Überblick zur Bildungs-, Forschungs- und Innovationslandschaft und -politik: Kenia
Bildungssystem
Die „Kenya Vision 2030: A Globally Competitive and Prosperous Kenya” (S. 93-103) legt als ressortübergreifende Strategie seit 2007 langfristige Ziele für Kenias Bildungssystem fest (Webseite zur Kenya Vision 2030). Aktuelle bildungspolitische Ziele für den Zeitraum vom 2018-2022 finden sich in dem National Education Sector Strategic Plan (NESSP).
Die Zuständigkeit für sämtliche Bildungssektoren liegt bei dem kenianischen Bildungsministerium. Das kenianische Bildungssystem zeichnet sich in letzten zwei Jahrzehnten durch dynamische Wachstumsprozesse aus. Diese wurden durch die Entscheidungen der Regierung in Gang gesetzt, die Schulgebühren für die Primarschulphase (ab 2003) und die Sekundarschulphase (ab 2008) abzuschaffen. In der Folge konnte die kenianische Regierung große Fortschritte bei der Durchsetzung der Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr erzielen.
Das bisherige 8+4 (+4)-Modell mit einem achtjähriges Primarschulprogramm, einem vierjährigen Sekundarschulprogramm sowie einer vierjährigen Bachelorphase bis zum ersten Hochschulabschluss soll bis zum Jahr 2026 durch ein 2+6+3+3-(+3)-Modell für kompetenzbasierte Bildung ersetzt werden. Der nunmehr sechsjährigen Primarschule sollen zwei Vorschuljahre vorangehen. Die Sekundarstufe wird in zwei dreijährige Phasen eingeteilt. Geplant ist, die Qualität zu verbessern und eine Beteiligung Kenias an internationalen Schulleistungstests wie PISA und TIMSS vorzubereiten. In der Sekundarstufe II erfolgt zukünftig wahlweise eine Spezialisierung auf einen von drei Bereichen: 1. Künste & Sport, 2. Sozialwissenschaften oder 3. Mathematik, Naturwissenschaften und Technik (MINT-Fächer).
Am Ende der Sekundarschulphase steht eine Abschlussprüfung. Je nach Examensergebnis erfolgt derzeit eine Zulassung zum Hochschulstudium, außerdem haben die Ergebnisse Einfluss auf die Wahl des Studienfachs und die Studienplatzzuweisung an staatlichen Universitäten. Zusätzlich hängt die Befreiung von Studiengebühren von guten Examensergebnissen ab.
Eine technische oder berufliche Ausbildung richtet sich grundsätzlich an Schülerinnen und Schüler, die nicht auf die Sekundarschule übergehen bzw. vorzeitig von der Sekundarschule abgehen oder deren Examensergebnisse den Übergang zur Hochschule nicht zulassen. De facto schreibt sich jedoch nur ein kleiner Teil dieser Personengruppen an öffentlichen TVET-Institutionen ein. Es gibt Vocational Education Centers, die eine Handwerksausbildung ermöglichen, während Technical und Vocational Colleges eine gehobene Handwerksausbildung und National Polytechnics eine technologische Ausbildung anbieten. Die kenianische Technical and Vocational Education and Training Authority (TVETA), die dem Bildungsministerium untersteht, implementiert ein neues Akkreditierungssystem (siehe imove-Marktstudie Kenia 2018, S. 33 f.).
Der kenianische Hochschulsektor wurde im letzten Jahrzehnt stark ausgebaut. Im Jahr 2005 gab es lediglich fünf staatliche Universitäten im Land. Im Jahr 2020 lag die Anzahl der staatlichen Hochschulen im Jahr 2020 bei 31, die der privaten Universitäten bei 32, davon 14 mit staatlicher Lizenz (siehe DAAD-Ländersachstand Kenia, S. 5). Im Zeitraum von 2013 bis 2017 verdoppelte sich die Anzahl der Studierenden in Kenia und lag zuletzt bei über 560.000 (siehe Bildungsindikatoren). Die Mehrzahl der Studierenden profitiert von einem Erlass von Studiengebühren. Auch unter dem NESSP 2018-22 soll die Anzahl der Studierenden weiter zunehmen und die kenianische Brutto-Immatrikulationsquote gesteigert werden. Der zuständige Kabinettssekretär hat im Jahr 2019 jedoch ausdrücklich ausgeschlossen, dass in absehbarer Zeit in Kenia weitere neue Hochschulen gegründet werden (siehe DAAD-Ländersachstand Kenia, S. 5).
Stattdessen liegt der Schwerpunkt jetzt auf der verbesserten Qualität der Hochschulbildung. Die kenianische Qualitätssicherungsagentur, die Standards setzt und staatliche wie private Hochschulen akkreditiert, ist die Commission for University Education (CUE). Ein Problem ist, dass kenianische Hochschulen bisher bevorzugt geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge eingerichtet haben, da diese deutlich kostengünstiger sind. 2016 konnte mit weniger als 5 Prozent nur ein sehr geringer Anteil der neuen kenianischen Hochschulgraduierten einen Abschluss in den Ingenieurwissenschaften vorweisen (siehe Bildungsindikatoren). Der Mangel an technisch ausgebildeten Fachkräften hemmt die Entwicklung des Landes (siehe DAAD-Ländersachstand Kenia, S. 5). Unter dem NESSP 2018-22 ist es daher ein wichtiges Ziel, Anzahl und Anteil der Studierenden von Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften (MINT-Fächer) zu steigern.
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Forschungs- und Innovationssystem
Kenia liegt im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) im afrikanischen Vergleich weit vorne. In Nairobi gibt es eine Reihe renommierter und international ausgerichteter Forschungszentren. Auch die Mittelstädte sind aktuell dabei, in innovativen Feldern wie Informationstechnik und erneuerbaren Energien nachzuziehen.
Zu einem wichtigen Indikator für Forschung und Entwicklung (FuE), dem Anteil der gesamten FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), hat Kenia nach einer langen Pause Daten für 2022 vorgelegt. Die FuE-Intensität beträgt demnach 0,4 Prozent. In Afrika sind Werte unter 1 Prozent üblich, während der Anteil in den Industrieländern deutlich höher liegt (siehe FuE-Indikatoren).
In Bezug auf die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen lag Kenia 2022 im weltweiten Vergleich auf Rang 72, in Afrika auf Rang 9 und in Subsahara-Afrika auf Rang 5 hinter Südafrika, Nigeria, Äthiopien und Ghana. In Bezug auf den H-Index, mit dem die Zitationshäufigkeit gemessen wird, belegt Kenia afrikaweit sogar Rang 3 hinter Südafrika und Ägypten (Quelle: SCImago. SJR – SCImago Journal & Country Rank. Data retrieved April 26, 2024, from www.scimagojr.com).
Im Global Innovation Index (GII) 2023 werden Innovationsleistungen der Länder weitgehend unabhängig von absoluten Größenordnungen bewertet. Im GII belegt Kenia im weltweiten Vergleich Rang 100 (Vorjahr Rang 88). Innerhalb von Subsahara-Afrika liegt Kenia damit auf Rang 8 hinter Mauritius, Südafrika, Botswana, den Kapverden, Senegal, Namibia und Ghana.
In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien zu dem kenianischen Forschungs- und Innovationssystem publiziert: eine Studie der panafrikanischen Science Granting Council Initiative (SGCI) (siehe Hanlin 2017), eine Studie der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Afrika zum Reifegrad Kenias und Nigerias im Hinblick auf Wissenschaft, Technologie und Innovation (UNECA 2018, zu Kenia S. 137 ff.) sowie ein Länderkapitel in einer UNESCO Studie zur Nachhaltigkeitsforschung in fünf afrikanischen Ländern (UNESCO 2019, zu Kenia siehe S. 110-142).
Die Grundlagen des kenianischen Forschungs- und Innovationssystems wurden in dem Science, Technology and Innovation Act (2013) festgelegt. Über längere Zeiträume hinweg hatte Kenia ein eigenes Ministerium für Wissenschaft und Technologie (1987-1999 und 2005-2013, siehe Hanlin 2017). Seit 2013 liegt die Zuständigkeit für die kenianische Forschungs- und Innovationspolitik im Bildungsministerium. Zu den Themen Hochschulen und Forschung wurde innerhalb des Ministeriums ein State Department geschaffen, das von einem sogenannten Hauptsekretär („Principle Secretary“, PS) geleitet wird.
Bei der Durchführung von FuE hatten außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Hochschulen 2010 etwa gleich hohe Anteile (Quelle: UNESCO-UIS). Die Struktur der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Kenia ist ähnlich wie in vielen Industrieländern. Das Wirtschaftsministerium hat eine eigene Industrieforschungseinrichtung, das 1979 gegründete Kenya Industrial Research and Development Institute (KIRDI) und einige der kenianischen Fachministerien werden durch eigene Forschungseinrichtungen unterstützt:
- Die 2013 gegründete Kenya Agricultural & Livestock Research Organization (KALRO) und das 1979 gegründete Kenya Marine and Fisheries Research Institute (KMFRI) unterstehen dem Ministerium für Landwirtschaft;
- Das 1986 gegründete Kenya Forestry Research Institute (KEFRI), der 1989 gegründete Kenya Wildife Service (KWS) sowie das 2001 gegründete Kenya Water Institute (KEWI) unterstehen dem Ministerium für Umwelt;
- Das 1979 gegründete Kenya Medical Research Institute (KEMRI) untersteht dem Gesundheitsministerium;
- Das 1997 gegründete Kenya Institute for Public Policy Research and Analysis (KIPPRA) untersteht dem Finanzministerium.
Hochschulrankings können Anhaltspunkte für Forschungs- und Innovationsstärke einzelner Hochschulen bieten. Die University of Nairobi liegt als älteste Universität Kenias dabei regelmäßig an der Spitze und ist auch als einzige kenianische Hochschule in der Allianz der afrikanischen Forschungsuniversitäten (African Research University Alliance, ARUA) vertreten (siehe Überblick zur internationalen Kooperation). Weitere forschungsstarke Hochschulen sind die Jomo Kenyatta University of Agriculture and Technology, eine Ausgründung aus der Kenyatta University in der Nähe von Nairobi, und die katholische University of Strathclyde als forschungsstärkste private Universität in Kenia.
2010 hatten einheimische Unternehmen bei der Durchführung von FuE einen Anteil von nur wenig mehr als 4 Prozent (Quelle: UNESCO-UIS). In Bezug auf Innovation wird davon ausgegangen, dass ein Schwerpunkt im informellen kenianischen Handwerkssektor jua kali liegt (Dieser Ausdruck in Suaheli für „heiße Sonne“ weist auf die Arbeit außerhalb von Werkstätten unter freiem Himmel hin). Die Ursprünge von jua kali liegen im Import von Ideen und Traditionen aus dem Nahen und Mittleren Osten, der seit Jahrhunderten durch Handelsbeziehungen und Schiffsverkehr mit den ostafrikanischen Hafenstädten Nairobi und Mombasa verbunden ist. Zu den kenianischen Clustern von kleinen und Mikro-Unternehmen gehört beispielsweise das Kisumu Innovation Centre Kenya (KICK, siehe UNECA 2018, S. 134 f. und 144 f.).
Weltweite Bekanntheit erlangte Kenia 2007 durch die Innovation M-PESA. Diese ermöglicht unabhängig von einem Bankkonto den Transfer von Geld über Mobiltelefone. So kann sich die weit verstreute Bevölkerung auch in abgelegenen Gebieten am Wirtschaftsverkehr beteiligen (siehe UNECA 2018, S. 130 ff.). Aus der Perspektive der Industrieländer hat sich Kenia durch die Erfolge von M-PESA und den 2010 gegründeten ihub Nairobi als Innovationsstandort etabliert. Mehrere ausländische Unternehmen haben Forschungszentren in Nairobi aufgebaut (siehe Hanlin 2017, S. 15), darunter IBM Research und Philips Research.
Bereits 2010 lag der Anteil der Finanzierung für die FuE-Ausgaben aus dem Ausland in Kenia bei 47 Prozent (Quelle: UNESCO-UIS). Auch heute ist weiterhin von einem hohen Anteil auszugehen. Zwei große internationale Agrarforschungseinrichtungen sind auf Auslandsfinanzierung angewiesen. Die in Nairobi ansässigen privaten gemeinnützigen Einrichtungen wie die African Medical and Research Foundation (AMREF) setzen ebenfalls auf Spenden und Finanzierungsflüsse aus dem Ausland (siehe unter Überblick zur internationalen Kooperation). Auch kenianische Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen werben erfolgreich internationale Fördermittel ein.
Um die einheimische FuE-Finanzierung zu stärken, hat der Science, Technology and Innovation Act 2013 zwei neue Einrichtungen geschaffen, die wettbewerbliche Förderung vergeben: Zum einen die National Commission for Science, Technology and Innovation (NACOSTI) als Nachfolgerin des 1977 gegründeten National Council for Science and Technology (NCST). NACOSTI finanziert Auslandsstipendien für kenianische Studierende (u. a. ein gemeinsames Stipendienprogramm mit dem DAAD) und legt nationale Forschungsproritäten fest, zuletzt für den Zeitraum 2018-22. Ihr untersteht auch der im Frühjahr 2015 ins Leben gerufene National Research Fund (NRF), der in einem wettbewerbsorientierten Verfahren Forschungsmittel vergibt. NRF hat ein Budget von knapp 4,5 Millionen Euro, welches an spezifische Forschungsvorhaben von Institutionen sowie an PhD- oder Master-Studierende verteilt wird (siehe DAAD-Ländersachstand 2019).
Die Kenyan National Innovation Agency (KeNIA) trägt zur Entwicklung der kenianischen Innovationslandschaft bei, so beispielsweise durch die Vergabe von Preisen und die Einrichtung von Wissenschaftsparks.
Bei der Entwicklung von fachspezifischen Forschungsagenden unterstützt und berät die Kommission NACOSTI. Langfristige Ziele für Kenias Forschungs- und Innovationssystem sind seit 2009 in der Kenya Vision 2030 (S. 20 f.) festgelegt. Unter dem Science, Technology and Innovation Act 2013 hatte sich Kenia erstmals das ehrgeizige Ziel gesetzt, eine FuE-Intensität von 2 Prozent zu erreichen. Aktuelle Ziele für den Zeitraum vom 2018-2022 finden sich in dem National Education Sector Strategic Plan (NESSP, S. 80-86). An dem 2 Prozent-Ziel wird demnach festgehalten, weitere Ziele sind der Aufbau einer Beobachtungsstelle für Wissenschaft, Technologie und Innovation („Science, Technology and Innovation Observatory“), um die Datenlage zu verbessern, eine verbesserte Steuerung (Governance) der Forschungs- und Innovationspolitik, der Aufbau von Ausbildungs- und Forschungskapazitäten in Naturwissenschaften und Technik, die Modernisierung von Forschungsinfrastrukturen, der verbesserte Zugang auch von benachteiligten Gruppen wie Frauen zu Forschung und Innovation sowie eine Stärkung der Kommerzialisierung. Die kenianische Regierung plant, folgende Institutionen zu schaffen: fünf Exzellenzzentren, ein Kenya Advanced Institute for Science and Technology, eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften (siehe auch unter Überblick zur Kooperation mit Deutschland zum Projekt einer Ostafrikanisch-deutschen Hochschule) sowie Wissenschafts- und Technologieparks (siehe Projekt Konza Technopolis in 60 km Entfernung von Nairobi).
Weitere Informationen
Links/Institutionen
Indikatoren für Bildung
Indikator |
Kenia |
Deutschland |
Stand |
---|---|---|---|
Anteil öffentlicher Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent] |
3,96 |
4,54 |
2023/2022 |
Wachstum des öffentlichen Bildungsanteils am BIP (Differenz des BIP-Bildungsanteils zu dem des Vorjahres) [Prozent] |
-0,55 |
-0,91 |
2023/2022 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender aus dem Land [Prozent]* |
3,13 |
3,75 |
2019/2022 |
Anzahl Studierender im Tertiärbereich insgesamt [Mio.] |
0,53 |
3,36 |
2019/2022 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender im Land [Prozent]** |
1,29 |
12,00 |
2019/2022 |
Anzahl Promovierender insgesamt |
10.215 |
200.307 |
2019/2022 |
Anteil 25- bis 65-Jähriger mit einem Abschluss im Tertiärbereich [Prozent] |
5,68 |
29,85 |
2021/2022 |
Weitere Informationen
Links/Institutionen
FuE-Indikatoren
Indikator |
Kenia |
Deutschland |
OECD-Gesamt |
Stand |
---|---|---|---|---|
FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent](1) |
0,4 |
3,1 |
3,0 |
2022/21/21 |
Anzahl der Forschenden (VZÄ) je Million Einwohner-/innen(1) |
169 |
5.536 |
4.079 |
2022/21/20 |
Anteil internationaler Ko-Patente an Patentanmeldungen unter dem Vertrag über Patentzusammenarbeit (PCT) [Prozent](2) |
25,0 |
19,3 |
8,2 |
2020 |