Ein Aha-Erlebnis hatte Prof. Dr. Pyka, als er bei Kollegen von der staatlichen Dokuz Eylül Universität im türkischen Izmir aus dem Bürofenster blickte: „Dort sehen Sie die gleichen deutschen Firmen, wie rund um die Universität Hohenheim in Stuttgart.“
Zahlreiche Gespräche belegen: Persönliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind umfangreich und intensiv geworden. Oft beteiligt sind Türken mit Migrationshintergrund, die inzwischen zum Teil schon in dritter Generation in Deutschland leben.
Abkommen am 30. Okt. 1961 startete Einwanderung
Als offizieller Start der Einwanderung gilt das „Abkommen zur zeitlich begrenzten Anwerbung von Arbeitskräften". Am 30. Oktober 1961 hatten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkische Republik das Dokument in Bad Godesberg unterzeichnet.
Heute leben rund 1,6 Millionen Menschen mit türkischem Pass in Deutschland. Dazu kommen weitere mit deutscher Staatsbürgerschaft und türkischem Migrationshintergrund. Laut Statistischem Bundesamt exportierte die Bundesrepublik im vergangenen Jahr Waren im Wert von 16 Milliarden Euro in die Türkei. Umgekehrt lieferte die Türkei Waren im Wert von 10 Milliarden Euro nach Deutschland.
„Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Migration wird zu sehr ausgeblendet“
Für Prof. Dr. Pyka liegt die wirtschaftliche Bedeutung der Migranten auf der Hand: „Als Innovationsforscher sind wir es gewohnt, in Netzwerken zu denken. Denn Innovation funktioniert nur, wenn viele Menschen in Netzwerken zusammen arbeiten. Und gerade Migranten spinnen besonders vielseitige Netzwerke über Ländergrenzen hinweg.
Bestätigt sieht sich Prof. Dr. Pyka durch Studien aus den USA: „Im Silicon Valley etwa geht jede zweite Firmengründung auf Inder oder Chinesen zurück. Meist sind es Menschen, die in den USA studiert haben und Zwillingsfirmen in den USA und ihren Heimatländern gründen“, so der Ökonom. Davon profitierten beide Seiten: „Die USA profitieren von den geringeren Lohnkosten in Asien. Die Herkunftsländer profitieren vom Wissenstransfer.“
In Europa würde Migration bislang zu einseitig diskutiert: „In der gesellschaftlichen Debatte geht es meist um soziale Integration oder Belastungen für die Sozialsysteme. Die umfassende volkswirtschaftliche Diskussion zur Einwanderung ist bislang ausgeblieben.“
Forschung als Entscheidungshilfe für die Einwanderungspolitik
Ein deutsch-türkisches Forschungsprojekt soll dies nun ändern. Drei Jahre lang wollen die Universität Hohenheim und die staatliche Dokuz Eylül Universität in Izmir ihre These vom volkswirtschaftlichen Gewinn untersuchen.
„Im Detail interessieren uns, welche Bedingungen erfolgreiche Netzwerke schaffen und welche Faktoren sie behindern“, erklärt Dominik Hartmann. Der diplomierte Volkswirt arbeitet am Lehrstuhl von Prof. Dr. Pyka und soll das Projekt leiten.
Aus den Ergebnissen will Hartmann konkrete Vorschläge für die Einwanderungspolitik ableiten. Aber auch wissenschaftlich betreten die Ökonomen Hartmann und Prof. Dr. Pyka Neuland: „Wir wollen unsere Analyse-Methoden für diese Fragen ausprobieren und weiterentwickeln“, meint der Projektleiter.
Datenbank-Analysen und Einzelinterviews
Als ersten Schritt wollen die Wissenschaftler vorhandene Informationen sichten. „Zur Zeit durchforsten wir zum Beispiel Patentdatenbanken nach deutsch-türkischen Anmeldungen“, erklärt Hartmann. Andere Teilstudien identifizieren Wirtschaftszweige, in denen Kooperationen besonders häufig sind. „Dazu gehören Fahrzeug- und Maschinenbau oder Textilindustrie. Außerdem kreative Industrien wie Film, Musik oder Mode. Oder Wissenschafts-Kooperationen, für die wir die Datenbanken der EU-Projekte sichten.“
Als zweiten Schritt planen sie Einzelfallstudien. „Bis zum nächsten Jahr wollen wir ganz individuelle Schlüsselpersonen identifizieren, interviewen und die persönlichen Ego-Netzwerke analysieren.“
Interessant seien dabei die sogenannten „Hidden Champions“: „Es ist gut möglich, dass der Erfolg gar nicht von den zentralen Entscheidungsträgern abhängt, sondern zum Beispiel von Einzelpersonen, welche die nötigen Kontakte herstellen. Uns interessiert: Was sind die Wissensquellen? Wie nutzen die Menschen ihre Kontakte in beiden Ländern? Wo sind die spezifischen Probleme, wo die Stärken ihrer Netzwerke?“
Projektteam mit Migrationshintergrund
An den beteiligten Universitäten sei das Projekt sofort auf reges Interesse gestoßen: „Wir hatten kein Problem, Mitarbeiter zu finden“ erklärt Hartmann. Inzwischen arbeiten türkische Austausch-Studenten mit Deutsch-Türken der dritten Generation und deutschen Nachwuchs-Wissenschaftlern zusammen.
„Es ist eine wertvolle Mischung, die bereits die Vorteile erkennen lässt, die wir erforschen wollen“, erklärt Prof. Dr. Pyka. Die Kontakte, die sein Lehrstuhl dabei knüpft, will der Ökonom in bester Netzwerk-Manier für gleich für die ganze Universität nutzen: „Mit dem Projektstart haben wir gleich einen Studierenden-Austausch vereinbart“, so der Ökonom.
Seine Pläne gehen noch weiter: „Ich will nicht ausschließen, dass es möglich sein wird, in Hohenheim auch deutsch-türkische Doppelabschlüsse in Wirtschaftswissenschaften zu machen.“ Auch eine engere Zusammenarbeit in der Doktoranden-Ausbildung hält Prof. Dr. Pyka für möglich. Und für erstrebenswert.
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