Steigende bzw. gleichbleibend hohe Arbeitslosenquoten in europäischen Ländern standen über Jahrzehnte im Zentrum der Aufmerksamkeit europäischer Akademiker, politischer Entscheidungsträger und ebenso der Öffentlichkeit. Dies war vor vielen Jahren der Fall, als die Ölpreiskrise in den Siebzigern die europäische Wirtschaft traf, das gilt auch noch heute im Nachlauf der weltweiten Finanzkrise. Die Jahrestagung des „European Search and Matching Network“, die vom 15. bis 17. Mai 2013 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) stattfindet, versammelt führende Arbeitsökonomen aus aller Welt, um die aktuellen Probleme des europäischen Arbeitsmarktes zu diskutieren und Wege für einen reibungslosen und schnellen Wirtschaftsaufschwung nach der Krise vorzuschlagen.
Die Gründe der Arbeitslosigkeit in Europa sind so facettenreich wie die europäischen Länder selbst. Die Arbeitslosenquote in den verschiedenen Ländern hängt von vielen, gleichermaßen entscheidenden Faktoren ab. Dazu gehören die Strenge der Regulierungen zum Arbeitsschutz, die Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes, die Effektivität öffentlicher Vermittlungseinrichtungen („Jobcenter“), die Lage auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten und nicht zuletzt die Situation auf den Finanzmärkten. Der letzte Konjunkturabschwung hat gezeigt, dass die Unterschiede in diesen Faktoren zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen europäischen Ländern geführt haben.
In Ländern mit vergleichsweise wenig regulierten Arbeitsmärkten, wie etwa Großbritannien, nahm die Arbeitslosigkeit vornehmlich aufgrund von Stellenstreichungen zu, wenngleich die Schaffung von Arbeitsplätzen durch überlebende Firmen nicht deutlich erschwert wurde. In Ländern mit relativ strengen Arbeitsschutzvorschriften, wie etwa Frankreich, lagen die Schwierigkeiten überwiegend in der Schaffung von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig gab es jedoch eher weniger durch Stellenstreichungen von Firmen bedingte Arbeitsplatzverluste. In Ländern mit traditionell starker Arbeitslosenunterstützung, wie den skandinavischen Ländern, war der Anstieg der Arbeitslosigkeit wiederum eher einem Anstieg der Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zuzuschreiben.
Alle diese Länder haben verhältnismäßig stabile Märkte. Das bedeutet, dass Schocks wie die Finanzkrise schädliche Effekte mit sich bringen, gleichzeitig aber nicht die gesamte Wirtschaft destabilisieren würden. Die zugrunde liegenden soliden politischen Systeme haben die Länder vor drastischen Sprüngen der Arbeitslosenquote bewahrt. Im Gegensatz dazu haben die zusammenbrechenden Märkte, wie der Immobilienmarkt in Spanien oder die Staatsschuldenkrise in Griechenland, extrem hohe Arbeitslosigkeit in diesen Ländern ausgelöst. Der Grund für den großen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien sollte daher primär außerhalb der Arbeitsmärkte oder der Arbeitsmarktpolitik per se gesucht werden.
Interessanterweise gibt es neben diesen negativen Entwicklungen auch Erfolgsgeschichten, wie z.B. die positive Arbeitsmarktentwicklung in Österreich, Polen und Deutschland. Das Beispiel Deutschlands zeigt, wie frühzeitige Arbeitsmarktreformen gekoppelt mit innovativen Regelungen und einer schnellen Erholung der Exportindustrie sogar zu abnehmender Arbeitslosigkeit während der Rezession geführt haben. Zu diesen vor der Krise durchgeführten Reformen und Regelungen zählen unter anderem die Hartz-Reformen (ausgenommen vermutlich Hartz IV) und die Einführung von Arbeitszeitkonten.
Anhaltende Unterschiede in der institutionellen Ausgestaltung und in der Stabilität der Güter- und Finanzmärkte in verschiedenen europäischen Ländern erlauben es sicherlich nicht, simple Kopien funktionierender Politiken zu erstellen. Dennoch würde eine sorgfältige Analyse der Stärken und Schwächen einer möglichen Regelung in verschiedenen Ländern es erlauben, angemessene Schritte zu empfehlen. Effektive öffentliche Arbeitsagenturen, die in Deutschland im Rahmen von Hartz-Reformen eingeführt wurden, oder die Arbeitszeitkonten könnten sich auch in anderen Ländern als nützlich erweisen. Angesichts der Tatsache, dass diese Maßnahmen einem stark regulierten Land wie Deutschland geholfen haben, könnten sie auch in anderen stark regulierten Ländern von Nutzen sein. Möglicherweise wären sie auch für Länder, die schwerer von der Krise betroffen wurden zweckmäßig, wobei dort jedoch das vorrangige Ziel Maßnahmen außerhalb des Arbeitsmarktes bleiben sollten.
Die in Mainz stattfindende Konferenz dient dem Zweck, eine Plattform für die Weiterentwicklung dieser Ideen zu bieten. Das „European Search and Matching Network“ ist ein wissenschaftliches Netzwerk, das untersucht wie Arbeitsmärkte funktionieren und vor welchen Herausforderungen die Arbeitsmarktpolitik in der modernen Weltwirtschaft steht. Es wurde Ende 2010 durch eine Gruppe junger Akademiker aus Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien gegründet. Mittlerweile umfasst das Netzwerk über 150 Mitglieder hochrangiger Universitäten aus ganz Europa und Nordamerika. Unter den Mitgliedern befinden sich zwei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften: Dale Mortensen (Northwestern University; USA) und Christopher Pissarides (London School of Economics; UK). Sie erhielten den Preis im Jahre 2010 für ihre wegweisenden Beiträge zum Verständnis von Arbeitsmärkten.
Weitere Informationen:
Juniorprof. Dr. Andrey Launov
Juniorprofessur für Ökonometrie
Abteilung Wirtschaftswissenschaften
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-23233
E-Mail: andrey.launov(at)uni-mainz.de
http://www.empirical.economics.uni-mainz.de/115.php
Univ.-Prof. Dr. Klaus Wälde
Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomik
Abteilung Wirtschaftswissenschaften
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-20143
E-Mail: klaus.waelde(at)uni-mainz.de
http://www.macro.economics.uni-mainz.de/
http://www.waelde.com
Weitere Links:
http://www.sam2013.uni-mainz.de/51.php (Programm der Tagung)
http://sam.univ-lemans.fr/ (European Search and Matching Network)