Klinische Entscheidungskompetenz nennt man das komplexe Set von Fähigkeiten und Fertigkeiten, das es braucht, um im klinischen Alltag eine Diagnose zu erstellen und einen Therapieplan für und mit Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO liegt die Zahl der Fehler und unerwünschten Effekte im Gesundheitswesen in der Europäischen Union bei circa zehn Prozent. Falsche Entscheidungen bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten tragen wesentlich zu dieser Fehlerquote bei. Die Folgen können schwerwiegend sein: Sie gefährden die Sicherheit von Patientinnen und Patienten und führen zu höheren Kosten im Gesundheitswesen. „Obwohl die Kompetenz, klinische Entscheidungen zu treffen, so wichtig für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ist, wissen wir noch viel zu wenig darüber, wie diese Kompetenz in der Ausbildung für Gesundheitsberufe richtig gelehrt und geprüft werden kann. Das gilt auch für das Medizinstudium in Deutschland und Europa“, erklärt Privatdozentin Dr. Inga Hege von der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Schweiz, Schweden, Slowenien, Malta und Polen hat sie deshalb ein Forschungsprojekt gestartet, das diesen Mangel beheben soll.
„Wir möchten sowohl Lehrpläne für die Studierenden entwickeln, als auch die Lehrenden fortbilden“, so Hege weiter. Das Thema sei ebenso schwer zu lernen wie zu unterrichten, da es um viele unbewusste Fähigkeiten und Fertigkeiten ginge. Deshalb haben sich die Projektverantwortlichen vorgenommen, sowohl ein Curriculum für die Studierenden zu erarbeiten, als auch einen Train-the-trainer Kurs, der die Lehrenden dabei unterstützt, Klinische Entscheidungsfindung zu unterrichten. Dabei möchten sie moderne und innovative Lehr- und Prüfungskonzepte mit einer Kombination von Online- und Präsenzunterricht einsetzen, das sogenannte blended learning. „Die Förderung des Forschungsprojekts durch die EU zeigt, wie wichtig das Thema klinische Entscheidungsfindung für alle Gesundheitsberufe ist,“ betont die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Martina Kadmon.
„Wir achten auch darauf, dass unser Curriculum leicht in verschiedenste, bereits vorhandene Studienprogramme eingebaut werden kann“, so Hege weiter. Schließlich sei es ein großes Anliegen des Forschungsverbunds, die Ergebnisse international in die unterschiedlichen Ausbildungs- und Studiengänge der Gesundheitsberufe einzuspeisen. Die Projektpartner aus ganz Europa machen eine gezielte Bedarfsanalyse, um die aktuelle Situation an den Europäischen Universitäten besser zu verstehen. Darauf aufbauend werden Lernziele formuliert und geeignete Lern- und Prüfungsmethoden ausgewählt. Sowohl das Curriculum als auch die Angebote für die Lehrenden werden an allen Partneruniversitäten mit Unterstützung von Industriepartnern umgesetzt und ausgewertet. Für das Projekt gibt es knapp eine Million Euro von den Erasmus+ Wissensallianzen 2019, die unter anderem die Entwicklung innovativer und multidisziplinärer Unterrichts- und Lernkonzepte in Kooperation von Hochschuleinrichtungen und Unternehmen fördern.