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Aktuelle Entwicklungen im chinesischen Wissenschaftssystem

19. September 2024

China ist in den letzten zwei Jahrzehnten rasant zu einem zentralen Akteur im globalen Wissenschaftssystem geworden. Diese Entwicklung wird durch das Ziel, bis zum Jahr 2050 zur „führenden Wissenschaftsmacht der Welt“ zu werden und eine kontinuierliche Erhöhung der staatlichen Forschungsausgaben vorangetrieben.

Chinas Aufstieg zur Wissenschaftsmacht wird aber auch kritisch gesehen, u.a. da das chinesische Wissenschaftssystem eng mit dem Staat und dem Militär verbunden ist. Chinas wissenschaftlicher Aufstieg ist daher ein komplexes Phänomen: Während das Land eine beeindruckende Dynamik und Innovationskraft entwickelt, gibt es auch Herausforderungen in Bezug auf internationale Kooperation, Transparenz und ethische Standards.

An der Veranstaltung haben sich Vortragende der Lise Meitner Research Group, von Sinolytics, dem Mercator Institute for Chinese Studies (MERICS), vom Forschungszentrum Jülich, der Leibniz Universität Hannover und der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau beteiligt.

Kernaussagen aus den folgenden Vorträgen der Veranstaltungsreihe wurden von den Referentinnen und Referenten bereitgestellt.

Michael Laha, Sinolytics | Relevante Akteure und Maßnahmen zur Förderung der technologischen Unabhängigkeit der VR China: Die Rolle des chinesischen Bildungsministeriums

  1. Das chinesische Bildungsministerium (Ministry of Education, MoE) verfügt über das mit Abstand größte Budget aller Ministerien der Volksrepublik China, möglicherweise abgesehen vom Verteidigungsministerium, dessen Haushalt jedoch größtenteils geheim gehalten wird. Das MoE finanziert 65 forschungsorientierte Universitäten, die direkt dem Ministerium unterstellt sind. Die Rolle der MoE unterscheidet sich von dem des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie (Ministry of Science and Technology, MoST), in dem sie hauptsächlich die Forschung an Universitäten unterstützt (z.B. die Räumlichkeiten für Labore ermöglicht, gewisse Gehälter bezahlt, etc) wohingegen MoST für die Planung und strategische Ausrichtung der Forschungsvorhaben der Volksrepublik zuständig ist.

    Mehr Infos: China’s Endless Frontier: “Organized Scientific Research” and the Quest for Technological Self-Reliance, San Diego IGCC Policy Brief, Michael Laha, 30. April 2024
     
  2. Im Rahmen des gesamtstaatlichen Ansatzes der Volksrepublik China („Whole-of-Nation"-Approach) sind alle Ministerien und Behörden dazu verpflichtet, Strategien zu entwickeln, um technologische Selbstständigkeit zu erreichen. Das Bildungsministerium (MoE) reagierte auf diese Herausforderung, indem es mindestens 30 integrierte Forschungsplattformen (Integrated Research Platforms, IRPs) ins Leben rief. Während es auch in Deutschland integrierte Forschungsplattformen gibt, unterscheiden sich die chinesischen IRPs deutlich: Sie konzentrieren sich gezielt auf Bereiche, in denen China durch Exportkontrollen westlicher Staaten verwundbar ist.

    Mehr Infos: China macht sich unabhängig von der Welt: Wie Universitäten Peking helfen, Ausfuhrkontrollen zu umgehen, Tagesspiegel, Michael Laha, 14. Mai 2024
     
  3. Diese Initiativen haben bereits erste Erfolge erzielt, insbesondere im Bereich der Siliziumkarbid-Halbleiter, die für die Elektromobilität von entscheidender Bedeutung sind. In diesem Bereich gehört China inzwischen zur Weltspitze.

    Mehr Infos: Beijing Wants Science to Focus on Self-reliance, The Wire China, Michael Laha, 2. Juni 2024

Antonia Hmaidi, MERICS | Aktuelle Entwicklung in der Förderung strategischer Technologien in der VR China

Technologie ist ein zentraler Bestandteil von Chinas großer Strategie – Die große Erneuerung der chinesischen Nation („The Great Rejuvination of the Chinese Nation“)

  • China strebt nach technologischer Eigenständigkeit
  • US-Exportkontrollen verleihen der Importsubstitution Dringlichkeit und schaffen neue Anreize

Technologische Eigenständigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung

  • Wirtschaftliche Akteure richten sich nach staatlichen Zielen aus
  • Die KPCh glaubt, dass das sozialistische System einzigartig in der Lage ist, Ressourcen zu konzentrieren
  • Daher ordnet sie seit 2022 das Innovationssystem neu an, mit einer Zentralen Wissenschaft- und Technologiekommission auf höchster Ebene
  • China hat in Wissenschaft und Technologie schon Erfolge, wie die Höhe der Investitionen und der globale Marktanteil, aber hat große Herausforderung, Patente und Artikel in konkrete Anwendungen zu übertragen und mit der Qualität der Zwischenergebnisse

Das China Tech Observatory soll zu besseren Entscheidungen in Europa beitragen

  • Verständnis für Technologieentwicklungen in China ist zentral für Europas Kooperationen mit China, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit
  • China Tech Observatory soll Einblicke in Chinas Fortschritte in sechs kritischen Technologiebereichen geben: Künstliche Intelligenz, Halbleiter, Grüne Technologie, Digitale Netzwerke, Biotechnologien und Quantentechnologien

In Quantentechnologien waren Chinas Fortschritte kein Zufall

  • Chinas missions-orientierter Ansatz funktioniert am besten in Bereichen mit begrenzter Marktbeteiligung und klaren Zielen
  • Chinas Quantentechnologien sind relativ konzentriert um Hefei, wo Pan Jian-Wei politisch stark unterstützt wird und damit ein Cluster aufbaute
  • China veröffentlicht im Quantenbereich mehr, sieht sich aber selbst noch hinter den USA
  • China ist besonders gut in Quantenkommunikation, wo China und Europa beide sehr gute Forscherinnen und Forscher haben.

China strebt nach Unabhängigkeit in seiner Halbleiterproduktion

  • Halbleiter sind der Schlüssel für Chinas Streben nach technologischer Eigenständigkeit, da die digitale Wirtschaft und Pekings Militärpläne von Halbleitern abhängig sind.
  • US-Sanktionen und Exportkontrollen erhöhen die Priorität für Chinas technische Eigenständigkeit
  • Obwohl China immer mehr integrierte Schaltkreise produziert, ist seine Halbleiterproduktion noch immer sehr abhängig von ausländischen Technologien

Die „Neuen Drei“: Grüne Technologien werden gefördert und ausgebaut

  • Grüne Technologien werden 2023 häufiger in Politikdokumenten erwähnt als 2011
  • China baut neue Kapazitäten zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf
  • Erst seit 2019 sind grüne Technologien ein wichtiges Ziel von Wagniskapital-Investitionen. Elektrofahrzeuge dominieren hier
  • Seit 2022 konzentrieren sich chinesische Investitionen in Europa auf Elektrofahrzeuge und Batterien

China fokussiert sich auf Hardware und Herstellung

  • Unter Xi fokusiert sich China auf Hardware anstatt Software
  • Xi möchte eher dem Modell eines entwickelten Landes mit großer Industrie (Deutschland) als dem Modell eines service-orientierten entwickelten Landes (USA, GB) folgen
  • Seit 2021 hat Peking seine Tech-Firmen fest im Griff
  • Unternehmen sollen zu Chinas strategischen Zielen beitragen
  • Huawei ist vollständig auf die Prioritäten der Partei abgestimmt und verkörpert die größten Hoffnungen und Ängste Peking

 

Prof. Dr. Ingo Liefner, Leibniz-Universität Hannover | Organisation und Funktionsweise ausgewählter Cluster zu KI und Umweltschutz

Die Förderung von künstlicher Intelligenz und Umweltschutz genießt nicht nur in China politische Priorität. Weltweit gelten diese beiden Technologiebereiche als solche mit großem transformativem Potenzial. Von ihnen werden einerseits Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme erwartet, und andererseits verstärken sie den Wandlungsdruck auf die Gesellschaft. Vielfach befruchten sich künstliche Intelligenz und Umweltschutztechnologien wechselseitig, sodass man sie auch als Teile einer „Twin Transition“ bezeichnet.

Der chinesische Weg der koordinierten und beschleunigten Förderung beider Technologiefelder bedient sich des etablierten politischen Instruments der Förderung durch Cluster in Technologieparks. Diese Cluster bringen unterschiedliche Innovationsakteure zusammen, hauptsächlich forschende Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen und sogenannte Intermediäre, und initiieren wechselseitige Lern- und Austauschprozesse. Aufgrund der Aktualität und hohen Relevanz der Felder stehen Fragen der Technologiesouveränität und Technologieführerschaft stärker als früher im Raum, und zumindest in Teilen werden chinesische Akteure gegenüber ausländischen priorisiert.

Die Cluster in KI und Umweltschutz zeichnen sich durch ein charakteristisches Koordinationsmuster aus zentralstaatlichen Vorgaben und regionalen Anpassungen aus, dass sich insgesamt als vielfältig und leistungsfähig erweist.

Weiterführende Links:

China Tech Observatory (CTO)

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