Niemand kann in die Zukunft sehen. Doch Wissenschaftler versuchen zumindest, Prognosen über zukünftige Entwicklungen zu erstellen, um auf Veränderungen hinweisen und Gefahren abschätzen zu können. Meteorologen oder Klimaforscher nutzen dafür aufwendige Rechenmodelle, die das Wetter der nächsten Tage oder das Klima der kommenden Jahrzehnte darstellen. Um etwas über das Verhalten von Organismen oder ganzen Ökosystemen unter zukünftigen Umweltbedingungen aussagen zu können, müssen Ökologen die Organismen mit den veränderten Bedingungen konfrontieren und die Reaktionen beobachten. Da dies nicht in freier Natur geschehen kann, bedienen sich Meeresbiologen großer Experimentierbehälter, in denen sie bestimmte Umweltparameter beeinflussen können. Diese Behälter bilden die natürliche Umwelt im kleineren Maßstab ab: Deshalb nennen die Wissenschaftler sie „mittlere Welten“ – Mesokosmen. „Die Mesokosmen haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr als unentbehrliches Werkzeug der experimentellen Meeresökologie erwiesen“, sagt Professor Ulrich Sommer vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR). Um den wissenschaftlichen Nachwuchs auf die Möglichkeiten der Mesokosmenanlagen in ganz Europa hinzuweisen, veranstaltet das europäische Netzwerk MESOAQUA vom 29. August bis zum 2. September 2011 einen internationalen Doktorandenkurs am IFM-GEOMAR in Kiel. 30 Doktoranden und PostDocs von ebenso vielen Universitäten aus 17 verschiedenen Ländern nehmen daran teil, darunter auch Wissenschaftler aus Argentinien oder Südafrika.
Das Netzwerk MESOAQUA wurde 2010 gegründet, um den internationalen Zugang zu diesen aufwendigen Forschungsinfrastrukturen zu finanzieren und um das Know-how zu verbreiten und weiter zu entwickeln. Finanziert wird das Projekt aus Mitteln des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms. Das IFM-GEOMAR gehörte von Anfang an zu den aktiven Partnern. In Kiel existieren aktuell drei verschiedene Mesokosmen-Systeme, die für verschiedene Fragestellungen eingesetzt werden können. Zwölf „Indoor-Mesokosmen“ von jeweils eineinhalb Kubikmeter Fassungsvermögen stehen in klimatisierten Kulturräumen des Instituts. Sie werden genutzt, um die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Entwicklung von Planktonblüten zu untersuchen. Die Kieler „Offshore-Mesokosmen“ sind dagegen für den Einsatz im offenen Ozean ausgelegt und isolieren eine rund 65 Kubikmeter große Wassersäule vom restlichen Meerwasser. Dieser isolierten Wassersäule kann anschließend Kohlendioxid zugegeben werden, um den Prozess der Ozeanversauerung und die Auswirkung auf Kleinstorganismen zu simulieren. Das jüngste Mitglied der Kieler Mesokosmen-Familie sind die sogenannten „Benthokosmen“, die auf Pontons in der Kieler Förde stationiert sind. In Ihnen können die Kieler Forscher Lebensgemeinschaften des Meeresboden (=Benthos) gleichzeitig mehreren Umweltveränderungen aussetzen, zum Beispiel Temperaturanstieg, Sauerstoffmangel und verändertem Nährstoffangebot. „Die Kieler Entwicklungen und Erfahrungen haben dazu beigetragen, die Technik der Mesokosmen in der experimentellen Ökologie zu etablieren“, betont Professor Sommer, der Gastgeber des internationalen Doktorandenworkshops ist.
Für die ersten drei Tage der Veranstaltung sind Vorträge von internationalen Experten vorgesehen, die sowohl technische Fragen der Mesokosmen-Forschung als auch den allgemeinen ökologische Hintergrund betreffen, insbesondere Fragen der Nahrungsnetz-Ökologie, der Evolutionsökologie und den zunehmenden Trend zu Massenentwicklungen von Quallen. Am 4. Tag finden Exkursionen zu den Kieler Mesokosmen statt und am 5. Tag berichten Doktoranden von den Ergebnissen ihrer eigenen Mesoksomenexperimente. „Diese Anlagen vermitteln uns schon jetzt eine Ahnung, wie die ökologische Zukunft der Meere aussehen könnte. Gerade für die junge Wissenschaftlergeneration bleibt aber noch viel Arbeit übrig“, betont Professor Sommer.
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