Organ-on-a-Chip-Systeme sind mikrofluidische Plattformen, die humanes Gewebe oder Organbausteine enthalten. Mit ihrer Hilfe können biologische Vorgänge im menschlichen Körper nachgebildet werden. Dadurch können sie wertvolle neue Erkenntnisse für die biomedizinische Grundlagenforschung liefern. Als Testsysteme eingesetzt, helfen sie bei der Entwicklung von neuen Arzneiwirkstoffen und stellen die Weichen für die personalisierte Medizin. Dabei kombinieren sie die Alleinstellungsmerkmale der klassischen Zell-Assays (menschliche Gene und Standardisierbarkeit) und der Tiermodelle (3D-Gewebe und Blutkreislauf) und haben das Potenzial, die Übertragbarkeit der vorklinischen Resultate auf spätere klinische Phasen signifikant zu verbessern. Auf diese Weise können nicht nur Tierversuche reduziert, sondern auch die Entwicklung medizinischer Innovationen kostengünstiger, sicherer und schneller gemacht werden.
EUROoC-Netzwerk bündelt interdisziplinäre Expertise
Die Entwicklung und Anwendung von Organ-on-a-Chip-Systemen erfordert die Bündelung verschiedener Kompetenzen aus diversen wissenschaftlichen Bereichen – von der Biologie und Medizin über die Ingenieurwissenschaften bis hin zur Physik. Aufgrund dieses multidisziplinären Anspruchs wurde nun das EUROoC-Forschungsnetzwerk ins Leben gerufen, das von der EU im Rahmen des hoch kompetitiven Marie Skłodowska-Curie Innovative Training Network (MSCA-ITN) Programms gefördert wird und noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnimmt. In diesem Zusammenschluss bündeln Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen ihre Kräfte über Länder- und Branchengrenzen hinweg. Als die elf Hauptvertragspartner sind am Projekt neun aus dem akademischen Sektor, ein mittelständisches Unternehmen sowie eine Bundesbehörde aus dem Bereich gesundheitlicher Verbraucherschutz beteiligt. Weiterhin sind im Netzwerk zehn Partnerorganisationen eingebunden, hiervon drei akademische Einrichtungen, fünf aus dem industriellen Sektor sowie zwei weitere Regulierungsbehörden aus dem Bereich Humanarzneimittel.
Europäisches Schulungsprogramm für Organ-on-a-Chip-Systeme
Ein Schwerpunkt der Arbeit des Netzwerks liegt auf der fachübergreifenden Aus- und Weiterbildung junger Nachwuchsforscher. "Die nächste Generation an Forschenden soll in allen Aspekten der Entwicklung und Anwendung von Organ-on-a-Chip geschult werden", erklärt Jun.-Prof. Dr. Peter Loskill. Der interdisziplinär ausgebildete Physiker leitet am Fraunhofer IGB die Forschungsgruppe "Organ-on-a-Chip". "Neben der wissenschaftlichen Seite legen wir Wert darauf, dass Forscherinnen und Forscher auch lernen, wie sie ihre Entwicklungen kommerziell vermarkten können und wie sie mit regulatorischen und rechtlichen Aspekten umzugehen haben. Letztendlich wollen wir dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas in diesem zukunftsweisenden Forschungsfeld zu stärken."
Darüber hinaus arbeiten die beteiligten Forscherinnen und Forscher unter dem Dach des EUROoC an gemeinsamen Projekten. Das Ziel ist, fortschrittliche Organ-on-a-Chip-Systeme zu entwickeln, welche die Eigenschaften des jeweils nachgebildeten Organgewebes hinsichtlich Zelltypen, Mikroumgebung sowie organspezifischer Gewebestruktur und -funktion möglichst realitätsnah abbilden. Auch Konzepte zur Vernetzung einzelner Organ-on-a-Chip und zur Integration von Sensoren werden im Netzwerk erarbeitet.
Das MSCA-Programm ist aufgrund seines Bottom-up-Ansatzes und seiner wissenschaftlichen Exzellenz sehr beliebt, aber auch äußerst kompetitiv. Für die Ausschreibung im Januar 2018 bewarben sich über 1400 Projektkonsortien, die Förderquote lag deutlich unter 10 Prozent. Das Fraunhofer IGB übernimmt innerhalb von EUROoC die Gesamtkoordination. Der Zeitrahmen ist zunächst auf vier Jahre festgelegt.