Für einen wirksamen Klimaschutz müssen ausreichend viele Staaten ihren Treibhausgasausstoß reduzieren. Die Europäische Union sollte deshalb mit einer abgestimmten Energie- und Klimapolitik ein international anschlussfähiges Modell etablieren, an das andere Wirtschaftsräume anknüpfen können. Daher sprechen sich acatech, Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in ihrer gestern veröffentlichten Stellungnahme „Die Energiewende europäisch integrieren“ dafür aus, die deutsche Energiewendepolitik stärker mit der europäischen Energie- und Klimapolitik zu verzahnen.
Um die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, müssen die Energieversorgungssysteme möglichst vieler Länder nachhaltiger werden. Europa könnte dabei zu einem internationalen Vorbild werden. Auf welche Weise lässt sich der europäische Emissionshandel effektiver gestalten? Wie können Netzinfrastruktur und Strombinnenmarkt sinnvoll ausgebaut werden? Diesen Fragen sind im Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), einer gemeinsamen Initiative der Wissenschaftsakademien, Experten unterschiedlicher Fachrichtungen nachgegangen. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe aus Wirtschafts-, Technik- und Rechtswissenschaftlern von Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen und Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI).
Zentraler Baustein einer europäisch integrierten Energiewende ist der Ausbau des Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS). „Mit dem Emissionshandel verfügt Europa bereits über einen effizienten Klimaschutzmechanismus. Wenn er zum Leitinstrument gemacht wird, können wir die Treibhausgase in Europa zu volkswirtschaftlich vertretbaren Kosten senken“, sagt Christoph M. Schmidt. Derzeit ist der Preis für Emissionszertifikate allerdings zu niedrig, um zusätzliche Investitionen in klimafreundlichere Technologien anzustoßen. Die Europäische Kommission spricht sich deshalb für eine sogenannte Marktstabilitätsreserve aus: Sinkt der Zertifikatspreis unter eine bestimmte Schwelle, werden Zertifikate aus dem Markt herausgenommen. Die Autoren der Stellungnahme schlagen einen alternativen Ansatz vor: Ein fester Preiskorridor definiert bei Auktionen einen Mindest- und einen Höchstpreis für CO2-Zertifikate. Dies würde den Unternehmen Sicherheit über die künftige Preisentwicklung geben und damit stärkere Innovationsanreize setzen. Darüber hinaus sollte der Emissionshandel auf weitere Sektoren wie etwa den Verkehr und die Landwirtschaft ausgeweitet werden. Ein auf diese Weise gestärkter EU-ETS könnte zum Modell für ein international koordiniertes Vorgehen werden.
Eine Emissionshandelsreform muss zwischen den EU-Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Zwischenzeitlich sollten die nationalen Fördersysteme für erneuerbare Energien stufenweise und europaweit harmonisiert werden. „Ein Europa der vielen Energiewenden treibt die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimaschutzes unnötig in die Höhe. Gelingt uns die europäische Energiewende, dann schaffen wir ein Modell, dem andere Wirtschaftsräume folgen können“, erklärt Prof. Dr. Justus Haucap, Mitglied der ESYS-Arbeitsgruppe und Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) der Universität Düsseldorf.
Der steigende Anteil erneuerbarer Energien hat auch Auswirkungen auf den europäischen Strombinnenmarkt. Um die Versorgung zu sichern, müssen zunehmend regionale Schwankungen bei Stromerzeugung und -verbrauch ausgeglichen werden. Die Akademien sehen zwei Optionen: Entweder die Übertragungs- und Verteilnetze werden europaweit in großem Umfang ausgebaut, um Strom auch über nationale Grenzen hinweg besser transportieren und handeln zu können. Oder aber überschüssiger Strom aus regenerativen Energien wird künftig häufiger abgeregelt und die Stromnachfrage wird stärker flexibilisiert (demand side management).
Eine weitere Herausforderung: Weil sich der Strompreis überwiegend an nationalen Rahmenbedingungen und weniger am regionalen Bedarf orientiert, fehlt ein Anreiz für die optimale Standortwahl neuer Stromerzeugungsanlagen. Die Akademien sprechen sich deshalb dafür aus, dass sich Versorgungsengpässe, wie etwa in Süddeutschland, in höheren regionalen Strompreisen widerspiegeln. Dies lässt sich erreichen, indem grenzüberschreitende Zonen mit unterschiedlichen Strompreisen (market splitting) eingerichtet oder die Netzentgelte regional stärker ausdifferenziert werden. Kraftwerke und Anlagen würden dann vor allem dort gebaut und Strom ins Netz einspeisen, wo sie den höchsten Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Die Energiewende europäisch integrieren. Stellungnahme von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, 52 S., ISBN: 978-3-8047-3429-6
Hintergrund
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unterstützen Politik und Gesellschaft unabhängig und wissenschaftsbasiert bei der Beantwortung von Zukunftsfragen zu aktuellen Themen. Die Akademiemitglieder und weitere Experten sind hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. In interdisziplinären Arbeitsgruppen erarbeiten sie Stellungnahmen, die nach externer Begutachtung vom Ständigen Ausschuss der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina verabschiedet und anschließend in der Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung veröffentlicht werden.
Für die gemeinsame Initiative „Energiesysteme der Zukunft“ hat acatech die Federführung übernommen.
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