Ohne vertrauenswürdige Messungen läuft gar nichts, jedenfalls nicht in einem Europa der starken Industriestaaten, aber auch weltweit gesehen. So leistet die Metrologie, die wissenschaftliche und technologische Grundlage des Messwesens, wichtige Beiträge bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit, z. B. der Frage nach einer sicheren und sauberen Energieversorgung, dem Umweltschutz, der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit des Einzelnen oder des fairen Handels in einer globalisierten Welt. Ein zuverlässiges Einheitensystem und die Vergleichbarkeit von Messungen bilden die Basis für regulatorische Maßnahmen wie die Festlegung und Überwachung von Grenzwerten und sichern das Vertrauen zwischen Produzent, Händler und Kunden. Ohne diese Grundlage gibt es weder fairen Handel noch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Die erforderliche Präzision beispielsweise in der Fertigung von Windturbinen oder effizienter Fahrzeugmotoren wird erst durch die Bereitstellung einer entsprechenden Messtechnik möglich. Globale, satellitenbasierte Navigationssysteme funktionieren nur, weil es langzeitstabile Atomuhren gibt. Das Vertrauen in Messergebnisse ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, kleine Veränderungen aus Langzeitbeobachtungen abzuleiten, wie es bei Untersuchungen zum Klimawandel erforderlich ist.
Die nationalen Metrologieinstitute der Staaten Europas, zusammengeschlossen in der Vereinigung EURAMET, haben ein Forschungsprogramm entwickelt, das diese und andere drängende Fragen konzertiert angeht. Das „Europäische Metrologieforschungsprogramm“ (European Metrology Research Programme, EMRP) hat über insgesamt sieben Jahre Laufzeit einen Umfang von 400 Mio. €, von denen die eine Hälfte von den teilnehmenden Ländern selbst aufgebracht und die andere Hälfte von der EU beigesteuert wird. Jährlich wird über neue Forschungsprojekte entschieden, basierend auf dem Votum einer internationalen Expertengruppe. Im Dezember 2011 wurden 30 neue Projekte mit einem Gesamtvolumen von 83 Mio. € in den Schwerpunktbereichen „Gesundheit“, „Neue Technologien“ und „Weitergabe der SI-Einheiten“ bewilligt. An 29 davon ist die PTB beteiligt, 12 davon wird die PTB koordinieren. Insgesamt stehen der PTB rund 13 Mio. € zusätzlicher europäischer Gelder, verteilt auf drei Jahre, zur Verfügung, um sich den wichtigen Forschungsfragen zu widmen.
Der Schwerpunkt der in elf Projekten laufenden Forschungsarbeiten im Themenbereich „Gesundheit" liegt in der Schaffung einer metrologischen Infrastruktur, die es ermöglicht, die Qualität diagnostischer und therapeutischer Verfahren wie therapeutischer Ultraschall, Brachytherapie und Kernspintomographie zu verbessern, diese Verfahren weiterzuentwickeln und damit ihr Anwendungsspektrum zu erweitern. Darüber hinaus werden in verschiedenen Projekten neue Technologien mit dem Ziel entwickelt, die Gesundheitspflege und den Patientenschutz zu verbessern. Eine Reihe von Projekten werden sich mit dem weiten Feld der Biomarker, ihrer Detektion und Charakterisierung befassen.
Der Themenbereich „Weitergabe der SI-Einheiten" hat seinen Fokus auf der Weitergabe des internationalen Einheitensystems, um für die zu erwartenden Fortschritte in der Grundlagen- und angewandten Forschung die erforderliche metrologische Basis bereitzustellen. Seit einigen Jahren wird intensiv daran gearbeitet, alle Basiseinheiten auf unveränderlichen Naturkonstanten zurückzuführen und sie nicht mehr über eine chemisch-physikalische Stoffeigenschaft oder über einen Prototyp zu definieren. So wird die Einheit Kelvin beispielsweise zukünftig nicht mehr auf dem Tripelpunkt des Wassers beruhen, sondern auf der Boltzmann-Konstanten. Für die Neudefinition des Kilogramms, bisher über das Ur-Kilogramm als Prototyp definiert, werden zwei Ansätze verfolgt: eine Definition über das Planck‘sche Wirkungsquantum und eine zweite über die Avogadro-Konstante. Mit den bevorstehenden Neudefinitionen ist die Notwendigkeit verbunden, die Einheiten entsprechend an die verschiedenen Nutzergruppen weiterzugeben. Es gilt, die aufwendige Realisierung im metrologischen Grundlagenlabor bis in die Anwendung an der Fertigungsstraße oder im Supermarkt zu übertragen. Ein wesentlicher Teil des zehn Forschungsprojekte umfassenden Themenschwerpunktes besteht daher aus Arbeiten zur praktischen Realisierung der Basiseinheiten.
Das Themenprogramm „Neue Technologien“ greift neue und zumeist interdisziplinäre Herausforderungen an die Metrologie auf, die in den Bereichen Nanotechnologie, neue Materialien, Sicherheit sowie Mathematik und Informations- und Kommunikationstechnik für die Metrologie entstanden sind. Die Gebiete der Nanotechnologie und neuen Materialien schließen die Charakterisierung neuer funktioneller Eigenschaften ein, die mit nanostrukturierten Oberflächen und Materialien, nano-elektromechanischen Systemen und Nanoteilchen verbunden sind. Der Schwerpunkt auf dem Themengebiet Sicherheit liegt unter anderem auf der Detektion von Gefahrstoffen, der Terahertz-Strahlung und der chemischen Analytik. Insgesamt neun Projekte werden in diesem Themenschwerpunkt bearbeitet werden.