Auf Einladung der Forschungsministerin fand am 18.2.2010 in den Räumen des Ministeriums ein Kolloquium "Die Humanwissenschaften, ein neues Nachwuchsreservoir für das Unternehmen" statt. An ihm nahmen auch etwa zehn Unternehmenschefs bzw. hochrangige Vertreter der Personalabteilungen von Unternehmen teil.
Bei dieser Gelegenheit wurden die Ergebnisse einer von der Firma "Opinion Way" erstellten Studie zu der Frage präsentiert, wie die Absolvierung eines geistes-, sprach-, human- und sozialwissenschaftlichen Studiums (LLSHS) aus der Sicht der französischen Unternehmen bewertet wird.
Im Rahmen des Kolloquiums beschäftigten sich zwei "Runde Tische" mit folgenden Fragen:
- "Wenn die Unternehmen ihren Glauben an die humanwissenschaftlichen Studienrichtungen entdecken"
Hier wurden die im Rahmen der Pilotprojekte PHENIX und ELSA gewonnenen Erfahrungen dargestellt und die Gründe ihres Erfolgs hinterfragt ("best practices"). - "Wie den nächsten Gang einlegen?"
Trotz der von den Absolventen der LLSHS unter Beweis gestellten Fähigkeiten zu Analyse, Synthese und Argumentation sowie Kommunikation und Anpassung besteht von Seiten der Unternehmen gegenüber ihnen noch eine abwehrende Haltung. Sie tun sich schwer, die Absolventen dieser Fachrichtungen richtig einzuschätzen und zwar unabhängig davon, ob sie Inhaber einer Licence, eines Master-Abschlusses oder eines Doktorats sind.
An diesem "Runden Tisch" nahmen neben der Präsidentin der "Université Sorbonne Nouvelle - Paris 3" drei hochrangige Vertreter französischer Großunternehmen (L' Oréal; Groupe Société Générale; Danone) teil.
Das Kolloquium und die in seinem Rahmen vorgestellte Studie von "Opinion Way" zeigte, dass sich in Frankreich mit den LLSHS einerseits und den Unternehmen andererseits zwei Welten gegenüberstehen. Zum Teil kennen die Unternehmen die einschlägigen Studiengänge nicht. Das wurde von dem Chef eines Unternehmens in der Diskussion u.a. darauf zurückgeführt, dass von Seiten der Universitäten die Auffassung verbreitet wird, "man müsse Lehrer werden oder im öffentlichen Sektor arbeitern. Die Fakultäten müssten sich mehr öffnen".
Die Forschungsministerin stellte in ihrer Ansprache zum Abschluss das Kolloquium in den größeren Zusammenhang der von ihr seit Mitte 2007 mit dem Hochschulreformgesetz eingeleiteten Politik ("Plan Licence"; Einführung von Erfolgsparametern bezüglich der gelungenen Eingliederung ihrer Absolventen in das Berufsleben/"indicateurs de l' insertion").
Unabhängig von dem legitimen Bedarf der öffentlichen Hand an einem auf der Grundlage eines Generalistenverständnisses ausgebildeten Nachwuchses müsse man vom privaten Sektor eine Diversifizierung des Potentials erwarten, aus dem er die Einstellung ihrer Nachwuchskräfte speist, und damit verbunden eine Vervielfachung des Arbeitsplatzangebotes für Absolventen der LLSHS.
Valérie Pécresse würdigte noch einmal den ihr am 14.1.2010 vorgelegten Bericht des "Conseil pour le Développement des Humanités et des Sciences Sociales" und die von ihm zu der im Rahmen des Kolloquiums angesprochenen Fragen formulierten Empfehlungen, ebenso die von 10 großen Unternehmen getragene "Opération PHENIX" (Festanstellung von Absolventen der SHS des Niveaus "Master II" in Verbindung mit einer ergänzenden Ausbildung, die diese schnell mit den Gegebenheiten der betrieblichen Praxis vertraut machen soll).
Die Ministerin sprach sich gleichfalls lobend zu den Verdiensten der "procédure ELSA" aus, die seit einigen Jahren eine bessere Anpassung der Studierenden an die Anforderungen der Unternehmensseite zum Ziel hat.
Sie sprach sich für die Einführung eines "Label de la bonne insertion SHS" an die in diesen Fragen erfolgreichen Unternehmen aus. Um den Ergebnissen von PHENIX und ELSA sowie anderer vergleichbarer Initiativen landesweit breitere Geltung zu verschaffen, könne sie sich die Gründung eines "Comité de labellisation" durch die beteiligten Akteure vorstellen. Seine erste Aufgabe solle darin bestehen, Leitlinien für die berufliche Eingliederung ("Charte des bonnes pratiques de l' insertion SHS") auszuarbeiten.
Le Figaro vom 19.2.2010 gab dem einschlägigen Artikel von Marie-Estelle Pech die Überschrift "Die Humanwissenschaften von dem Unternehmen noch schlecht angesehen". Zwar fänden 76 % der Inhaber einer "licence de lettres" einen Arbeitsplatz, aber häufig für minderwertige Aufgaben.