Industrie 4.0 – eine industrielle Revolution, die neben Digitalisierung auch auf innovative Produktlösungen angewiesen ist. Doch die Anforderungen an Fertigungsprozesse, Bauteile und Konstruktion steigen: ressourceneffizienter, schneller, langlebiger, effektiver, serientauglich, wettbewerbsfähig und gleichzeitig kostengünstig, so der Anspruch. Großes Potenzial versprechen additive Fertigungsverfahren (engl.: Additive Manufacturing, kurz AM), häufig auch 3D-Druck genannt, mit denen sich höchst komplexe Leichtbaukomponenten produzieren lassen. Die nächste Entwicklungsstufe im Bereich des metallischen 3D-Drucks besteht in der Herstellung von Multimaterial-Bauteilen, bei denen zwei oder mehr Werkstoffe beliebig kombiniert werden können.
Ein europaweites Forschungsteam, geleitet von der Universität Paderborn, will nun Industrieanwendungen für diese revolutionäre Technologie entwickeln. Additive Fertigung aus mehreren Werkstoffen mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften soll die industriellen Möglichkeiten auf das nächste Level heben. Ziel ist es, eine noch nie dagewesene Gestaltungsfreiheit für hochkomplexe (Leicht-)Bauteile zu ermöglichen. Dafür entwickelt das Projektteam innovative Multimaterial-Bauteile mit lokal zugeschnittenen mechanischen, elektrischen, thermischen und magnetischen Eigenschaften für Anwendungen in der Automobilindustrie sowie Luft- und Raumfahrt.
Zwar lassen sich durch additive Fertigung Bauteile heutzutage fast grenzenlos individualisieren und verschiedene Funktionen in einem einzigen Druckprozess integrieren. Jedoch braucht es dafür geeignetes Material. Die bis dato verwendeten Werkstoffe genügen den vielschichtigen Anforderungen – etwa Biegsamkeit, Temperaturstabilität und magnetische Eigenschaften in einem Teil zu vereinen – aufgrund ihrer homogenen Materialeigenschaften allerdings nicht. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Stähle und Legierungen wegen Rissbildungen nicht gedruckt werden kann. Dieses Problem ist noch ausgeprägter, wenn zwei oder mehr Materialien additiv miteinander verbunden werden sollen. Hier setzt das internationale Expertenteam an. Gemeinsam wollen sie die Leistung von Multimaterial-Bauteilen bedeutend steigern sowie Gewicht erheblich verringern, um neue Möglichkeiten des Leichtbaus zu schaffen.
Die Arbeit beginnt dabei noch vor dem Druck. Daher setzt das Team auf ein systematisches computerbasiertes Materialdesign. Das Besondere: Für den jeweiligen Anwendungsfall werden die gewünschten Werkstoffeigenschaften in Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung berechnet und vorausgesagt. Für jeden Multimaterial-Kandidaten wird dann innerhalb von zwei bis drei Iterationen eine Materialkombination erstellt, die als Blaupause für vielzählige weitere Applikationen dienen kann. Der Einsatz von maschinellem Lernen in der Prozessentwicklung soll zu kürzeren Entwicklungszyklen führen und die Digitalisierung der Prozesskette vorantreiben.
Das Projektteam testet die innovativen Ansätze in fünf Anwendungsfällen im Bereich der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie. Dabei sind die Ziele klar definiert: Durch die Verarbeitung verschiedener Materialien soll das Gewicht einzelner Teile um bis zu 50 Prozent im Vergleich zu derzeit verwendeten Komponenten reduziert werden – durch Materialersatz (Verwendung leichterer Metalle) und deren Herstellung durch AM (d. h. weniger Materialverbrauch und Individualisierbarkeit der Funktionen). Ganz konkret arbeiten sie u. a. daran, Antriebssysteme in der Luftfahrt leichter zu gestalten, um sowohl Kosten zu sparen als auch einen großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu machen. Außerdem wollen sie die Leistung von Elektromotoren durch den Einsatz von Materialkombinationen, die eine bessere Magnetplatzierung und Ausrichtung des magnetischen Flusses ermöglichen, optimieren. Die Projektergebnisse sollen später auf viele andere Sektoren, wie z. B. Gesundheit und Energie, übertragbar sein.
An dem Projekt sind neben der Universität Paderborn weitere Partner aus Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Österreich, Schweden, der Schweiz, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich beteiligt. Erste Projektergebnisse werden bereits in sechs Monaten erwartet.