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Frankreich: Stellungnahme der Académie des Sciences zur Bibliometrie als Messlatte der Evaluierung von Einzelforschern

Die Académie des Sciences - einer der fünf Akademien des Institut de France - bringt in einer am 17.1.2011 Forschungsministerin Valérie Pécresse übergebenen Stellungnahme ihre Betrachtungsweise in der in Kreisen der Wissenschaft lebhaft diskutierten Frage zur Geltung. Die Stellungnahme trägt die Überschrift "Du bon usage de la bibliometrie pour l' évaluation individuelle des chercheurs" und stellt die Bibliometrie als Messlatte der Evaluierung von Einzelforschern in der zur Zeit teilweise praktizierten Form in Frage.

Die Kernaussagen der Académie des Sciences finden in fünf Empfehlungen ihren Niederschlag:

  1. Die Verwendung bibliometrischer Indikatoren für die Evaluierung von Einzelforschern hat nur dann einen Wert, wenn bestimmte sehr wichtige Bedingungen respektiert werden.
  2. Die Bibliometrie darf sich nicht auf Zahlen (Anzahl wissenschaftlicher Publikationen und von Zitaten, die auf diese Bezug nehmen) beschränken, sondern muss mit einer vertieften Prüfung der bibliometrischen und bibliographischen Daten und wenn möglich der Publikation / des Artikels selbst einhergehen.
  3. Die bibliometrischen Indikatoren können je nach dem Gegenstand einer Evaluierung (z. B. Einstellung junger Forscher; Beförderungen; Vergabe von Forschungsaufträgen; Verleihung von Auszeichnungen) nicht in gleicher Weise Verwendung finden.
  4. In größtmöglichem Umfang müssen die Rolle, die ein Forscher in einem wissenschaftlichen Kollektivbeitrag spielt, und sein effektiver Beitrag zu der betreffenden Veröffentlichung Berücksichtigung finden.
  5. Die bibliometrische Evaluierung als solche muss zum Gegenstand der Forschung gemacht werden, um ihren Wert zu erhöhen. Frankreich muss zu diesen Überlegungen beitragen.

Schon in der Einleitung zu ihrer 70 Seiten umfassenden Stellungnahme (Seite 8) lässt die Académie des Sciences einen gewissen Zweifel an der Objektivität und der Art und Weise erkennen, mit der Bibliometrie als Instrument der Evaluierung von Einzelforschern verwendet wird. Sie misst - auch wenn zahlreiche Fälle sachwidriger qualitativer Evaluierungen ("soumises à une plus grande subjectivité") durch Fachkollegen beobachtet werden konnten - dieser Form der Evaluierung eine unverzichtbare Rolle zu. Bei allen notwendigen Einschränkungen komme der Bibliometrie für die Evaluierung eines Einzelforschers durch Fachkollegen jedoch eine Rolle als Entscheidungshilfe zu.

Die Académie des Sciences unterstreicht mit Nachdruck, dass es die Bibliometrie in keinem Fall erlaube, die Leistungen von Forschern verschiedener Disziplinen miteinander zu vergleichen. Es sei notwendig, "règles de bon usage" der Bibliometrie für die Evaluierung von Forschern zu entwickeln; damit komme man gleichzeitig einem von der "Agence d' évaluation de la recherche et de l' enseignement supérieur" (AERES) geäußerten Wunsch nach. Die als Bestandteil einer Evaluierung von Einzelforschern verwendeten bibliometrischen Indikatoren müssten bekannt und zumindest für die ganze EU Gegenstand eines Konsenses sein.

Die Berichtsautoren unterstreichen die Bedeutung von Überlegungen zur Verbesserung bibliometrischer Indikatoren (Seite 26) und entwickeln hierzu fünf Vorgaben. Sie halten es für erwünscht, festzustellen, ob ausländische Universitäten bereits Studien zu dieser Frage durchgeführt haben. Es müssten Kriterien ausgearbeitet werden, um die Originalität eines wissenschaftlichen Beitrags, seinen innovativen Gehalt, seine Ausstrahlung sowie gegebenfalls seine eine neue Gedankenschule begründenden Aussagen zu bewerten. Was die Ausarbeitung neuer bibliometrischer Indikatoren betreffe, sei dies nur auf europäischer Ebene denkbar.

Die Anlagen 2, 3 und 4 der Stellungnahme der Académie des Sciences lassen zusätzlich deren Bestreben erkennen, ihre Empfehlungen durch eine umfassende Bestandsaufnahme der bisherigen bibliometrischen Praxis der Evaluierung von Einzelforschern zu untermauern.

Vor diesem Hintergrund macht Le Monde vom 4.2.2011 die Frage "Kann man die Forschung evaluieren?" zum Gegenstand einer zweiseitigen "Contre-enquête France", die in zwei Unterfragen gegliedert ist:

  • "Über welche Werkzeuge verfügt man, um die Arbeiten der Wissenschaftler zu kontrollieren?" sowie
  • "Versuchen die Forscher das bestehende Evaluierungssystem zu umgehen?"

Die von praxinahen Persönlichkeiten durch Le Monde eingeholten Beiträge verleihen einer gewissen Verunsicherung und auch Abwehrhaltung der Forschergemeinde gegenüber einer "Überevaluierung" (so Yves Gingras, Wissenschaftshistoriker an der Universität von Quebec in Montreal) Ausdruck.

Quelle: Le Monde vom 4.2.2011 Redaktion: Länder / Organisationen: Frankreich Themen: Strategie und Rahmenbedingungen Fachkräfte Infrastruktur

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