Wirtschaftswissenschaftler und Neurowissenschaftler der Universität Witten Herdecke (UW/H) bekamen den Zuschlag für das hochrangige EU-Forschungsprogramm ERA NET NEURON. Geleitet wird es von den Wittener Wissenschaftlern der Wirtschaftsphilosophie Prof. Dr. Jens Harbecke und Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath in Kooperation mit der Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Piefke an der Fakultät für Gesundheit. Zu dem europäischen Forschungskonsortium gehören Partner in Belgien und Finnland. Das fächerübergreifend angelegte Thema lautet: „Die Integration transdisziplinärer Forschung in den Neurowissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften: Eine methodologische Fallstudie zum Verhältnis von Wirtschaftspolitik und neurowissenschaftlich fundierter Handlungstheorie“.
Die Wittener Gruppe konzentriert sich dabei auf die Analyse von Finanzmärkten. Es geht darum, bestimmte Phänomene wie Herdenverhalten von Investoren oder die vielzitierte "Gier von Bankern" aus der Perspektive der Neurowissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft zu beleuchten. Dies soll dazu führen, methodische Kriterien zu entwickeln, wie eine integrative Sichtweise auf diese Phänomene entwickelt werden kann. In einem weiteren Schritt sollen auf dieser Grundlage schließlich Empfehlungen für die Regulierung von Finanzmärkten und Banken formuliert werden. Die anderen europäischen Partner haben den Auftrag, weitere Bereiche in diesem Zusammenhang wie etwa Konsumverhalten und Sucht zu untersuchen.
In der Programmförderung geht es explizit um die Aktivierung philosophischer Ressourcen. Denn bislang stehen die sogenannte "Behavioural Finance" und die etablierte Theorie der Finanzmärkte oft noch unverbunden nebeneinander. Obgleich inzwischen viele nationale Regierungen sogar task forces zur Verhaltenswissenschaft auf höchster Ebene etabliert haben, ist die Stellung dieser Forschung in den Wirtschaftswissenschaften weiterhin umstritten. Die Gestaltung der Regulierung orientiert sich weiterhin eher an konventionellen Ansätzen der traditionellen Finanzmarkttheorie.
Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, eine exakte interdisziplinäre Architektur zu entwickeln, die es erlaubt, unterschiedliche Punkte und Ebenen zu identifizieren, an denen Interventionen und Regulierungen wirkungsvoll ansetzen können. Auf diese Weise wird die Perspektive über technische Aspekte der Regulierung erweitert auf Fragen wie etwa der Gestaltung der Ausbildung im Finanzsektor oder die Geschlechtergleichstellung. Die Arbeitshypothese lautet, dass nur ein umfassender, transdisziplinärer und systematisch ausdifferenzierter Ansatz geeignet ist, um die fortbestehenden Probleme und Missstände in der Funktionsweise des Finanzsektors und der Bankenwelt zu beheben.
„Wir hoffen, über diesen neuen interdisziplinären Forschungsansatz zu praktikablen Handlungsoptionen zu kommen, die dabei helfen Krisen wie die Finanzkrise von 2008/2009 zu vermeiden“, sagt Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath.