Die Europäische Kommission hat gestern eine Europäische Sicherheitsagenda für den Zeitraum 2015-2020 veröffentlicht, mit der die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bewältigung von Sicherheitsbedrohungen unterstützt und die gemeinsamen Anstrengungen bei der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Computerkriminalität intensiviert werden sollen. In der Agenda werden konkrete Instrumente und Maßnahmen aufgeführt, die in den gemeinsamen Bemühungen um mehr Sicherheit und eine wirksamere Bekämpfung dieser drei dringlichsten Bedrohungen zum Tragen kommen können.
Die jüngsten terroristischen Anschläge auf die Bevölkerung in Europa und ihre Werte wurden über Staatsgrenzen hinweg koordiniert. Deshalb betont die Kommission erneut, wie wichtig eine gemeinsame Antwort auf diese Bedrohungen ist, bei der der Grundrechteschutz uneingeschränkt gewährleistet bleibt. Zuständig für die innere Sicherheit sind und bleiben an erster Stelle die Mitgliedstaaten. Der grenzübergreifende Charakter mancher Herausforderungen stellt jedoch die Fähigkeit einzelner Länder, diese im Alleingang zu bewältigen, auf die Probe. Daher sieht es die Kommission als eine Aufgabe der EU an, Vertrauensbildung, Zusammenarbeit, Informationsaustausch und ein gemeinsames Vorgehen zu unterstützen.
Der Erste Vizepräsident, Frans Timmermans, sagte dazu: „Terrorismus, organisierte Kriminalität und Computerkriminalität sind komplexe, in ständigem Wandel begriffene Herausforderungen für die innere Sicherheit, die nicht an Europas Binnengrenzen haltmachen. Daher ist es an der Zeit, dass wir Europäer besser und enger zusammenarbeiten, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Mit dieser gemeinsamen EU-Agenda wollen wir eine wirkungsvollere Zusammenarbeit der nationalen Behörden im Geist gegenseitigen Vertrauens fördern. Terroristen greifen die demokratischen Werte an, die uns allen am Herzen liegen. Wir stehen zu unseren Grundrechten und werden uns nach Kräften dafür einsetzen, eine echte Toleranzkultur in unseren Gesellschaften zu verankern und jegliche Radikalisierung an ihren Wurzeln zu bekämpfen.“
Der für Migration, Inneres und Bürgerschaft zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos erklärte: „Ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit, aber gleichzeitig kann es ohne Sicherheit auch keine Freiheit geben. Die Kommission übernimmt mit der Vorlage der EU-Sicherheitsagenda die Vorreiterrolle. Die Agenda konzentriert sich auf die Bereiche, in denen die EU einen echten Beitrag zu leisten vermag. Sie stellt nicht nur eine Antwort auf die jüngsten tragischen Ereignisse dar, sondern erneuert unsere gemeinsame Sicherheitsstrategie unter neuen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen; wir sind uns alle darin einig, dass wir einander vertrauen, unser Vorgehen koordinieren und Informationen austauschen müssen, um der sich wandelnden Bedrohungen Herr zu werden. Die Agenda listet konkrete Maßnahmen auf, mit denen diese Grundprinzipien in praktische Realität umgesetzt werden sollen – tatkräftige Maßnahmen in allen Bereichen zur Verhütung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten und zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger.“
Besser und enger zusammenarbeiten: drei Prioritäten
Die EU hat ein Instrumentarium zusammengestellt, das die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung unterstützen soll. Voraussetzung für den Erfolg ist eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Organen und Einrichtungen der EU, den Mitgliedstaaten und den nationalen Behörden. Die Agenda soll eine intensivere Nutzung dieses Instrumentariums dank eines besseren Informationsaustauschs und verstärkter Zusammenarbeit ermöglichen.
Das Konzept kann an neuartige Bedrohungen angepasst werden. Vor allem sollen drei der besonders dringlichen Aufgaben angegangen werden: 1) Terrorismus bekämpfen und Radikalisierung vorbeugen 2) Bekämpfung der organisierten Kriminalität 3) Bekämpfung der Computerkriminalität
Die wichtigsten Maßnahmen umfassen:
- Der Radikalisierung vorbeugen: Die Kommission wird – aufbauend auf dem 2011 eingerichteten EU-weiten Aufklärungsnetzwerk gegen Radikalisierung (RAN) – ein Kompetenzzentrum einrichten, um Fachwissen im Bereich der Entradikalisierungsarbeit zu bündeln und zu verbreiten. Dadurch wird der Erfahrungsaustausch unter Praktikern gestärkt, die unmittelbar vor Ort mit der Verhütung von Radikalisierung und gewaltbereitem Extremismus zu tun haben.
- Aktualisierung des Rahmenbeschlusses zum Terrorismus: Der Rechtsrahmen für den Umgang mit dem Phänomen der ausländischen Kämpfer soll kohärenter werden. Außerdem ist eine intensivere Zusammenarbeit mit Drittländern vorgesehen.
- Abschneiden der Finanzierungsquellen: Die Zusammenarbeit der zuständigen Stellen in Europa (insbesondere zwischen den nationalen zentralen Meldestellen, deren Computernetz bei Europol verankert werden soll) soll ausgeweitet werden. Die Kommission wird prüfen, inwieweit neue Vorschriften erforderlich sind, um gegen Terrorismusfinanzierung vorzugehen und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten zu verbessern.
- Intensivierter Dialog mit der IT-Industrie: 2015 wird die Kommission ein EU-Forum mit großen IT-Unternehmen starten, um einen Beitrag zur Bekämpfung terroristischer Propaganda im Internet und in sozialen Medien zu leisten und auf die Bedenken der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf neue Verschlüsselungstechnologien einzugehen.
- Verschärfung des Rechtsrahmens zu Schusswaffen, um gegen den illegalen Waffenhandel und die Reaktivierung von Waffen vorzugehen, gemeinsame Standards einzuführen, den Informationsaustausch zu intensivieren und die Zusammenarbeit mit Drittländern auszuweiten.
- Stärkung des Instrumentariums zur Bekämpfung von Computerkriminalität: Dringlichste Aufgabe ist der Abbau von Hindernissen, die der Ermittlung von Online-Straftaten im Wege stehen, insbesondere in Bezug auf die Zuständigkeit und Vorschriften über den Zugang zu Beweisen und Informationen.
- Ausbau der Kapazitäten von Europol, insbesondere Einrichtung eines Europäischen Zentrums für Terrorismusbekämpfung, um die einzelstaatlichen Strafverfolgungsbehörden in ihrem Vorgehen gegen ausländische Kämpfer, Terrorismusfinanzierung, gewalttätige extremistische Online-Inhalte und illegalen Handel mit Schusswaffen intensiver zu unterstützen.
Neue Arbeitsmethoden
Der neue kooperative Arbeitsansatz der Kommission ermöglicht ein umfassenderes Herangehen an die Sicherheitsthematik. So enthält die Agenda Querschnittsmaßnahmen, die ein breites Ressortspektrum von der Justiz- über die Innen-, Finanz- und Verkehrs- bis hin zur Umweltpolitik abdecken.
Da die Justiz- und Innenpolitik inzwischen anderen Zuständigkeitsbereichen der EU gleichgestellt ist, sieht es die Kommission als eine ihrer vorrangigen Aufgaben an, die gesamte Bandbreite vorhandener Instrumente für den Informationsaustausch, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit sowie im Schulungs- und Forschungsbereich zum Einsatz zu bringen. Sie wird auch energisch auf die Annahme anhängiger Vorschläge wie der Richtlinie über Fluggastdatensätze und der Datenschutzreform hinwirken.
Hintergrund
Aus einer vor kurzem durchgeführten Eurobarometer-Umfrage geht hervor, dass die Bürgerinnen und Bürger über ihre Sicherheit zunehmend besorgt sind. Der Anteil derjenigen, die den Terrorismus als größte Bedrohung ansehen, nahm in der EU von durchschnittlich 33 % im Jahr 2013 auf inzwischen 49 % zu (siehe Anhang).
Im Juni 2014 hatte der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, die aus dem Jahr 2010 stammende EU-Strategie der inneren Sicherheit zu überprüfen und bis Mitte 2015 zu aktualisieren. Dazu hatte der Rat Justiz und Inneres im Dezember 2014 seine Prioritäten dargelegt.
In seiner Resolution vom 17. Dezember 2014 forderte das Europäische Parlament, die Strategie vorausschauend und strategisch auszurichten und so zu gestalten, dass sie ohne Weiteres an neue Entwicklungen angepasst werden kann, indem in prioritären Bereichen wie Vorgehen gegen ausländische Kämpfer, Cybersicherheit, Menschenhandel, organisierter Kriminalität, Geldwäsche und Korruption eine integrierte, umfassende und ganzheitliche Vorgehensweise etabliert wird.
Kommissionspräsident Juncker hatte die Sicherheitsagenda in seinen politischen Leitlinien als eine der Prioritäten der Kommission bezeichnet und ihre Fertigstellung war im Arbeitsprogramm der Kommission für dieses Jahr vorgesehen.