Frankreich durchläuft eine Phase der Umstrukturierung und Neuorientierung seines Forschungs-, Innovations- und Bildungssystems. Auf der Basis des Forschungsgesetzes vom 18.4.2006 („pacte pour la recherche“) sowie dem Gesetz zu den Freiheiten und Verantwortlichkeiten der Universitäten vom 10. August 2007 suchen die Leistungsträger des französischen Systems ihre jeweilige neue Rolle. Dabei besteht Konsens zwischen Staat und allen Akteuren, die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs wieder stärken und langfristig sichern zu müssen. Zum „Wie“ allerdings besteht erhebliche Unsicherheit.
Die französische Regierung hat hierfür ihre eigenen Mittel eingesetzt und mit den vorgenannten Gesetzen, der Entwicklung einer Nationalen Strategie der Forschung und Innovation sowie der Einrichtung einer großen Staatsanleihe in Höhe von 35 Mrd. € Mittel für die aus Sicht der Strategie prioritären Forschungsthemen vielversprechende Voraussetzungen geschaffen.
Die Bildungs- und Forschungsinstitutionen ihrerseits sowie eine große Zahl von innovierenden Unternehmen haben sich seit 1953 in der Association Nationale de la Recherche et de la Technologie (ANRT) mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Effizienz des französischen Forschungs- und Innovationssystems zu steigern. Sie hat in 2001 die Plattform FutuRIS ins Leben gerufen, um diesen Prozess mit ihren Mittel zu effektuieren. In den Jahren 2007 – 2009 hat eine FutuRIS-Arbeitsgruppe unter Leitung von François Ailleret (Vorsitzender des Verwaltungsrates des Institut Pasteur) untersucht, wohin sich das französische System in den nächsten zehn Jahren unter Berücksichtigung von fünf Schlüsselparametern entwickeln könnte; daraus sind drei Szenarien entstanden, die zu beschreiben suchen, wie sich die Wahrnehmung der aus ihrer Sicht wichtigsten Funktionen entwickeln könnte.
Die fünf Schlüsselparameter sind:
- Auffinden und Festlegen der mittelfristig prioritären nationalen Themenfelder für Forschung und Entwicklung;
- Formulieren von konkreten, differenzierten Forschungsprogrammen zur Bearbeitung dieser Themenfelder sowie Erreichen eines optimalen Verhältnisses von projektgeförderter und institutioneller Forschung und Entwicklung, wobei letztere in Frankreich im Rhythmus von jeweils vier Jahren mit den Geldgebern neu zu verhandeln ist;
- Bewerten der Fähigkeit autonom gewordener Universitäten, im Bereich des Forschungsmanagements hinreichendes Potenzial zu entwickeln;
- Sicherstellen eines optimalen Einsatzes der Wissenschaftler zur Bearbeitung der jeweils aktuellen FuE-Projekte einerseits und Ausbildung von Studenten zu Wissenschaftlern der nächsten Generation andererseits; hierzu zählt bei Installation neuer Institutionen (z. B. die Pôle de recherche et d’enseignement supérieur) auch die immer notwendiger werdende Mobilität von Wissenschaftlern;
- Optimierung der Rolle neu entstehender regionaler Cluster (z. B. Raumfahrt in Toulouse, Nanotechnologie in Grenoble, Landwirtschafts-FuE in Montpellier etc.).
Die Szenarien berücksichtigen denkbare zukünftige Entwicklungen der traditionellen Institutionen unter dem Einfluss der neuerdings autonomen Universitäten, der unsicheren Zukunft der „unités mixtes“ (gemeinsame Forschungseinheiten zwischen Universitäten und CNRS-Instituten aus der Zeit vor Gründung der DFG-ähnlichen Agence Nationale de la Recherche), der an Bedeutung gewinnenden Pôle de recherche et d’enseignement supériur, der an Bedeutung zunehmenden Projektförderung sowie der mit der Agence d’évaluation de le recherche et de l’enseignement supérieur aufgenommen Bewertung von Institutionen und Leistungen und kommen zu drei Szenarien:
- Ein neues Gleichgewicht mit zentraler Rolle der Universitäten - das von Präsident Sarkozy favorisierte, das sich weit von dem historischen Modell Frankreichs entfernt. Hier wird darauf hingewiesen, dass bereits 12 – 15 Universitäten das Format haben, diese Rolle zu übernehmen und sich im weltweiten Wettbewerb um Exzellenz weiterentwickeln zu können.
- Festhalten an den über die letzten Jahrzehnte gewachsenen Strukturen, wobei einige Weiterentwicklungen sichtbar werden. Hier käme den „unités mixtes“ als Katalysator zwischen den Universitäten und Forschungszentren eine wichtige Rolle zu, wenn es gelingt, die Mobilität der Wissenschaftler weiter aufrechtzuerhalten.
- Wettbewerb und Fragmentation. Hier würde mit den neuen Instrumenten der Projektförderung und der Leistungsbewertung den leistungsstarken Gruppen die Möglichkeit gegeben, neu entstandene Gestaltungsräume auszufüllen, sich zu profilieren und zu erstarken.
Die Autoren enthalten sich einer Bewertung der drei Szenarien und stellen sie zur Debatte. In der gegenwärtigen „Lehrzeit“ (phase d’apprentissage) müsse auf das noch empfindliche Gleichgewicht zwischen den bestehenden und neu geschaffenen Institutionen im Hinblick auf die Etablierung der Universitätsautonomie sowie im Hinblick auf Anpassungen bei der Forschungsprogrammierung Rücksicht genommen werden. Für die erhoffte Debatte stellen die Autoren in elf inhaltlichen Anhängen zu ihrem Bericht eine Fülle interessanter Materialien zur Verfügung.