StartseiteLänderEuropaFrankreichDer Mathematiker Martin Adler analysiert die Gründe für den Erfolg der französischen Mathematik bei den Fields-Medaillen

Der Mathematiker Martin Adler analysiert die Gründe für den Erfolg der französischen Mathematik bei den Fields-Medaillen

Martin Andler lehrt an den Universität Versailles-St. Quentin. Im Nachgang zu der Verleihung der Fields-Medaille an die Franzosen Bao-Châu Ngô und Cédric Villani (Hyderabad, 19.8.2010) stellt er in Le Figaro vom 24.8.2010 ("Débats Opinions") die Frage: "Warum ist die französische Mathematik so exzellent?"

Martin Andler sieht in der seit 1990 einsetzenden Erfolgskette französischer Mathematiker nur "die Spitze eines Eisberges". Er weist darauf hin, dass in Hyderabad von etwa 200 um einen Beitrag gebetenen Wissenschaftlern 26 aus der "Ecole francaise de mathématiques" hervorgegangen sind. Insgesamt gesehen sei dies die "Frucht eines Systems, aus dem einige Lehren gezogen werden könnten":

  1. In Frankreich stammen exzellente Forscher nicht aus einigen wenigen "centres d' excellence". Die 26 französischen Mathematiker, die gezielt aufgefordert wurden, für das Kongressprogramm in Hyderabad einen Fachbeitrag zu leisten, arbeiten in 14 verschiedenen Zentren der Île-de-France und der französischen Provinz.
    Das ist kein Zufall: Das CNRS begünstigt diese Organisationsstruktur durch die Einrichtung sog. "Unités mixtes de recherche" (UMR) an allen französischen Universitäten. Diese UMR stellen - unter Vermeidung der "Falle" von Einstellungen vor Ort - die besten französischen und ausländischen Mathematiker ein. Diese werden nach Zugehörigkeit zum CNRS während einiger Jahre häufig Universitätsprofessoren.

  2. Von erheblicher Bedeutung ist die Rolle der "Ecole Normale Supérieure" (ENS). Zehn der elf  französischen Träger der Fields-Medaiile sind ehemalige Schüler der "Rue d' Ulm".

  3. Die Erfolge der letzten Jahre sind das Ergebnis einer seit den achtziger Jahren langfristig angelegten Poltik.

  4. Die "Rue d' Ulm" nahm in diesen Bemühungen dadurch einen wichtigen Platz ein, dass sie die in ihr vermittelte "Lehre" erneuerte und ein mathematisches Forschungsinstitut aufbaute.
    Auf dieser Grundlage und in Wahrnehmung ihres auf ganz Frankreich bezogenen Mandats wirkte sie in erheblichem Umfang auf die Universitäten ein ("irriguer").
    In gleicher Weise sind auch die anderen ENS und die "Ecole Polytechnique" vorgegangen.
    Die Exzellenz der französischen Mathematik ist deshalb eine Gemeinschaftsleistung.

  5. Um in 20 Jahren glänzende Mathematiker zu haben, müssen mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein:

    • die Schaffung der intellektuellen und materiellen Bedingungen, die einen Aufschwung der Forschung erlauben

    • die Weckung einschlägiger Berufungen von der Kolleg- und Lyzeumsstufe an. Seit der Einführung des "baccalauréat S" heutiger Prägung hat die Mathematik zu Gunsten der experimentellen Wissenschaften viel an Bedeutung verloren.
      Die gegenwärtig umgesetzte Lyzeums-Reform wird daran nichts ändern.

    • ein  "System der Früherkennung von Talenten", über das Frankreich im Gegensatz zu manchen anderen Ländern nicht verfügt;
      Die sehr bescheidenen Ergebnisse Frankreichs auf Platz 30 bei der "Internationalen Olympiade der Mathematik" (2010) liefern den Beweis hierfür.

  6. Die Ermutigung junger Menschen - Mädchen wie Jungen - sich für anspruchsvolle naturwissenschaftliche Studiengänge zu entscheiden, um Lehrer, Ingenieure oder Forscher zu werden:
    Die abnehmende Zahl von Mathematikern in den verschiedenen Zweigen des Systems der französischen Universitäten ist dramatisch. Sie wird von den "écoles d' ingénieures" nicht kompensiert. An der "Ecole Polytechnique", die seit 50 Jahren exzellente Mathematiker hervorgebracht hat, entscheiden sich immer weniger Studierende für die mathematische Forschung.
Quelle: Le Figaro vom 24.8.2010 Redaktion: Länder / Organisationen: Frankreich Themen: Bildung und Hochschulen Infrastruktur Grundlagenforschung

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