Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. Um dieses Versprechen einzulösen, müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ihre fossile Energiegewinnung beenden und ihre kohlenstoffintensive Wirtschaft umstrukturieren. Die Förderung fossiler Energieträger und deren Nutzung zur Stromproduktion und in der energieintensiven Industrie ist in Europa geographisch ungleich verteilt und konzentriert sich auf relativ wenige Regionen. Viele dieser Regionen sind bis heute ökonomisch fast komplett von fossilen Energieträgern abhängig. Die Umsetzung des europäischen Dekarbonisierungsziels erfordert gerade hier eine fundamentale Systemveränderung.
Bisher konzentriert sich die Forschung stark auf die direkten wirtschaftlichen Folgen des Umbaus beziehungsweise rein auf das Energiesystem und die Energieinfrastrukturen. In den zukünftig absehbaren beziehungsweise zum Teil auch bereits laufenden Übergangsprozessen ist jedoch mit weiteren unbeabsichtigten oder sogar unvorhergesehenen Nebenwirkungen zu rechnen. Einige Studien nehmen mit den Analysen der politischen, sozialen, demographischen und kulturellen Aspekte bereits die eher verdeckten Prozesse in den Blick, aber es fehlt bis heute an einem ganzheitlichen Verständnis. Eine der zentralen Fragen bezieht sich auf die Wechselwirkungen zwischen Dekarbonisierung von kohlenstoffintensiven Wirtschaftsregionen und Populismus, Migration und Geschlechterverhältnissen. Diese Forschungslücke wollen die Forschenden des Wuppertal Instituts zusammen mit 13 Verbundpartnern innerhalb des Projektes „Carbon Intensive Regions in Transition – Unravelling the Challenges of Structural Change“ – kurz CINTRAN – schließen. Dabei verfolgen sie einen integrierten sowie inter- und transdisziplinären Forschungsansatz.
Am 12. und 13. Mai 2020 trafen sich 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Estland, Griechenland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden und dem Vereinigten Königreich virtuell zum Auftakt dieses ambitionierten Forschungsprojekts, das im Rahmen des Forschungsrahmenprogramms „Horizont 2020“ der Europäischen Union gefördert wird. Sie werden in den kommenden vier Jahren mit einem transdisziplinären Ansatz verschiedene wissenschaftliche Disziplinen kombiniert anwenden, um ein besseres Verständnis der Muster und Dynamiken von Transformationsprozessen in Folge ambitionierter Klimapolitik zu erlangen. Sie werden außerdem Strategien im Umgang mit dem Strukturwandel auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen und Instrumente entwickeln, anhand derer sich Regionen selbst einschätzen und ihre Entwicklung beobachten können. Das Projekt fokussiert dabei vier Fallstudien in betroffenen Regionen: das Rheinische Braunkohlerevier in Deutschland, Schlesien in Polen, Westmazedonien in Griechenland und Ida-Viru in Estland. Mit einer Regions in Transition-Akademie inklusive einer Webinar-Reihe wird CINTRAN zudem die Regionen beraten und den Wissensaustausch zwischen weiteren europäischen Regionen fördern.