StartseiteLänderAmerikaUSADeutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin: Eine Choosing Wisely Initiative für Deutschland?

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin: Eine Choosing Wisely Initiative für Deutschland?

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin startet die Diskussion zu Möglichkeiten und Herausforderungen einer neuen Initiative gegen Über- und Unterversorgung. Auf einem Workshop zum Thema "Gemeinsam Klug Entscheiden: Ein probates Mittel gegen Über- und Unterversorgung?" erörterten ca. 50 Ärzte, Patientenvertreter, Wissenschaftler und Leitlinienexperten, ob die 2011 in den US gestartete Choosing Wisely Initiative auch auf Deutschland übertragen werden kann und sollte.

Patienten erwarten, dass ihnen medizinische Leistungen einen Nutzen bringen, der die mit diesen Leistungen verbundenen Risiken deutlich überwiegt. Das deutsche Gesundheitswesen schafft diesen Patientennutzen an vielen Stellen. Andererseits gibt es in Deutschland wie im Ausland auch ein bedeutsames Ausmaß an Über- und Unterversorgung. Überversorgung bezeichnet die Durchführung von medizinischen Leistungen, die nicht indiziert sind oder deren Nutzen nicht hinreichend gesichert ist. Unterversorgung hingegen liegt vor, wenn Patienten Leistungen nicht erhalten, die ihnen nutzen würden. Durch "Shared Decision Making" auf der Basis Evidenz-basierter Patienteninformationen können Ärzte und Patienten dazu beitragen, eine medizinische Über- und Unterversorgung gemeinsam zu reduzieren und damit ggf. auch die Kosteneffizienz im Gesundheitssystem zu verbessern.

Die 2011 in den USA gestartete Choosing Wisely Initiative verfolgt das Ziel, die offene Diskussion zwischen der Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zum Thema Überversorgung zu fördern (http://choosingwisely.org). Kern der Choosing Wisely Initiative sind Top-5 Listen aus jeder klinischen Fachdisziplin. Top-5 Listen enthalten fünf medizinische Maßnahmen, bei denen gegenwärtig eine Überversorgung festzustellen ist und deshalb ein verstärkter Bedarf an Information und "Shared Decision Making" besteht. Diese Listen werden in enger Kooperation mit Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen und mit Unterstützung öffentlicher Medien verbreitet.

Ob die Choosing Wisely Initiative auch auf Deutschland übertragen werden kann und sollte, diskutierten am 14. März 2013 ungefähr 50 Ärzte, Patientenvertreter, Wissenschaftler und Leitlinienexperten. Sie waren der Einladung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) zu einem Workshop in Verbindung mit der 14. Jahrestagung des DNEbM in Berlin gefolgt. Verschiedene Kurzreferate zeigten den Bedarf sowie die methodischen Herausforderungen einer deutschen Variante der Choosing Wisely Initiative. Neben Vorstandsmitgliedern des DNEbM (David Klemperer, Günter Ollenschläger, Heiner Raspe, Daniel Strech) referierten auch Vorstandsmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM, Martin Scherer), der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG, Manfred Gogol) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN, Wolfgang Gaebel).

Sowohl die Referate als auch die anschließende ausführliche Diskussion im Plenum demonstrierten ein großes Interesse wie auch das Bewusstsein für die anspruchsvolle Entwicklung einer entsprechenden deutschen Initiative. Für sie wurde das Motto "Gemeinsam Klug Entscheiden" ins Auge gefasst.

Die Diskussion brachte folgende zentrale Ergebnisse:

1) Die in der US amerikanischen Choosing Wisely Initiative fehlenden Vorgaben an die Erstellung von Top-5 Listen (wie z. B. Partizipation von Patientenvertretern, Evidenzbasierung, Konsensusverfahren) sollten durch in Deutschland bereits etablierte Methoden zur Leitlinienentwicklung ergänzt werden.

2) Top-5 Listen sollten nicht nur für Überversorgung, sondern auch für Unterversorgung erstellt werden.

3) Die Erstellung von Top-5 Listen sind unvermeidbar mit Priorisierungs- und damit mit Ziel-, Wert- und Kriterienentscheidungen verknüpft, welche parallel in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollten und

4) eine deutsche "Gemeinsam Klug Entscheiden" Initiative mit Top-5 Listen für Über- und Unterversorgung darf innerhalb der Öffentlichkeit und der Gesundheitsberufe nicht den falschen Eindruck erwecken, die Herausforderungen von Über- und Unterversorgung und die gegenwärtig breit diskutierten ökonomischen Fehlanreize in der Medizin seien nun mit diesem einen Schlag gelöst. Sie könnte im Gegenteil die erforderliche Veränderung von Anreizsystemen mit thematisieren.

Das DNEbM hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche bis Ende Juni 2013 einen ersten Vorschlag für geeignete Methoden einer "Gemeinsam Klug Entscheiden" Initiative entwickeln wird. In Kooperation mit klinischen Experten und Patientenvertretern sollen im Anschluss einige exemplarische Top-5 Listen für Über- und Unterversorgung entwickelt werden, welche dann in einem Workshop Ende 2013 vorgestellt und hinsichtlich ihrer Eignung für eine größer angelegte deutsche Initiative diskutiert werden sollen.

Das DNEbM hat auf seiner Webseite zudem einen Schwerpunkt zum Thema "Choosing Wisely/Gemeinsam Klug Entscheiden" eingerichtet, der Informationsmaterialien zum Thema bereithält und über den aktuellen Stand und die Vorhaben der DNEbM AG informiert.

Kontakt

Prof. Dr. Dr. Daniel Strech
Stellvertretender Vorsitzender des DNEbM
Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
E-Mail: kontakt(at)ebm-netzwerk.de

Quelle: Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. Redaktion: von Miguel Krux, VDI Technologiezentrum GmbH Länder / Organisationen: USA Themen: Lebenswissenschaften Strategie und Rahmenbedingungen

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