Es handelt sich um den zweiten Teil des Gesamtberichts der von den Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats nach dem Reaktorunfall von Fukushima im März 2011 ins Leben gerufenen "Mission Parlementaire" (36 Mitglieder des OPECST und zusätzlich 7 Abgeordnete der Nationalversammlung und 8 Mitglieder des Senats der jeweils zuständigen Ausschüsse); diese hatte bereits am 30.6.2011 als Teil 1 des von ihr angeforderten Berichts einen umfangreichen Bericht mit dem Schwerpunkt die "Nukleare Sicherheit" vorgelegt; er steht unter der nachfolgenden Internetanschrift zur Verfügung:
www.assemblee-nationale.fr/13/dossiers/securite_nucleaire.asp
Die "Mission Parlementaire" konzentrierte seit September 2011 ihre Arbeit in erster Linie auf die mit der Zukunft der Elektrizitätserzeugung mittels Kernenergie zusammenhängenden Fragen Hierüber hat sie 4 öffentliche Sachverständigenanhörungen durchgeführt, die in einem gesonderten Band des Gesamtberichts ins Netz gestellt wurden.
Der Abgeordnete Christian Bataille (PS) unternahm als Berichterstatter der "Mission Parlementaire" Informationsreisen nach Deutschland und Japan.
Die "Mission Parlementaire" beanstandet in ihrem Abschlussbericht zunächst die "unannehmbare Untätigkeit" der Regierung hinsichtlich der von ihr in ihrem Teilbericht vom 30.6.2011 ausgesprochenen Empfehlungen zu der von der ASN nachdrücklich geforderten Verstärkung der Organisation der ASN (u.a. derjenigen betreffend die Umgestaltung des Haushaltes der "Autorité de sûreté nucléaire" (ASN) und einer Studie zu den rechtlichen Möglichkeiten, der Erteilung von Unteraufträgen für in den KKW durchzuführenden Arbeiten eine klare Rechtsgrundlage zu geben, um auf diese Weise eine "Kaskade von vertraglichen Vereinbarungen" zu verhindern; letztere führten - so die "Mission Parlementaire" - letztlich zu einer "irresponsabilité opérationnelle".
Die Empfehlungen des Teilberichts vom 30.6.2011 stehen unter der nachstehenden Internetanschrift zur Verfügung:
www.assemblee-nationale.fr/13/cr-oecst/recommandations_securite_nucleaire_30062011.pdf
Die Mitglieder der "Mission Parlementaire" nehmen - abweichend den von der Regierung zwischenzeitlich erteilten mehr technischen Aufträgen (Analyse der Kosten der Kernenergieerzeugung durch den Rechnungshof; Analyse durch eine achtköpfige Expertenkommission der möglichen energiepolitischen Szenarien in Vorbereitung der nächsten "Mehrjahresplanung der Investitionen" /PPI in der Perspektive des Jahres 2050 - für sich in Anspruch, auf einer "strategischen Ebene" ("plan stratégique") Stellung zu beziehen. Diese sieht sie in 4 Prioritäten:
- der Notwendigkeit in ausreichender Menge Elektrizität zur Verfügung zu haben (Grundlast)
- der Gewährleistung der energiepolitischen Unabhängigkeit Frankreichs
- der Erhaltung und Gewährleistung der Weiterentwicklung des französischen "wirtschaftlichen Gewebes" ("tissu économique" )
- dem Kampf gegen Veränderung des Klimas ("neutralité environnementale"); hier spielt der französische Emissionsausstoß von nur 90 gr pro kWh im Vergleich zu einem Ausstoß von 430 gr pro kWh in Deutschland wegen des großen Anteils nuklear erzeugter Energie in Frankreich argumentativ eine wichtige Rolle).
Einer der Leitgedanken des Berichts besteht darin, dass die Entscheidung über energiepolitische Optionen jeweils von den "spezifischen nationalen Bedingungen und von den einschlägigen historischen Abläufen" ("conditions géographiques et historiques") eines Landes abhängt; so verfüge Frankreich - im Gegensatz zu Deutschland (Braunkohle) praktisch über keinerlei energierelevanten Bodenschätze. Daraus entwickelt die "Mission Parlementaire" ihr Plädoyer für eine "trajectoire raisonnée" im Sinne einer "transition très progressive" der französischen Kernenergieerzeugung in der Perspektive des Jahres 2050. Grundsätzlich geht die "Mission Parlementaire" von einer Laufzeit eines KKW der 2. Generation von 50 Jahren aus.Deshalb soll - so die "Mission Parlementaire" - 1 Reaktor von 2 nach dem Ende seiner Laufzeit durch einen Reaktor der 3. Generation (EPR, 1600 MW) ersetzt werden (die Entscheidung über die endgültige Stillegung eines KKW müsse von der unabhängigen ASN getroffen werden); das bedeute , dass im Jahre 2050 etwa 30 EPR die Erzeugung von 50 % bis 60 % der französischen Elektrizitätserzeugung (30 % um das Jahr 2100) übernehmen würden (Seite 70 des Abschlussberichts). Im Jahre 2011 liegt in Frankreich der Prozentsatz der mittels Kernernergie erzeugten Elektrizität noch zwischen 75 % und 80 %.
Sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen - so argumentiert die "Mission Parlementaire" - aber auch als Folge der großen Investitionen in die Entwicklung der fossilen ("centrale thermique à flamme" /Brennstoffkraftwerk ) und nuklearen Energie in der Vergangenheit werde zu einem bedeutenden Teil noch für viele Jahre die energiepolitische Entwicklung zwischen diesen beiden Erzeugungsformen verlaufen.
Neben den mit dem Bau und dem Betrieb von Kernkraftwerken zusammenhängenden Ausführungen des Berichts behandelt dieser u.a. auch die die (End-) Lagerung radioaktiver Abfälle (Seiten 50 ff des Gesamtberichts) und die erneuerbaren Energien (Seiten 42 ff); hinsichtlich letzterer werden insbesondere die naturbedingten Lieferunterbrechungen der Wind- und Sonnerenergie ("gestion de l' intermittence") und das z.Zt. noch ungelöste Frage der Energiespeicherung (Seiten 60 - 61 des Abschlussberichts und der rechtzeitigen Installierung "intelligenter Netze" ("smart grids") als Probleme herausgestellt. Die Zukunft des französischen Energie-Mix hänge entscheidend von der Geschwindigkeit der industriellen Reife der vorgenannten Fragen ab (Seiten 73, 75 des Abschlussberichts).
In der den Abschlussbericht kennzeichnenden langfrisitigen Betrachtungsweise wird auch auf das notwendige Kontinuum zu den künftigen Technologien der Energieerzeugung (insbesondere KKW der 4. Generation und Kernfusion) von der "Mission Parlementaire" hingewiesen (Seiten 63, 64 des Abschlussberichts).
Die in den Abschlußbericht (Seiten 99 ff) aufgenommenen Reiseberichte des Abgeordneten Chrisitian Bataille "Énergie: l' Allemagne un cas particulier" sowie "Le Japon après Fukushima: principaux enseignements" verdienen Aufmerksamkeit.