StartseiteAktuellesNachrichtenFrankreich: Nationales Ethikkomitee fordert Beseitigung von gesetzlichen Unstimmigkeiten bei der Embryonenforschung

Frankreich: Nationales Ethikkomitee fordert Beseitigung von gesetzlichen Unstimmigkeiten bei der Embryonenforschung

Die im 1. Halbjahr 2011 anstehende Überprüfung des Gesetzes vom 6.8.2004 betreffend die Bioethik bietet dem französischen Gesetzgeber die Gelegenheit, dem Anliegen des CCNE (Comité Consultatif National d' Éthique pour les Sciences de la Vie et de la Santé) zu entsprechen.

Die 59 Seiten umfassende Stellungnahme des CCNE wurde am 1.12.2010 veröffentlicht.

Angesichts widersprüchlicher Empfehlungen des von der Regierung befassten Conseil d' État und des "Office Parlementaire d' évaluation des choix scientifiques et technologiques" (OPECST) einerseits und eines Berichts (mission parlementaire) des Abgeordneten Jean Leonetti andererseits beschränkt sich das CCNE in seiner Avis Nr. 112 darauf, eine "Réflexion éthique sur la recherche sur les cellules d' origine embryonnaire humaine et la recherche sur l' embryon humaine in vitro" vorzulegen.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe des CCNE haben es mehrheitlich vorgezogen, "einen allgemeinen Rahmen für ethische Überlegungen abzustecken, anstatt eine Empfehlung darüber abzugeben, was das Gesetz in der hier interessierenden Frage künftig konkret vorschreiben sollte". Le Figaro vom 2.12.2010 berichtet unter der Überschrift "Recherches sur l' embryon: le comité éthique reste indécis" ausführlich über den Sachverhalt.

Bei den Überlegungen des CCNE steht die Frage der Zerstörung menschlicher Embryonen im Rahmen einer ärztlichen Hilfestellung bei der Kindeszeugung ("Assistance médicale à la procréation" / AMP) im Vordergrund nicht aber die Frage, ob oder ob nicht nach der Zerstörung eines menschlichen Embryos an ihm Forschung zulässig sein soll. Für das CCNE besteht ein Paradox darin, dass nach der derzeitigen Rechtslage einerseits die nach der Einpflanzung eines Embryos in den Mutterleib nicht mehr benötigten Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen legalerweise zerstört werden können, andererseits aber deren Benutzung zu Zwecken medizinischer Forschung - vorbehaltlich einer im Einzelfall erteilten Ausnahmegenehmigung - untersagt ist.

Das Komitee bezeichnet dies in seiner Stellungnahme als juristische Anomalie: "Man schützt den menschlichen Embryo nicht dadurch vor seiner Zerstörung, dass man Forschung an ihm untersagt".

Schon in seiner Stellungnahme Nr. 67 aus dem Jahre 2001 neigte das Komitee zu einer eng eingegrenzten Freigabe der Forschung an - im Rahmen einer AMP zerstörten - überzähligen Embryonen; hierbei unterstrich es, dass es sich um eine "Politik des geringeren Übels" handele. Für das CCNE ist bis heute unverändert der Respekt vor dem Embryo, dem er die Bezeichnung "personne humaine potentielle"gibt, der maßgebende Gesichtspunkt. Das CCNE bekennt sich zu dem "Rätsel", das der Embryo darstelle. Das Komitee weigert sich, zwischen der Bezeichnung des Embryo als "Person" und einer "Anhäufung von Zellen" als "Sache" Stellung zu beziehen.

Wenn auch die Mehrheit der Forscher - so das Komitee - anerkenne, mit der vom Gesetzgeber im Jahre 2004 beschlossenen Regelung arbeiten zu können, legt das Komitee den Finger auf die "mangelnde Lesbarkeit" (lisibilité) der zzt. geltenden Regelung und ihren "heuchlerischen Charakter". Es sieht in dem Antagonismus der heutigen Regelung den Ausdruck "zweier gegensätzlicher ideologischer Visionen". Es sei jetzt im Frühjahr 2011 Aufgabe des Gesetzgebers, sich zwischen den beiden gesetzgeberischen Modellen zu entscheiden.

In diesem Zusammenhang weist das Komitee auch auf den Widerspruch hin, der darin bestehe, dass z. B. Forschung an Zellen, die auf Grund einer aus medizinischen Gründen oder aus eigenem Entschluss ("interruption volontaire") durchgeführten Abtreibung gewonnen würden, unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei.

Das CCNE sieht eine "ethische Verirrung darin, dass bei der gegenwärtigen Rechtslage eine unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Wegfall des "projet parental") zulässige Zerstörung lebender meschlicher Embryonen keinerlei zeitliche Begrenzung für die Durchführung medizinischer Forschungen bestehe.

Forschungsministerin Valérie Pécresse schien anlässlich eines Besuches im Krankenhauszentrum Georges Pompidou  erkennen zu geben - so Le Figaro vom 2.12.2010 -, dass sie einer Beibehaltung der derzeitigen gesetzlichen Regelung - weil "ausgewogen" - positiv gegenüber stehe. Insoweit läge sie einerseits auf der Linie des parlamentarischen Informationsberichts ("mission parlementaire") des Abgeordneten der Nationalversammlung Jean Leonetti, andererseits würde sie sich mit den Empfehlungen des Conseil d' État und von OPECST in Widerspruch setzen.

Die Stellungnahme des CCNE spricht auch die Frage der "Heranbildung menschlicher Embryonen in vitro" und die damit verbundene Behandlung als "Sache" an. Sie sieht darin eine "ethische Frage von großer Tragweite".

Ausgehend von der möglichen Fortentwicklung der einschlägigen Forschung macht das CNNE den Gesetzgeber in einem abschließenden Abschnitt V "Eine prospektivische Überlegung" auf die Probleme aufmerksam, die sich aus der Gewinnung menschlicher Stammzellen nicht embryonalen Ursprungs ergeben könnten. Sie schon heute anzusprechen, könne von Vorteil sein.

Insgesamt liefert die Stellungnahme des CCNE ein umfassendes Bild der vom CCNE seit seiner Gründung im Jahre 1983 zu den ethischen Fragen der Embryonenforschung vertretenen Linie.

Quelle: Le Figaro vom 2.12.2010 Redaktion: Länder / Organisationen: Frankreich Themen: Lebenswissenschaften Ethik, Recht, Gesellschaft

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