Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie kann zum Beispiel Muskelschwäche oder Lähmungen, eine Minderung der Sehschärfe, eine krampfhafte Erhöhung der Muskelspannung, Gefühlsstörungen und Missempfindungen hervorrufen. Aus unbekannten Gründen beginnt bei drei bis fünf Prozent der Betroffenen die MS bereits im Kindesalter. „Gerade bei dieser jungen Patientengruppe gibt es viele offene Fragen zur richtigen Diagnose und Therapie“, sagt Privatdozent Dr. Mathias Buttmann, Oberarzt und Leiter der Neuroimmunologischen Spezialambulanz an der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg. So müssten bei Kindern bei der Diagnosestellung zum Beispiel Erkrankungen zusätzlich berücksichtigt werden, die im Erwachsenenalter kaum eine Rolle spielen. Zudem seien die diagnostischen Kriterien der MS bei Kindern weniger gut etabliert als bei Erwachsenen. „Auch bei der Therapie besteht Forschungsbedarf“, ergänzt Dr. Nicole Heußinger, Oberärztin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie am Klinikum Aschaffenburg, einem Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Während es für Erwachsene inzwischen viele, in Studien gut untersuchte Medikamente gebe, fehlten solche kontrollierten Studien für Kinder mit MS.
GRACE-MS: Gemeinsam forschen für Kinder mit MS
Um hier weiterzukommen, wurde im Jahr 2014 eine Allianz gegründet, in der sich bislang 27 Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam der Erforschung der kindlichen MS widmen. Auch die Würzburger Universitäts-Kinderklinik ist beteiligt. Die Forschergemeinschaft trägt den Namen GRACE-MS, eine Kurzform von „German-speaking Research Alliance for ChildrEn with MS“. Gemeinsam initiiert wurde sie von Dr. Heußinger und Dr. Buttmann.
Erstes Forschungsprojekt erfolgreich abgeschlossen
In einem ersten gemeinsamen Projekt untersuchten die Forscherinnen und Forscher an 357 Kindern mit einer isolierten Sehnervenentzündung rückblickend, welche Faktoren eine Prognose erlauben, ob sich im weiteren Verlauf eine MS entwickelt oder nicht. Diese Frage hat unter anderem unmittelbare praktische Bedeutung für die Entscheidung über den frühen Beginn einer vorbeugenden Behandlung. Die Sehnervenentzündung im Kindesalter ist eine sehr seltene Erkrankung, die häufiger als bei Erwachsenen beidseitig auftritt und seltener als bei Erwachsenen in eine MS übergeht. Im Rahmen der im März 2015 in der hochrangigen US-amerikanischen Fachzeitschrift Annals of Neurology vorab online publizierten Arbeit wurden frühere, kleinere Studien bestätigt und präzisiert, dass ein höheres Alter und ein pathologischer Befund im Kernspintomogramm des Kopfes voneinander unabhängige Risikofaktoren darstellen, im Verlauf eine MS zu entwickeln.
Kombination aus Kernspintomogramm und Nervenwasserbefund hoch aussagefähig
Erstmals belegt werden konnte die prognostische Bedeutung des Nervenwasserbefunds bei Kindern mit Sehnervenentzündung: Der Nachweis sogenannter oligoklonaler Banden ging mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, im Verlauf eine MS zu entwickeln. Oligoklonale Banden sind Eiweißstoffe, die auf eine Immunreaktion im zentralen Nervensystem hinweisen. Besonders hoch war die kombinierte Aussagekraft von Kernspintomogramm und Nervenwasser: Ein auffälliger Befund in beiden Untersuchungen bedeutete ein mehr als zwanzigmal höheres MS-Risiko, als bei in beiden Untersuchungen unauffälligem Befund. „Diese wichtigen Ergebnisse haben unmittelbare Bedeutung für die diagnostische Abklärung und Behandlung von Kindern mit Sehnervenentzündungen. Nach diesem gelungenen Auftakt hoffen wir, im Rahmen von GRACE-MS gemeinsam noch viel mehr für Kinder mit MS zu erreichen“, kommentieren Dr. Heußinger und Dr. Buttmann.
Veröffentlichung:
Oligoclonal bands predict multiple sclerosis in children with optic neuritis
Nicole Heussinger, Evangelos Kontopantelis, Janina Gburek-Augustat, Andreas Jenke, Gesa Vollrath, Rudolf Korinthenberg, Peter Hofstetter, Sascha Meyer, Isabel Brecht, Barbara Kornek, Peter Herkenrath, Mareike Schimmel, Kirsten Wenner, Martin Häusler, Soeren Lutz, Michael Karenfort, Astrid Blaschek, Martin Smitka, Stephanie Karch, Martin Piepkorn, Kevin Rostasy, Thomas Lücke, Peter Weber, Regina Trollmann, Jörg Klepper, Martin Häußler, Regina Hofmann, Robert Weissert, Andreas Merkenschlager, Mathias Buttmann, GRACE-MS.
Annals of Neurology 2015, online publiziert am 26.03.2015, doi: 10.1002/ana.24409