Forschung in 6.000 Metern Höhe – das ist für die Gießener Lungenforscherinnen und Lungenforscher künftig permanent möglich. Nachdem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) schon seit Jahren Höhenforschungsprojekte in Kirgisien, Nepal, Indien und Chile betreiben, richten sie nun auf der tibetischen Seite des Mount Everest in Kooperation mit der Universität Lhasa in Tibet ein permanentes Höhenforschungslabor ein. Diese Forschungsstation macht die Forscherinnen und Forscher unabhängiger von Einzelexpeditionen oder Unwettereinflüssen. Das Kooperationsabkommen, auf das seit Jahren hingearbeitet wurde, erhielt jetzt die notwendige Zustimmung der chinesischen Zentralregierung. Das Abkommen wurde am 17. September in Peking unterzeichnet.
Zur Unterzeichnung des Abkommens waren die Gießener Lungenforscher Prof. Dr. Dr. Friedrich Grimminger und Prof. Dr. Ardeschir Ghofrani nach Peking gereist. Die Initiative für diese Kooperation geht auf das „Gießener Everest-Experiment“ von 2003/2004 zurück. Dieses war Ausgangspunkt mehrerer erfolgreicher Medikamentenentwicklungen für die Breitenmedizin. Auch Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorsitzender der hessischen SPD-Landtagsfraktion, war bei der Unterzeichnung dabei. Er hatte durch seine persönlichen Kontakte zur Kommunistischen Partei in China dazu beigetragen, dass das wissenschaftlich-medizinische Projekt politisch unterstützt wurde.
Das neue Höhenforschungslabor wird durch die Regierung der autonomen Region Tibet und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Auch Forscherinnen und Forscher des neuen, von Gießen aus koordinierten Deutschen Zentrums für Lungenforschung (gefördert mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums) sowie Arbeitsgruppen des UGMLC (Universities Giessen and Marburg Lung Center), das mit Mitteln aus dem Hessischen Exzellenzprogramm LOEWE finanziert wird, werden an dem Projekt beteiligt sein. Die internationale Mannschaft wird durch Forscherinnen und Forscher vom Imperial College London, der Universität Zürich und einer Task Force des Pulmonary Vascular Research Institutes (PVRI) ergänzt. Im Oktober beginnen die ersten Teams mit der Logistik und Aufbauarbeit am Mount Everest in Tibet.
Das Höhenforschungslabor bietet ausgezeichnete Möglichkeiten für die Lungenforschung. Denn in über 6.000 Metern Höhe erkrankt jeder Mensch tödlich: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Sauerstoffmangel die wichtigen Organe wie Herz, Lunge und Gehirn versagen lässt. Diese Situation gleicht der von chronisch Lungenkranken, aber auch der von intensivmedizinisch betreuten Patientinnen und Patienten und ist deshalb für die Breitenmedizin von großer Bedeutung.
Die Forscherinnen und Forscher möchten am Mount Everest die Mechanismen ergründen, wie eine Resistenz gegen Sauerstoffmangel entsteht – und wie sich die Akklimatisierung an Sauerstoffmangel beschleunigen lässt. Denn: „Sauerstoffmangel tritt auch bei Krankheiten wie Schlaganfall und Herzinfarkt auf. Eine solche medizinische Notfallsituation könnte mit Therapien, die auf Erkenntnissen der Höhenforschung basieren, besser überstanden werden“, so Grimminger.
Bislang sind die Mechanismen der zellulären Anpassung an den Sauerstoffmangel jedoch unverstanden und werden therapeutisch nicht genutzt. Sie laufen aber während der Höhenanpassung in jeder Bergsteigerin und jedem Bergsteiger ab – und sind somit das ideale Objekt für medizinische Forschung, die sich mit Erkrankungen beschäftigt, die durch Sauerstoffmangel ausgelöst werden.
Kontakt
Prof. Dr. Dr. Friedrich Grimminger
Direktor der Medizinischen Kliniken IV/V
Justus-Liebig-Universität Gießen
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH
Telefon: 0641 985-42371