Forscher der Saar-Uni und der Universität Luxemburg untersuchen grenzüberschreitende Transfers in der Populärkultur der 1960er Jahre in Europa. So stehen etwa Unterhaltungsshows im deutschen, französischen und spanischen Fernsehen im Fokus eines Teilprojektes. Gefördert wird die Forschergruppe mit rund zwei Millionen Euro. Sprecher ist Dietmar Hüser, Professor für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes.
Waren Elvis, Fastfood und Clint Eastwood tatsächlich Ausdruck einer alles überragenden „Amerikanisierung“ der europäischen Gesellschaften der 1960er Jahre? Oder war dieser Einfluss amerikanischer Populärkultur nach dem Zweiten Weltkrieg kleiner als gedacht, und grenzüberschreitende Einflüsse etwa zwischen Frankreich, Spanien, Großbritannien und Deutschland spielten eine größere Rolle als landläufig angenommen? Solchen Fragen gehen in den kommenden drei Jahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Saarland und Luxemburg auf den Grund. Dabei spielen nicht nur Historiker eine wichtige Rolle. Auch Kulturwissenschaftler und Romanisten beleuchten populäre Künste der 1960er Jahre aus ihrer Perspektive.
„Die Sichtweise, dass die Populärkultur der Nachkriegszeit vor allem unter Amerikanisierungs-Gesichtspunkten gesehen werden muss, sollte unserer Auffassung nach relativiert werden“, sagt Dietmar Hüser, der als Zeithistoriker an der Saar-Universität den deutsch-luxemburgischen Forschungsverbund leitet. Seine Kolleginnen und Kollegen und auch sieben Nachwuchs-Wissenschaftler werden in einzelnen Projekten genau untersuchen, wie Unterhaltungssendungen, Musik und Jugendmedien dies- und jenseits europäischer Grenzen gewirkt haben. „Wir machen keine reine Formanalyse der jeweiligen Medien“, erklärt Professor Clemens Zimmermann, der ebenfalls an der Forschergruppe beteiligt ist. „Wir schauen uns an, wie eine Fernsehsendung entstanden ist. Wer macht sie? Wer schaut sie an?“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen also, wie Sendungen und Musik tatsächlich bei den Konsumenten gewirkt haben und nicht nur, wie sie formal aussahen und konzipiert waren. Damit wollen sie ihre These überprüfen, dass es neben der angenommenen Amerikanisierung noch einen sehr vielfältigen Austausch innerhalb der europäischen Länder gegeben hatte.
Dass sich nicht nur die Geschichte selbst stetig wandelt, sondern mit ihr auch die Geschichtswissenschaft, wird mit der neu eingerichteten Forschergruppe ersichtlich: War Geschichtsschreibung vor einem Jahrhundert vor allem noch politische und militärische Geschichtsschreibung – wer schlug wen im Felde, wer verhandelte mit wem einen Friedensvertrag? –, öffnete sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts thematisch. Ideen- und Sozialgeschichte, Technikgeschichte und andere Teilbereiche gewannen an Bedeutung. Inzwischen hat auch die Erforschung vergangener Populärkulturen die etablierte Geschichtswissenschaft erreicht.
Auch heute noch sind Forschungsvorhaben zur populärkulturellen Vergangenheit eher selten, zumal, wenn sie über Länder- und Disziplinengrenzen hinweg forschen. Insofern sind die Wissenschaftler auf deutscher und luxemburgischer Seite durchaus Pioniere, die den klassischen Kanon der Geschichtswissenschaften deutlich und sichtbar erweitern.