Die Studie "Schnell, bezahlbar, nachhaltig – Wie in Afrika große Entwicklungssprünge möglich werden" des Berlin-Instituts zeigt, dass die Möglichkeiten für große Entwicklungssprünge (auch "Leapfrogging" genannt) in Afrika längst existieren: technische und soziale Innovationen, die in großen Sprüngen den Menschen das Leben leichter machen, wobei ineffiziente, umweltschädliche und kostspielige Zwischenstufen der Entwicklung möglichst ausgelassen werden.
Die rasche Einführung der mobilen Telefonie um die Jahrtausendwende, dort, wo es zuvor kaum Festnetzverbindungen gab, war ein klassisches Beispiel für Leapfrogging. Mittlerweile nutzen Afrikaner das Handy, um Bankgeschäfte abzuwickeln, Versicherungen abzuschließen oder sich von landwirtschaftlichen und medizinischen Informationsdiensten beraten zu lassen. Afrika ist damit weiter als viele hochentwickelte Länder.
Die Studie beschäftigt sich mit drei zentralen Bereichen, ohne die eine sozioökonomische Entwicklung armer Länder nicht möglich ist: Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft. Denn nur eine gesunde, qualifizierte und ausreichend ernährte Bevölkerung kann sich eigene Perspektiven erarbeiten und die Wirtschaft ihrer Heimatländer voranbringen. Reiner Klingholz, einer der Autoren der Studie und ehemaliger Direktor des Berlin-Instituts erklärt:
"In diesen Bereichen haben wir nach Beispielen gesucht, wo afrikanische Unternehmen, Nichtregierungs-organisation oder Regierungen bereits Erfolge erzielt haben. Wichtig ist, dass sich diese Ideen und Konzepte von Afrikanern für Afrikaner zügig und mit geringen Kosten umsetzen lassen. Sie sollten möglichst schnell in die Breite getragen und von anderen Ländern kopiert werden."
Dabei geht es nicht nur um moderne technische Lösungen wie bei der mobilen Telefonie, sondern auch um ganz simple Veränderungen und soziale Errungenschaften, die aber große Effekte haben können. Zum Beispiel wird in einer Schule in einem südafrikanischen Armenviertel versucht, die Jugendlichen so gut auszubilden, dass sie nach dem Sekundarabschluss reif für die Top-Universitäten des Landes sind. Ein weiteres Beispiel in den ländlichen Gebieten Äthiopiens, in denen es weder Ärzte noch Hospitäler gibt, zeigt, dass mit dem Health Extension Program eine Basisgesundheitsversorgung mit lokalen Gesundheitshelferinnen aufgebaut und damit die Mütter- und Kindersterblichkeit entscheidend gesenkt werden kann. Dazu beigetragen hat allein schon, dass das Bewusstsein für die Wichtigkeit von sauberem Wasser, eine gute Ernährung und Impfungen für die Vermeidung von Infektionen gestiegen ist.
Informations- und Kommunikationstechnik trägt in vielen Bereichen zu Entwicklungssprünge bei oder bringt solche Projekte entscheidend voran. So nutzt Kenia im Rahmen des Tusome-Programms Tablets und eine Datenbank, um die Lernerfolge der Kinder zu überwachen und gegebenenfalls nachsteuern zu können. Die Lesefähigkeit der Grundschüler hat sich so innerhalb von drei Jahren deutlich verbessert. Mit dem Siyavula-Programm aus Südafrika können Jugendliche Online-Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften nehmen und sich auf Abschlussprüfungen vorbereiten. Zu Corona-Zeiten sind die Siyavula-Nutzerzahlen enorm angestiegen.
Besonders wichtig ist Leapfrogging in der Landwirtschaft, auch weil Afrika bei seinem dringend notwendigen Aufholprozess nicht die Fehler wiederholen sollte, die Industrie- und Schwellenländer bei der Entwicklung ihres Agrarbereichs gemacht haben. Dort arbeiten die Bauern zwar hochproduktiv, aber ihre Wirtschaftsweise bedroht oft die Biodiversität, hinterlässt Unmengen an Treibhausgasen, verschmutzt das Grundwasser und lässt die Böden erodieren. Wie sich die Teller nachhaltiger füllen und gleichzeitig Einkommen schaffen lassen, zeigt das nigerianische Sozialunternehmen Babban Gona, das Kleinbauern den Zugang zu Qualitäts-Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel erleichtert und sie zum Einsatz der Produkte berät. Dadurch konnten die Bauern in verschiedenen Regionen Nigerias ihre Erträge im Mittel auf das 2,3-Fache des nationalen Durchschnitts steigern.
Fortschritte in den zentralen Entwicklungsbereichen Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft sind nicht nur entscheidend, um die demografische Herausforderung in Afrika zu bewältigen und die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Weltgemeinschaft für 2030 zu erreichen. Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts betont:
"Es ist vor allem auch das, was sich die Afrikanerinnen und Afrikaner wünschen. Umfragen belegen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie eine gute Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur zu den wichtigsten Anliegen der Menschen auf dem Kontinent gehören."
Es liegt in der Verantwortung der afrikanischen Regierungen die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit erfolgreiches Leapfrogging in diesen Bereichen möglich wird.
Die Studie wurde von der Bayer AG unterstützt und im Rahmen eines Fellowships am Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS) der südafrikanischen Stellenbosch University erarbeitet.