vorgang.