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Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen: Stellungsnahme zur geplanten EU-Verodnung über den Zugang zu genetischen Ressourcen

Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zum “Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Europäischen Union” 2012/0278 (COD):

"Am 4. Oktober 2012 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine 'Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu genetischen Ressourcen sowie die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile in der Europäischen Union' veröffentlicht. Dieser Vorschlag wird derzeit im Europäischen Parlament und im Rat verhandelt. Ziel der Verordnung ist es, eine gemeinsame rechtliche Basis für die Umsetzung des Nagoya-Protokolls (NP) innerhalb der EU zu schaffen. Entsprechend ist die erklärte Absicht des Vorschlags, innerhalb von Europa harmonisierte, klare und detaillierte gesetzliche Bestimmungen für alle Nutzer genetischer Ressourcen zu schaffen und so den Zugang zu genetischen Ressourcen zu erleichtern. Die Allianz der Deutschen Wissenschaftsorganisationen begrüßt ausdrücklich diese Bemühungen.

Nach umfassender Prüfung sind die Mitglieder der Allianz jedoch zur Auffassung gelangt, dass der gegenwärtige Vorschlag weder für die Provider- noch für die User-Countries Rechtssicherheit bei Forschungsvorhaben schafft und somit Forschung auf internationalem Niveau stark beeinträchtigt.
Der freie Austausch von Wissen und wissenschaftlichen Daten über die Organismen ist eine Grundvoraussetzung für den Erhalt, das effektive Management sowie die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt. Dieses letztlich öffentliche Wissen entsteht in intensiver internationaler Forschungszusammenarbeit. Dafür ist auch der regelmäßige, rasche und freie Austausch von Daten und Materialien notwendig. Die internationale Zusammenarbeit ist für Entwicklungsländer besonders wichtig, um die eigenen Forschungskapazitäten auf- und auszubauen.

Vor diesem Hintergrund gibt der oben erwähnte Verordnungsvorschlag Anlass zur Sorge um die Zukunft der biologischen Forschung nicht nur in Europa sondern weltweit.

1. Zielgruppen der Verordnung

Das Nagoya-Protokoll (NP) nennt in Artikel 2 unter 'Utilization of genetic resources' Forschung und Entwicklung an der genetischen und biochemischen Zusammensetzung von genetischen Ressourcen, inklusive der Biotechnologie, wobei nur letztere sowie der Begriff der 'Derivate' näher erläutert werden. Diese Definition scheint auf den Komplex der kommerziellen Forschung abzuheben. Daneben nennt das NP aber in Artikel 8a explizit die nicht kommerzielle, also Grundlagenforschung als Forschung, für die die Provider-Länder einen erleichterten Zugang zu den genetischen Ressourcen gewähren sollen. Das NP kennt also beide Arten der Forschung, ohne sie allerdings klar zu definieren. Daraus entwickeln sich grundlegende Fragen, z.B. des Übergangs von Grundlagenforschung zu kommerziell motivierter Forschung, das so genannte Monitoring und der 'Change of intent' zu denen auch der Entwurf der EU-Kommission keine Aussagen macht. Es bleibt unklar, ob sich der Passus über die Forschung auf alle Arten der Forschung, auf die Grundlagenforschung allein, oder nur auf die kommerziell motivierte Forschung bezieht. Für die Grundlagenforschung ist Rechtssicherheit ebenso wichtig wie für die kommerziell motivierte Forschung. Es muss ausdrücklich gesagt werden, dass die Genehmigung des Zugangs zu genetischen Ressourcen für Grundlagenforschung ebenso erwirkt werden muss wie für kommerzielle Forschung, dass aber für Projekte der Grundlagenforschung einfachere Verfahren gelten sollen (NP Art. 8a).

Im Zusammenhang damit ist eine klare Unterscheidung zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Nutzung/Forschung von/an genetischen Materialien unabdingbar, um den Spielraum der Interpretation von 'Nutzung genetischer Ressourcen' einzugrenzen. Davon betroffen sind nicht nur die Biodiversitätsforschung im engeren Sinne, sondern auch alle angewandten Forschungsrichtungen mit Biodiversitätsbezug, wie z.B. die Forst- und Agrarwissenschaften oder die Umweltwissenschaften. Der Entwurf der EU-Kommission bleibt diese Definitionen schuldig. Somit steigen die rechtlichen Risiken für sämtliche Forschungsaktivitäten in der EU, welche den internationalen Transfer oder Austausch von biologischen Materialien voraussetzen.

2. Nationale Checkpoints und 'Union trusted collections'

Zur Durchsetzung der durch die Verordnung geforderten Nachweise über die Herkunft und Nutzung genetischer Ressourcen ist die Einrichtung einer nationalen 'Authority' mit verteilten Checkpoints vorgesehen. Diese sollen die Nutzung genetischer Ressourcen, hier im Sinne von Forschung überprüfen. Die Einrichtung solcher Checkpoints und die Durchführung der Überprüfung, z.B. durch Forschungsförderorganisationen, würden zu erheblichem finanziellem und personellem Mehraufwand für diese Einrichtungen in den Mitgliedstaaten führen. Gleichzeitig wären deutliche Verzögerungen bei der Bearbeitung von Forschungsanträgen unvermeidbar.

Ein wichtiges Element des Nagoya-Protokolls ist das Monitoring, d. h. die Nachverfolgung der Nutzung genetischer Ressourcen und der daraus erhobenen einschlägigen Daten. Dies erfolgt gewöhnlich über die Hinterlegung des genetischen Materials in öffentlichen Sammlungen durch die Wissenschaftler. Öffentliche mikrobiologische, botanische und zoologische Sammlungen sind ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der lebenswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Das Nagoya-Protokoll sieht für die Nutzung einer genetischen Ressource einen Vertrag (MAT, mutually agreed terms) zwischen dem Nutzer (als Vertreter der 'User-Countries') und dem 'Provider-Country' vor, in dem sowohl die Bedingungen für den Zugang als auch für das Benefit-sharing zu verhandeln sind. Bei der derzeitigen Verfahrensweise liegt die rechtliche Verantwortung bei einer Hinterlegung von biologischem (= genetischem sensu NP) Material in öffentlichen Sammlungen bei dem Hinterleger selbst. Dieser muss durch ein vom Ursprungsland ausgestelltes Zertifikat ('internationally recognised certificate of compliance') nachweisen, dass sämtliche gesetzliche Vorschriften beachtet und erforderliche Genehmigungen eingeholt wurden.

Zentrales Konzept des Verordnungsvorschlags ist demgegenüber eine herausgehobene Stellung speziell akkreditierter öffentlicher Sammlungen ('Union trusted collections') in den europäischen Mitgliedstaaten, welche die Verantwortung für die Deposition und das Monitoring und deren Dokumentation übernehmen sollen und nur entsprechend zertifizierte biologische Materialien für bekannte, ordnungsgemäße Nutzungen weitergeben dürfen. Damit werden die rechtlichen Risiken und administrativen Mehrkosten größtenteils auf die sammlungsbetreibenden öffentlichen Einrichtungen übertragen. Gemäß Artikel 4,2 (b) des Verordnungsvorschlags müssten bei Unklarheiten über den legalen Status der Objekte und Daten, oder für die Weitergabe durch die öffentliche Sammlung zusätzliche Information aus dem Herkunftsland eingeholt werden. Zudem wären die öffentlichen Sammlungen verpflichtet, nicht nur die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften gemäß CBD (Convention on Biological Diversity), sondern auch die national sehr unterschiedlich verankerten Verfügungsrechte an biologischem Material zu überprüfen. Die öffentlichen Sammlungen verfügen nicht über behördlichen Zugang zu sämtlichen (nationalen) Rechtsvorschriften und Verordnungen des Herkunftslandes.

Mit den vorgesehenen Maßnahmen sind somit eine echte multilaterale Lösung und die angestrebte Rechtssicherheit für die Transaktionspartner kaum zu erreichen. Als Konsequenz ist ein weitgehender Verzicht auf einen Ressourcenaustausch sowohl durch Geber- als auch Nehmerseite abzusehen.

3. Internationale Biodiversitätsforschung und Capacity Building

Sowohl der Schutz als auch die nachhaltige Nutzung der Biodiversität setzen eine ausreichende Erforschung der Biodiversität und ihrer Steuerungsfaktoren voraus. Gemäß Artikel 8 (a) des Nagoya-Protokolls soll solche Grundlagenforschung in den Entwicklungsländern gezielt gefördert und der Zugang zur Biodiversität zum Zweck der nicht-kommerziellen Erforschung erleichtert werden. Artikel 22, 4 (d) fordert kapazitätsbildende Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Forschung in Entwicklungsländern und Artikel 22, 5 (f) entsprechende Hilfen für Entwicklungsländer zur Stärkung der eigenen taxonomischen Expertise.

Nach den bisherigen Erfahrungen wird die Diversitätsforschung in Kooperationsprojekten mit Partnern in Entwicklungsländern bereits durch teils extrem langwierige und im Ausgang oftmals unvorhersagbare Antragsverfahren erheblich erschwert. Durch die Vorgaben des Verordnungsvorschlags würde das Capacity building auf dem Gebiet der Biodiversitätsforschung in Entwicklungsländern noch weiter erschwert.

Weiterhin ist festzuhalten, dass der Verordnungsvorschlag die derzeit laufenden Strategien sowohl der EU als auch des BMBF konterkariert. Gefördert wird dort der Aufbau einer kohärenten, dezentralisierten paneuropäischen Service-Infrastruktur für Forschung und Entwicklung von Bioressourcen in Europa und darüber hinaus. Grundlage der angestrebten Struktur ist ein freier Austausch von Bioressourcen für die Grundlagenforschung. Bei Umsetzung des Verordnungsvorschlags würden dagegen zusätzliche Barrieren v.a. zwischen den kleineren (nicht akkreditierten) und den wenigen 'Union trusted collections' aufgebaut.

Schließlich unterläuft der Verordnungsvorschlag gegenwärtige Bestrebungen öffentlicher deutscher Zuwendungsgeber (insbesondere der DFG), geeignete Verfahrensweisen und zusätzliche Kapazitäten zur verbesserten Hinterlegung biologischer Materialien in öffentlichen Sammlungen zu schaffen. Diese Hinterlegung ist mittlerweile eine Voraussetzung für Veröffentlichungen in internationalen Journalen und bindend für den Autor. Da in den meisten Entwicklungsländern de facto zwar Sammlungen für Pflanzen- und Tierproben existieren, jedoch kaum solche für mikrobiologische Objekte und Zellkulturen und die Hinterlegung in Europa bei Umsetzung der neuen EU-Verordnung für Forscher aus Drittländern erschwert sein könnte, werden sich auch die Möglichkeiten für die Publikation von mit öffentlichen Geldern aus Deutschland und der EU geförderten Forschungsergebnissen aus Entwicklungsländern in international anerkannten Zeitschriften noch weiter verschlechtern. Die Umsetzung der Verordnung führt zwangsläufig zu Wettbewerbsverzerrungen in der Nutzung genetischer Ressourcen zwischen EU-Ländern und solchen Industriestaaten, die das Nagoya-Protokoll nicht ratifizieren, die zuungunsten der Forschungseinrichtungen im Bereich der EU ausgehen wird.

Vor dem Hintergrund der drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen für die Grundlagenforschung sowohl in der EU als auch besonders in den Entwicklungsländern, ersucht die Allianz der deutschen Forschungsorganisationen die politischen Verantwortungsträger, auf eine umfassende Verbesserung der Verordnungsvorlage vor ihrer Verabschiedung hinzuwirken.

23.5.2013"

 

Allianz der Wissenschaftsorganisationen

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Zusammenschluss der bedeutendsten Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland. Sie nimmt regelmäßig zu Fragen der Wissenschaftspolitik, Forschungsförderung und strukturellen Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems Stellung.

Mitglieder der Allianz sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsrat.

Für das Jahr 2013 hat die Hochschulrektorenkonferenz turnusgemäß die Federführung in der Allianz übernommen.

Quelle: IDW Nachrichten / Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Redaktion: von Tim Mörsch, VDI Technologiezentrum GmbH Länder / Organisationen: EU Themen: Strategie und Rahmenbedingungen Lebenswissenschaften

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