StartseiteLänderEuropaFrankreichFranzösisches Generalkommissariat für Strategie und Vorausschau legt umfassende Analyse "Welches Frankreich in zehn Jahren?" vor

Französisches Generalkommissariat für Strategie und Vorausschau legt umfassende Analyse "Welches Frankreich in zehn Jahren?" vor

Das französische Generalkommissariat für Strategie und Vorausschau war aufgefordert worden, als Basis für eine Regierungsklausur am 19. August 2013 eine Analyse zur Lage Frankreichs sowie zur Gestaltung dessen Politik für die kommenden zehn Jahre vorzubereiten. Präsident Hollande, der diese Klausur eröffnete, hat die Mitglieder seiner Regierung aufgefordert, eine Strategie für die kommenden Jahre zu erarbeiten.

Die Analytiker des französischen Generalkommissariats für  Strategie und Vorausschau (Commissariat général à la stratégie et à la prospective, CGSP) sowie dessen korrespondierenden Netzwerkes beschreiben in ihrem Bericht „welches Frankreich in zehn Jahren“ die Situation Frankreichs im globalen Umfeld. Danach bringen die sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse Unsicherheiten mit sich, denen angemessen zu begegnen sein wird: in zehn Jahren werde die Mittelschicht der Weltbevölkerung - üblicherweise beschrieben mit täglichen Ausgaben zwischen 10 US$  und 100 US$  per capita  -  auf vier Milliarden Menschen anwachsen, im Vergleich zu 2,1 Mrd. heute und 1,2 Mrd. vor zehn Jahren. Mehr als die Hälfte davon werden in Asien leben. Während der letzten beiden Jahrzehnte lebten die Konsumenten im Norden, vor allem in den USA, und die Produzenten in Süden, vor allem in China. Diese Produzenten begännen, Konsumenten zu werden, und der Trend werde sich verstärken.

Im Jahre 2000 erschien noch keines der aufstrebenden Länder in der Rangliste der Forschung und Entwicklung treibenden Nationen unter den ersten fünf, in 2010 hatten China und Südkorea bereits Frankreich und Großbritannien verdrängt; die stark zunehmende Zahl an Studenten in diesen Ländern werde auch diesen Trend verstärken. Vor 20 Jahren war das Wissen in Norden und die Verschuldung im Süden, heute seien die Probleme der Überschuldung im Norden und das Wissen zunehmend im Süden.

Globale Unsicherheiten seien vor allem geopolitsicher Natur: Rivalität USA-China, Spannung im mittleren Osten und die Zunahme demokratischen Aufbegehrens in autoritär geführten Ländern.

Europas Zukunft erscheine weniger klar: seit 50 Jahren sei Europa eher ein Element der Unsicherheit als der Stabilität. Da vermische sich die ökonomische Frage (das Wiederherstellen des Gleichgewichtes in der Eurozone) mit der institutionellen Frage (des Vermögens der Europäer, sich über das Maß an politische Integration unter den Euro-Mitgliedsländern zu verständigen) und mit der politischen Frage  nach der Finalität der Europäischen Union. Frankreich komme hier eine besondere Verantwortlichkeit bei der Wahl zwischen  mehr Integration oder mehr Desintegration zu.

Zu Frankreich selbst sagt der Bericht, dass das Land in zehn Jahren  sicherlich älter sei, kleiner und ärmer, aber nicht ohne Hoffnung: da es noch nicht alle modernen Informationstechniken absorbiert habe, gebe es Potenzial für Produktivitätssteigerungen, die hohe Arbeitslosigkeit  berge ein Wachstumspotenzial, und der dann bessere Ausbildungsstand sei ein weiterer Trumpf. Frankreich sei in zehn Jahren auch urbaner: die großen Städte hätten ein wirtschaftliches Entwicklungspotenzial und begrenzten die Umweltschäden.  

Damit ergäben sich drei allgemeine Fragen:

Welche Eingliederung in die Globalisierung? Welches Modell für die Gleichheit (im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit)?  Welche Vorstellung von Fortschritt? Frankreich müsse sich in eine zunehmende Globalisierung, die es nicht selbst steuere, eingliedern.  Die internationale Eingliederung eines Landes und seine komparativen Vorteile seien ein Produkt seiner geographischen Lage und seiner Geschichte, aber auch freier Wahl. Der Staat entscheide sicherlich nicht anstelle der Unternehmen, aber die öffentlichen Entscheidungen zu Immigration,  Bildung und Forschung, Ausrüstung, Energiepreisen, Steuergesetzgebung und Marktregulierungen hätten doch einen entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaft. In diesem Sinne sei die Neutralität des Staates eine Fiktion, es liefe stets auf eine implizite Industriepolitik hinaus.

Im Bereich der Globalisierung böten sich zwei Vorstellungen der Zukunft für Frankreich an: die einer Produktionsmacht und die einer von Schöpferischem und Dienstleistung geprägten Wirtschaft. Wahrscheinlich liefe es auf eine Mischung beider Vorstellungen hinaus, aber Frankreich müsse jetzt über seine Rolle in der neuen, globalisierten Wirtschaft nachdenken und auf eine Kohärenz seiner Entscheidungen hinwirken.

Im Bereich der Gleichheit habe Frankreich besser als manches andere Land auf Verteilungsgerechtigkeit bei den Einkommen geachtet,  aber es gebe zunehmend Ungerechtigkeiten beim Zugriff auf Wohnungen, Zugang zu Versorgungsleistungen, zu Wissen und zu Beschäftigung oder zu den Informationstechniken.  Anstatt die Ungleichheiten bei der Wurzel zu bekämpfen bemühe sich Frankreich darum, deren Konsequenzen durch Geldtransfer abzumildern. Daraus resultiere ein Modell der teureren und ineffizienteren Linderung von Ungleichheiten als wenn man den Akzent auf soziale Investitionen lege. Dieses Modell sei wahrscheinlich nicht aufrechtzuerhalten.

Schließlich habe Frankreich früher an den Fortschritt geglaubt, aber sei sich dessen jetzt nicht mehr so sicher. Die Bevölkerung habe kein Vertrauen mehr in die Zukunft, weil man nicht sehe, dass der wissenschaftliche und technologische Fortschritt zum Nutzen aller eingesetzt werde.

Es gebe vier Elemente, die bei der Entwicklung einer Strategie für Frankreich zu bedenken seien:

Zunächst müsse über die Dynamik der Produktionsleistung nachgedacht werden. Im 21. Jhdt. müssten zwar Einsatz von Kapital und Arbeit weiter bedacht werden, aber auch die Elemente Finanzierung, Bildung, Forschung, Immigration, Arbeitsmarkt, öffentlicher Dienst etc. seien mitzubedenken. Hier gehe es darum, wie die Gesellschaft sich über das Risikomanagement verständige,  um auf beste Weise das französische Produktionssystem zu dynamisieren.

Zweitens gehe es um das Gesellschaftsmodell Frankreichs. Man müsse das System verlassen, welches die Entwicklung von Ungleichheiten zulasse, um anschließend die  Konsequenzen dieses Verfahrens über Geldtransfer auszugleichen.

Drittens gehe es um die Nachhaltigkeit verfolgter Entwicklungen und um das Gleichgewicht des Wohlbefindens zwischen den Generationen. Es gehe also um Fragen der Verschuldung, der Entwicklung des Energiesystems, des Umweltschutzes. Der Imperativ der Nachhaltigkeit sei bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen, bei Wirtschaftswachstum, Verbrauch, Stadtentwicklung etc...

Die letzte Dimension einer Strategie für 10 Jahre betreffe die Art staatlichen Handelns (gouvernance). Die Erarbeitung einer nationalen Strategie müsse Frankreich die Gelegenheit bieten, seine Prioritäten im Hinblick auf Europa zu definieren, d. h. festzulegen, was es bereit ist zu geben und was es von seinen Partnern erwartet, um die Defizite des Verwaltungswesens der Union auszugleichen. Dabei gehe es auch um die Unterstützung einer Zusammenarbeit  zwischen nationalen politischen Akteuren, die es auf jeder Verwaltungsebene erlaube, einen Beitrag zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu leisten. Diese Kooperation sei umso leichter,  je genauer jede Entscheidungsebene wisse, was in ihrer Macht und Verantwortung liege.

Präsident Hollande hat nach der Klausur angekündigt, bis Ende August 2013 orientierende Grundaussagen zu veröffentlichen, auf deren Basis bis Ende 2013 eine nationale Strategie erarbeitet werden soll.

Quelle: CGSP Redaktion: Länder / Organisationen: Frankreich Themen: Strategie und Rahmenbedingungen

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