Die Proteste auf dem Maidan im vergangenen Herbst, die Krimkrise im Februar und die Kämpfe zwischen pro-russischen Separatisten und dem ukrainischen Militär im Osten des Landes: Die Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Der erste Schritt zur Versöhnung beider Konfliktparteien ist – neben dem Ende der Kampfhandlungen – eine Bestandsaufnahme der jeweiligen Perspektiven und Bedürfnisse, sagt Prof. Dr. Martin Leiner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). „Respekt, Empathie und Toleranz dem Streitpartner gegenüber sind entscheidende Voraussetzungen“, betont der Sprecher des JCRS.
Die Sommerschule steht unter dem Titel „Societies in Transition – Former Soviet Union and East Central Europe between Conflict and Reconciliation“. 20 Nachwuchswissenschaftler – darunter Theologen, Politikwissenschaftler, Historiker, Soziologen und Psychologen – kommen zusammen, um sich über aktuelle Ansätze der Versöhnungs- und Friedensforschung transdisziplinär auszutauschen. „Wir werden mit den Teilnehmern unter anderem unsere Hypothese diskutieren, dass Versöhnung nicht erst nach der Beendigung eines Konflikts möglich ist, sondern Menschen sich auch mitten im Konflikt friedlich begegnen können“, sagt Martin Leiner. Unterstützt wird die Sommerschule u. a. von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Ernst-Abbe-Stiftung, der Gesellschaft der Freunde und Förderer der FSU und dem Geschichtswerkstatt Jena e. V.
Schwerpunkt in diesem Jahr sind die Krisenherde in Osteuropa sowie der ehemaligen Sowjetunion, darunter auch die aktuellen Auseinandersetzungen in der Ukraine. Konflikte in anderen Regionen – etwa die Apartheid in Südafrika und der Umgang Australiens mit seinen Ureinwohnern – sowie der Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten werden ebenfalls thematisiert. „Durch den Vergleich zwischen den Ländern wollen wir universelle Strategien und Mechanismen der Versöhnungspolitik und zur Konfliktprävention herausarbeiten“, erläutert die Koordinatorin der Sommerschule Maria Palme. Die Teilnehmer werden ihre eigenen Forschungsprojekte vorstellen, in Workshops verschiedene Fallbeispiele untersuchen und Vorträge von international renommierten Experten hören. Zudem steht ein Besuch der Gedenkstätte Buchenwald auf dem Programm. „Buchenwald mit seiner doppelten Vergangenheit als nationalsozialistisches Konzentrationslager und sowjetischem Speziallager verdeutlicht, dass Versöhnung eine intergenerationelle Aufarbeitung der eigenen Geschichte erfordert“, sagt Prof. Leiner.
Auch im aktuellen Ukraine-Konflikt müsse man bis zu den Wurzeln schauen. „Insbesondere die Krim spielt für die Identität Russlands eine wichtige Rolle, da sie als slawisches Ursprunggebiet gilt“, erklärt Maria Palme. In der ukrainischen Gesellschaft sei der Holodomor – ukrainisch: der große Hungertod – sehr präsent, die von Stalin organisierte Hungersnot 1932/33 in der Ukraine mit mehreren Millionen Todesopfern. „Bis heute gab es jedoch keine offizielle Entschuldigung von Seiten Russlands und bei vielen Ukrainern dominiert noch immer das Bild des gefährlichen, stalinistischen Russlands“, so Leiner. „Anders als in Polen ist auch in Deutschland der Holodomor unverständlicher Weise noch nicht als Völkermord anerkannt“, sagt der Theologe.
Die Sommerschule behandelt daher auch die historischen Zusammenhänge, um Lösungsansätze für eine friedliche Zukunft zu diskutieren. Über 65 Bewerbungen – deutlich mehr als in den vergangenen Jahren – haben die Jenaer Theologen erhalten. „Das liegt sicherlich einerseits an der aktuellen Brisanz der Ukraine-Krise, aber gleichzeitig zeigt es auch den hohen Bedarf an der wissenschaftlichen Diskussion von Versöhnungsstrategien“, verdeutlicht Maria Palme. Sämtliche Vorträge werden vom Multimediazentrum der Universität auf Video aufgezeichnet und anschließend öffentlich zugänglich gemacht. Zudem ist ein Sammelband mit ausgewählten Beiträgen der Sommerschule geplant.
Kontakt
Prof. Dr. Martin Leiner / Maria Palme
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