Der Rechnungshof hat im Rahmen von Anhörungen den Akteuren des Erziehungswesens Gelegenheit gegeben, zu seinen Bemerkungen und Empfehlungen Stellung zu nehmen.
Le Figaro vom 13.5.2010 gibt einem ausführlichen, dem Bericht des Rechnungshof gewidmeten, Artikel die Überschrift " Erziehungswesen: der Rechungshof klagt an". Die überregionale Tageszeitung bezeichnet darin das vom Rechnungshof für die Erstellung seines Berichts gewählte Verfahren als "révolution"; es sei das erste Mal, dass das französische Erziehungswesen Gegenstand einer Erfolgskontrolle durch den Rechnungshof sei.
Der Bericht steht im Zusammenhang mit der "Loi organique relative aux lois de finances" (2001), die erst vor wenigen Jahren in Kraft getreten ist und der "Loi d' orientation sur l' école" aus dem Jahre 2005 ("Loi Fillon"). Das Haushaltsstrukturgesetz von 2001 führte erstmals Erfolgsparameter als Instrument haushaltspolitischer Mittelzuweisungen ein, während die "Loi Fillon" von 2005 in Zahlen festgeschriebene erziehungspolitische Ziele enthält.
Die Messlatte, die der Rechnungshof seinem jetzt vorgelegten, mehr als 200 Seiten umfassenden Bericht vorgibt, lautet: " Das nationale Erziehungswesen gegenüber dem Ziel des schulischen Erfolgs aller Schüler".
Der Bericht stellt fest, dass die Lösung der Probleme, vor denen die Schulen auf den verschiedenen Stufen des französischen Erziehungssystems stehen, nicht in einer Erhöhung der finanziellen und personellen Mittel gefunden werden kann. Frankreich liege hinsichtlich der eingesetzten finanziellen und personellen Mittel im Mittelfeld aller OECD-Staaten. Vielmehr beruhten die Schwierigkeiten des französischen Schulwesens auf seiner mangelnden Anpassung an die Bedürfnisse der Schüler; dies liege u.a. daran, dass das Erziehungsministerium auf eine landesweit einheitliche Schulpraxis (Einrichtungen und deren Personal) setze.
Ein weiterer Grund für die Schwäche des französischen Erziehungssystems sei, dass die Organisation der Schulen es nicht erlaube, in ausreichendem Umfang bestehende Ungleichheiten im Leistungsniveau der Schüler - trotz seit vielen Jahren unternommener Bemühungen in dieser Richtung - zu beheben.
Hinzutrete - so der Rechnungshof - , dass die für die Konziperung der Bildungspolitik und deren Durchführung Verantwortlichen nicht genügend mit den Kosten der jeweils verfolgten Schulpolitik vertraut seien.
Weiter sei zu beklagen, dass die einzelnen Schulen wegen der Schwerfälligkeit der nationalen Unterrichtsprogramme und des praktizierten Systems der Mittelzuweisungen nur in sehr geringem Umfang über eigene Gestaltungsmöglichkeiten verfügten.
Auch die zu sehr an Dienstalter-Gesichtspunkten und weniger an den Erwartungen der Schüler orientierte Personalpolitik lasse sehr zu wünschen übrig.
Ein Beispiel für den kostentreibenden Charakter des französischen Schulsystems sei auf der Lyzeumsstufe die Zersplitterung der "Optionen", für die sich die Schüler entscheiden könnten. Weiter sei - so der Rechnungshof - festzustellen, dass der Lehrerberuf noch immer zu sehr an bloßer Wissensvermittlung orientiert sei; die einschlägigen Dekrete seien seit 1950 nicht geändert, d. h. nicht fortentwickelt worden.
Schließlich sei die - zuletzt im Jahre 2008 - eingeführte Aufteilung und Bemessung der wöchentlichen Unterichtszeit ein letztes Symptom eines Erziehungssystems, das zu wenig an den Interessen der Schüler orientiert sei.
Insgesamt sei - so der Rechnungshof - festzustellen, dass das französische Schulsystem die Tendenz habe, die Schüler zu begünstigen, die keine besonderen Schwierigkeiten hätten. Das sei aber nur etwas mehr als die Hälfte jeder Altersklasse. Frankreich sei das westliche Land, das am weitesten von dem Ziel der Chancengleichheit im Bildungswesen entfernt sei. Ein Grund hierfür sei darin zu sehen, dass Frankreich eines der entwickelten Länder sei, wo man im Vergleich zu der Lyzeumsstufe am wenigsten für die Grundschule ausgebe, obwohl allgemein anerkannt sei, dass man schulische Defizite schon von dieser Stufe an bekämpfen müsse.
Der Bericht schließt mit drei Hauptempfehlungen ab:
- die Verwaltung des Schulsystems umgestalten (vier Unterempfehlungen)
- die Schulorganisation den Bedürfnissen der Schüler anpassen (drei Unterempfehlungen)
- die Erteilung des Unterrichts durch die Lehrer der Kolleg- und Lyzeumsstufe auf den verschiedenartigen Charakter ihrer Aufgaben abstimmen (zwei Unterempfehlungen)
- die Entscheidungsbefugnisse der einzelnen Einrichtungen verstärken (zwei Unterempfehlungen)
- außergewöhnliche Anstrengungen zugunsten derjenigen Einrichtungen in die Wege leiten, die mit den größten schulischen Problemen konfrontiert sind (zwei Unterempfehlungen).
Als Anlage ist dem Bericht des Rechnungshofes eine acht Seiten umfassende Stellungnahme des Erziehungsministeriums zu dem Bericht und seinen Empfehlungen beigefügt (Seiten 201 - 209).