StartseiteLänderMultilateralesEuropäische Union (EU)Frankreich: Ein Bericht des "Office Parlementaire de l' évaluation des choix scientifiques et technologiques" (OPECST) zu dem Thema "Pestizide und Gesundheit" ruft die Wortführer der Umweltverbände auf den Plan

Frankreich: Ein Bericht des "Office Parlementaire de l' évaluation des choix scientifiques et technologiques" (OPECST) zu dem Thema "Pestizide und Gesundheit" ruft die Wortführer der Umweltverbände auf den Plan

Nur wenige Tage vor entscheidenden Beratungen der Nationalversammlung zu dem Entwurf eines "Gesetzes betreffend das nationale Engagement für die Umwelt" (Loi Grenelle 2) warnt der OPECST-Bericht vor dem vom "Grenelle de l' environnemen" angestrebten Ziel einer Halbierung des Einsatzes von Pestiziden in Frankreich bis zum Jahre 2050. Berichterstatter des mehr als 250 Seiten umfassenden Berichts sind Claude Gatignol, Tierarzt und Abgeordneter der Nationalversammlung, sowie Jean-Claude Etienne, Professor der Medizin und Mitglied des Senats. Sie gehören beide der Mehrheitspartei (UMP) an.

OPECST begründet seine Warnung damit, dass mit einer Halbierung des Einsatzes von Pestiziden bis zum Jahre 2050 eine größere Anfälligkeit des Pflanzgutes für Parasiten und, damit verbunden, mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verminderung der Erträge bei gleichzeitiger Hausse der Erzeugerpreise verbunden wäre. Aber auch das Verschwinden des Anbaus zahlreicher Früchte und Gemüsearten sei zu befürchten. Auch sei - parallel zu dem zurückgefahrenen Einsatz von Pestiziden -  mit einer größeren Resistenz  der Schädlinge zu rechnen. Andererseits rufen die Berichterstatter die Vorteile des Einsatzes von Pestiziden in Erinnerung. Sie fordern die staatlichen Verantwortungsträger auf, bei ihren Entscheidungen "die Konsequenzen einer zu brutalen Reduktion des Einsatzes von Pestiziden in Frankreich vorausschauend zu berücksichtigen" ("anticiper").

Die OPECST-Berichterstatter machen weiter geltend, dass im Hinblick auf die zu erwartende Zunahme der Weltbevölkerung auf 9 Milliarden Menschen bis zum Jahre 2050 eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Anbauflächen unter Einsatz angepasster Anbaumethoden erforderlich sei; die Integrierung eines optimierten Einsatzes von phytopharmazeutischen Produkten sei hierbei unverzichtbar.

Diese ökonomischen Sachzwänge seien umso mehr in Betracht zu ziehen, als gesundheitliche Auswirkungen von Pestiziden keineswegs nachgewiesen seien: "Keine wissenschaftliche Studie ist heute in der Lage, beim Menschen eine Beziehung zwischen dem Verzehr von Nahrungsmitteln aus konventionellem Anbau, der phytopharmazeutische Produkte einsetzt, und dem Auftreten von Krankheiten herzustellen". Die Berichterstatter teilen allerdings die von AFSSA vertretene Auffassung, dass die Messparameter, um festzustellen, inwieweit die allgemeine Bevölkerung Auswirkungen von Pestiziden ausgesetzt ist, noch erheblich verbesserungswürdig sind.

Der am 29. April 2010 veröffentlichte OPECST-Bericht geht auf ein Ersuchen des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses der Nationalversammlung vom 16. Oktober 2007 zurück; dieses erfolgte im Zusammenhang mit einem Bericht von Professor Dominique Belpomme, der die Verseuchung der französischen Antillen mit "Chlordécone" anprangerte, das zur Vernichtung einer die dortigen Bananenstauden gefährdenden Käfersorte ("charencons") eingesetzt wurde. Der Bericht von Dominique Belpomme löste seinerzeit große Beunruhigung in der Bevölkerung und heftige Reaktionen in der Wissenschaft und bei Politikern bis hin in die Regierung aus.

Der jetzt vorgelegte OPECST-Bericht "Pestizide und Gesundheit" versteht sich als Bestandsaufnahme dessen, "was man weiß" und dessen , "was man nicht weiß".

Die Berichterstatter behandeln in der "Conclusion" des Berichts

  1. die Rolle des in ständiger Entwicklung befindlichen Regelungswerks der EU
  2. den Stellenwert alternativer Anbaumethoden
  3. die Problematik der durch die EU-Regelungen vorgeschriebenen periodischen Reevaluierungen bestimmter phytosanitärer Produkte für die Landwirte
  4. das zur Beratung und Durchführung begrenzter Kontrollen bestehende staatliche Instrumentarium
  5. die im Verhältnis zueinander kontrastierenden wissenschaftlichen Studien betreffend die gesundheitlichen Auswirkungen von Pestiziden - insbesondere hinsichtlich Krebs- und neurologischen Erkrankungen.

Der OPECST-Bericht empfiehlt:

a.) die Verstärkung der gesundheitlichen Überwachung von Auswirkungen der Pestizide einschließlich der epidemiologischen, toxologischen und molekularen Forschung

b.) die Überarbeitung des bestehenden rechtlichen Regelungswerks und die Sicherstellung, dass die bestehenden Regelungen auch eingehalten werden

c.) die Entwicklung von Indikatoren, die die Beurteilung von Auswirkungen von Pestiziden auf Gesundheit und Umwelt erleichtern

d.) eine bessere Ausbildung und Information beteiligter Akteure

e.) eine finanziell und personell besser ausgestattete Forschung - u. a. biotechnologische Forschung an bestimmtem Pflanzgut, um den systematischen Einsatz von phytopharmazeutischen Behandlungen zu vermeiden - und die Entwicklung von Ausrüstungen, die den Schutz des Einzelnen verbessern, eine Konkretisierung des Gedankens, eine "Institut technique apicole" (Institut zur Erforschung von Umweltauswirkungen auf Bienen), wie es Marial Saddier, Abgeordneter der Nationalversammlung, in seinem Bericht an den Premierminister vorgeschlagen hat.

Ein insgesamt sachlich gehaltene Artikel in Le Monde vom 30.04.2010 unter der Überschrift "Parlamentarisches Plädoyer zugunsten der Pestizide" zeigt, dass die gerade erst begonnene öffentliche Debatte um den OPECST-Bericht von Seiten der Umweltverbände benutzt wird, den Berichterstattern des Berichts vorzuwerfen, "den Thesen der einschlägigen Industrie sehr nahe zu kommen"; ihr Bericht stelle einen regelrechten Angriff auf den im Rahmen des "Grenelle de l' environnement" im allgemeinen Konsens verabschiedeten Plan zur Verringerung des Einsatzes von Pestiziden dar.

Quelle: Le Monde vom 30.4.2010 Redaktion: Länder / Organisationen: EU Frankreich Themen: Lebenswissenschaften

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