Wenn es um das „Europa der Schiene“ geht, teilen die beiden Unternehmensführer gegenüber den Bedürfnissen des Marktes dieselbe sehr pragmatische Herangehensweise; dies auch dann, wenn sich ihre Unternehmen im Wettbewerb frontal gegenüberstehen. In diesem Wettbewerb habe jedes der beiden Unternehmen seine Stärken und Schwächen.
Die SNCF ist in Europa auf dem Gebiet der Hochgeschwindigkeitszüge (TGV) führend, die Deutsche Bahn ist dies auf dem Gebiet des Gütertransports. Zwischen Köln und Brüssel steht Thalys - dessen Hauptaktionär die SNCF ist – im Wettbewerb mit dem ICE der Deutschen Bahn. Bald wird dies auch – so Le Figaro – zwischen Deutschland und London der Fall sein.
Hingegen können - so der SNCF-Vorstandsvorsitzende Guillaume Pepy - die SNCF und die Deutsche Bahn Interesse daran haben, auf Strecken zusammenzuarbeiten, auf denen derzeit noch das Flugzeug dominiert (zum Beispiel Paris – Stuttgart oder Paris – München oder Frankfurt – Marseille.
Im jeweiligen Inlandsverkehr haben - so Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn - die SNCF und die Deutsche Bahn auf zahlreichen Strecken schon Marktanteile zu Lasten des Verkehrs per Flugzeug gewonnen.
Im grenzüberschreitenden Bahnverkehr – so Rüdiger Grube weiter – „waren wir lange Zeit nicht schnell genug“. Dies zeige, dass die Eisenbahngesellschaften noch in traditionellen Kategorien, das heißt – in nationalen Bezügen denken. Niemand könne sagen, ab wann ein Zug die EU-Binnengrenzen mit derselben Leichtigkeit überschreiten könne wie das etwa bei Schwerlastwagen oder bei einem Flugzeug der Fall sei. Dies sei nur dann möglich, wenn die EU-Mitgliedstaaten oder die Europäische Union die technische Harmonisierung der Eisenbahninfrastrukturen finanziere.
SNCF-Chef Guillaume Pepy fügt hinzu, dass mehr als zwanzig Jahre nach den ersten EU-Eisenbahnrichtlinien das „Europa der Schiene“ noch nicht existiere. Es gebe noch kein Verfahren für eine gemeinsame technische Homologierung. Die Homologierung einer Lokomotive müssen noch für jeden einzelnen EU-Mitgliedstaat erfolgen: das sei zeitaufwendig und koste mehr als 1 Million Euro. Franzosen und Deutsche setzten sich für „mehr Europa“ im Eisenbahnverkehr ein. Es müssten aber noch viele Barrieren niedergelegt werden, wie dies zum Beispiel auf einigen Hauptverkehrsachsen mit dem deutsch-französischen TGV (Frankfurt – Paris), dem Eurostar oder Thalys und –ab 2013 – im grenzüberschreitenden Bahnverkehr mit Spanien der Fall sei. Guillaume Pepy setzt sich für ein System europäischer Homologierung wie bei Flugzeugen ein. Ein Kraftfahrzeug könne in allen EU-Mitgliedstaaten am Verkehr teilnehmen. „Warum nicht eine Lokomotive ?“ – fragt der SNCF-Chef.
Das „Europa der Schiene“ sei ein echtes politisches Thema. Es müsse – so Rüdiger Grube – schnellstens in Angriff genommen werden; zum Beispiel in der Frage der europaweiten Zulassung des rollenden Materials. Die Beseitigung der technischen Grenzbarrieren müsse jedoch Hand in Hand gehen mit Fortschritten in der Liberalisierung der nationalen Märkte. Man müsse einen Zeitplan festlegen, der zwingend einzuhalten sei. Unsere Vision – so der Chef der Deutschen Bahn – ist und bleibt ein einheitlicher und offener europäischer Eisenbahnraum für den Transport von Personen- und Gütern.