Ende Februar 2016 gab es in Deutschland 393.155 unbearbeitete Asylverfahren (Dezember 2015: 365.000 unbearbeitete Verfahren). Dazu kommen Schätzungen zufolge nochmals 300.000 bis 500.000 Flüchtlinge, die ihren Antrag bisher nicht stellen konnten. Um diesen Bearbeitungsstau aufzulösen, müssen die Asylanträge schneller bearbeitet und das Asylverfahren qualitativ verbessert werden. So lassen sich die Verfahren von unbegründeten Anträgen entlasten und das Asylsystem für Schutzbedürftige optimieren. Wie das gelingen könnte, zeigt das Schweizer Asylverfahren, das der Migrationsexperte Dietrich Thränhardt im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht hat.
Auch wenn die Flüchtlingszahlen 2015 in Deutschland bedeutend höher waren als in der Schweiz, zeigt die Asylreform der Eidgenossen, dass der Spagat zwischen schnellerer Bearbeitung und mehr Qualität gelingen kann.
„Deutschland kann das Schweizer Asylverfahren nicht blind kopieren. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kommunen sowie die schnelle und qualitätsvolle Bearbeitung der Asylanträge unter Einbezug von Rechtsbeiständen liefern aber wichtige Anregungen für Deutschland“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Beschleunigte Verfahren entlasten Kommunen
Kernelemente des seit 2012 reformierten Schweizer Asylverfahrens, das in Zürich erprobt und evaluiert wurde, sind zum einen die Priorisierung und schnellere Bearbeitung der Asylgesuche, zum anderen die qualitative Verbesserung der Verfahren durch staatlich finanzierte Rechtsbeistände. Dabei entlastet der Bund die Kantone und Gemeinden, indem die Asylbewerber anfangs zentral in Verantwortung des Bundes untergebracht werden. Während der zentralen Unterbringung werden alle Asylanträge kategorisiert: In einfach zu entscheidende und komplexere Verfahren.
Zu den einfach zu entscheidenden Verfahren gehören Asylgesuche mit geringen oder mit hohen Erfolgsaussichten. Schutzbedürftige Personen sollen dadurch schnell einen positiven, Personen ohne Schutzanspruch einen negativen Bescheid erhalten. Personen ohne Schutzanspruch sollen innerhalb von höchstens 140 Tagen das Land verlassen – eine mögliche Beschwerde gegen den Bescheid eingerechnet. Das betrifft insbesondere Asylbewerber vom Westbalkan und aus afrikanischen Ländern wie Marokko und Nigeria.
Anträge aus diesen Ländern werden in sogenannten "48-Stunden-Verfahren" und "Fast-Track-Verfahren" bearbeitet. Die beschleunigten Verfahren haben dazu geführt, dass die Anzahl der Anträge aus Ländern mit geringen Erfolgsaussichten zurückgegangen sind. Die zweite Kategorie komplexerer Verfahren betrifft Asylgesuche, bei denen weitere Nachforschungen erforderlich sind. Diese Anträge werden innerhalb eines Jahres entschieden und die Asylbewerber werden dezentral untergebracht, wofür die Kantone und Gemeinden zuständig sind.
Rechtsbeistände für die Flüchtlinge
Die Beschleunigung der Verfahren geht in der Schweiz nicht auf Kosten der Qualität. Die Flüchtlinge erhalten während des Asylverfahrens vom Bund finanzierte Rechtsbeistände. Die Begleitung durch die Anwälte gilt für alle Verfahrensschritte. Das erhöht nicht nur die Transparenz für die Asylbewerber, sondern auch die Akzeptanz möglicher negativer Bescheide und den Verzicht auf aussichtslose Klagen.
Unumstritten ist das neue Verfahren auch in der Schweiz nicht. Zwar beschloss das Schweizer Parlament im vergangenen Herbst das in Zürich erprobte Verfahren für die gesamte Schweiz einzuführen, aber erst eine Volksbefragung in diesem Jahr wird entscheiden, ob die Reform Bestand hat.
Was kann Deutschland lernen?
Trotz der begrenzten Vergleichbarkeit aufgrund unterschiedlicher Flüchtlingszahlen, leitet die Studie Empfehlungen für Deutschland ab. Dazu gehören die Kategorisierung der Asylgesuche, die klare Verfahrensstruktur mit Zeitvorgaben und Beschleunigung der einfachen Verfahren, die Verbesserung der Qualität durch Rechtsbeistände sowie die Entlastung der Gemeinden durch die Bundeszentren. Diese Maßnahmen fördern die Funktionsfähigkeit und Fairness des Asylsystems.
"Schnellere und bessere Asylverfahren kommen allen zugute: den Asylbewerbern, die früher Klarheit über ihre Perspektiven in Deutschland gewinnen, aber auch den Kommunen, die sich stärker auf die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen mit Schutzperspektive konzentrieren können", so Jörg Dräger. "Es ist zu begrüßen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinen neuen Ankunftszentren zukünftig schnellere Verfahren durchführen und die Kommunen entlasten will – dabei ist aber auch auf die Qualität der Asylentscheide nach Schweizer Vorbild zu achten."
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