StartseiteLänderMultilateralesEuropäische Union (EU)Europäische Allianz zur Erforschung des Schlaganfalls auf der AAAS-Tagung in Boston

Europäische Allianz zur Erforschung des Schlaganfalls auf der AAAS-Tagung in Boston

Die Europäische Kommission hat das von Mannheim aus koordinierte Europäische Netzwerk zur Erforschung des Schlaganfalls (ESN) ausgewählt, um es beim diesjährigen Treffen der "Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft" AAAS in Boston zu präsentieren. Professor Dr. Stephen Meairs, Geschäftsführender Oberarzt der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim und Koordinator des Netzwerkes, stellt die europäische Forschungsallianz am 15. Februar 2013 im Rahmen einer Session zur Schlaganfallforschung vor, bei der über die zukünftige transatlantische Forschungsstrategie diskutiert wird.

Die Session hat Dr. Ruxandra Draghira-Akli organisiert und moderiert sie auch selbst. Als Direktorin der Abteilung „Gesundheit“ innerhalb der Generaldirektion „Forschung und Innovation“ der Europäischen Kommission hat sie entscheidenden Einfluss auf die medizinische Forschung in Europa.

Der Schlaganfall ist eine globale Herausforderung. Weltweit erleiden jedes Jahr mehr als 15 Millionen Menschen einen Schlaganfall und mehr als 6 Millionen Menschen sterben an diesem Ereignis. Rund 55 Millionen Menschen müssen derzeit mit den Folgen eines Schlaganfalls leben. Die Belastungen für die Patienten und ihre Angehörigen, aber auch der Gesundheitssysteme, sind gewaltig. Schätzungen belaufen sich auf über 1.000 Milliarden Dollar, die der Schlaganfall die Industrienationen jedes Jahr kostet. Aufgrund der alternden Bevölkerung wird eine weltweite Verdoppelung dieser Zahlen bis 2030 prognostiziert.

Bis heute gibt es wenige effektive Therapien für die Behandlung des Schlaganfalls. Die Forschung scheitert bislang am so genannten Translational Roadblock, der „translationalen Hürde“. Obwohl die experimentelle Schlaganfallforschung in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Angriffspunkten für die therapeutische Intervention identifiziert hat, lieferten assoziierte klinische Schlaganfallstudien häufig unbefriedigende Ergebnisse. So ist es vielfach nicht gelungen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in wirksame Arzneien umzusetzen. Weltweit ringen Schlaganfallforscher und die Industrie um Strategien, um diese Hürde zu überwinden, die der Entwicklung von effektiven Therapien im Wege steht.

Im Jahr 2008 ist das European Stroke Network (ESN) von der Europäischen Kommission gegründet worden. Ziel ist es, die Entwicklung neuer Therapien durch die Bündelung der europaweit vorhandenen Expertise in der Schlaganfallforschung voranzutreiben. Die besten klinischen und experimentellen Schlaganfallforscher und multidisziplinären Experten, etwa auf dem Gebiet der Blut-Hirn-Schranke, der Immunologie, Biochemie, Pharmakologie und Nanotechnologie, arbeiten Hand in Hand daran, den „Translationalen Roadblock“ zu überwinden. Das Netzwerk schließt auch Wissenschaftler ein, die zuvor keine Schlaganfallforschung betrieben haben. Ihre auf anderen Gebieten erworbenen Erfahrungen bieten ein hohes Potenzial, um völlig neue Ansätze zu denken. Neben den 30 europäischen Forschungszentren gehören dem ESN Industriepartner und Patientenorganisationen aus 23 Ländern an.

Nicht zufällig wird das European Stoke Network von Mannheim aus geleitet. Seit mehr als zwei Jahrzehnten spielt die Neurologische Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, die 1998 eine der ersten Stroke Units in Baden-Württemberg eingerichtet hat, eine wichtige Rolle in der Schlaganfallforschung. Sowohl auf der Ebene der Grundlagenforschung als auch der klinischen Forschung verfolgt der Direktor der Klinik, Professor Dr. Michael Hennerici, hartnäckig und erfolgreich das Ziel, die Pathophysiologie des Schlaganfalls aufzuklären und die gewonnenen Erkenntnisse umgehend zu nutzen, um die Therapie des Schlaganfalls zu verbessern. Die Gründung der European Stroke Conference (1990) und der Europäischen Plattform „Cerebrovascular Diseases“ durch ihn, haben dem ESN den Weg bereitet, das ebenfalls hier initiiert wurde.

Der multidisziplinäre Forschungsansatz innerhalb des European Stroke Network hat bereits zu einer Anzahl von wichtigen Entdeckungen geführt. So haben Experten der Nanotechnologie, der Blut-Hirn-Schranke, der Ultraschall-Physik und der Gentherapie gemeinsam einen absolut neuen Ansatz für die gezielte, nicht-invasive Gentherapie im Gehirn entwickelt. Die von Mannheim aus geleitete Gruppe nutzte dazu gerichteten Ultraschall in Verbindung mit „Microbubbles“, um kurzfristig die Blut-Hirn-Schranke in einer bestimmten Region des Gehirns zu überwinden und damit viralen Vektoren gezielt den Eintritt in das Gehirn zu ermöglichen.

Andere Forschungen belegen, dass eine „anregende“ Umgebung den Genesungserfolg nach einem Schlaganfall verbessert. Mittels raffinierter Bildgebungstechniken konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich dabei neue neuronale Verschaltungen im Gehirn ausbilden. In einem weiteren Versuch konnten Ultraschall-Physiker und Schlaganfallforscher gemeinsam Blutgerinnsel in Gefäßen des Gehirns mittels akustischer Energie auflösen. Es wurde außerdem eine Immuntherapie entwickelt, um die Nebenwirkungen des Tissue Plasminogen Activators (tPA) zu verringern, der bislang einzigen Therapie des akuten Schlaganfalls. Und es ist gelungen, die gehirneigenen Stammzellen zu aktivieren.

Ein kürzlich erzielter Durchbruch in der Schlaganfallforschung zeigt besonders eindrücklich den Nutzen der engen Zusammenarbeit von Grundlagenforschern, klinischen Forschern sowie Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen im ESN. Ein Team von Neuroimmunologen, Biochemikern und Zellbiologien, Neuropathologen und Neurologen des ESN hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Rolle der Entzündungsreaktion beim Schlaganfall weiter aufzuklären. Dabei widerlegten sie ein gängiges Dogma. Mehr als ein Jahrhundert glaubten Pathologen, dass vermeintlich schädliche Immunzellen, die zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) zählenden neutrophilen Granulozyten, beim Schlaganfall durch das Endothel wandern, welches die Blutgefäße im Gehirn auskleidet, um in das betroffene Gehirngewebe einzudringen und dort entzündliche Kaskaden in Gang zu setzen, die zum Absterben von Nervenzellen führen. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass die neutrophilen Granulozyten gar nicht bis zu den Nervenzellen vordringen, sondern in den Blutgefäßen des Gehirns stecken bleiben. Diese revolutionäre Entdeckung, die ganz neue Perspektiven für innovative Ansätze in der Behandlung des Schlaganfalls eröffnet, war nur auf der Basis von aktuellen Entwicklungen in der Immunhistochemie möglich.

Die Erfolgsgeschichte des European Stroke Network hat nun auch zu einer transatlantischen Kooperation geführt, von der die Partner, das European Stroke Network und das Canadian Stroke Network, zusätzlichen Benefit erwarten. Sechs gemeinsame Pilot-Projekte wurden auf den Weg gebracht. Sie nutzen die Sachkunde von 22 Forschungszentren in Kanada und Europa. „Die Ergebnisse, die aus dieser transatlantischen Kooperation erwachsen werden, könnten als Keimzelle für weitere internationale Vernetzungen dienen, um gemeinsam möglichst bald den „Translationalen Roadblock“ zu überwinden“, hofft Professor Meairs.

Termin

Session zur Schlaganfallforschung
„Neue Konzepte und innovative Lösungen“
am 15. Februar 2013, um 15 Uhr im Hynes Convention Center

Teilnehmer:
Ruxandra Draghia-Akli, MD, PhD (Leitung der Session)
Leiterin der Abteilung „Gesundheit“ innerhalb der Generaldirektion „Forschung und Innovation“ der Europäischen Kommission

Walter Korsohetz, MD (Diskussionsteilnehmer)
Stellvertretender Direktor des National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS)

Sowie hochkarätige Redner aus den USA (Constantino Iadecola, MD; Weill Cornell Medical College, New York), Kanada (Prof. Dr. Molly Shoichet; University of Toronto) und Europa (Prof. Dr. Stephen Meairs; Med. Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg).

Quelle: IDW Nachrichten / Universitätsmedizin Mannheim Redaktion: von Tim Mörsch, VDI Technologiezentrum GmbH Länder / Organisationen: EU Kanada USA Themen: Lebenswissenschaften

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