Fachliche Stärken des Forschungssystems: Ägypten
Übersicht
Die Verteilung der Publikationen auf Fachgebiete kann erste Hinweise auf die Stärken eines Forschungssystems geben (Bezugsjahr 2016, (Quelle: SCImago (2007). SJR – SCImago Journal & Country Rank. Retrieved August 8, 2017, from http://www.scimagojr.com)).
Weltweit wie auch in Ägypten ist Medizin das Fachgebiet mit den meisten Publikationen (15,7 Prozent, Welt: 15,9 Prozent sowie Deutschland etwa 16,7 Prozent). Die Ingenieurwissenschaften liegen weltweit (10,9 Prozent) wie auch in Ägypten (11,1 Prozent) an zweiter Stelle.
Eine Spezialisierung Ägyptens ist in folgenden Fachgebieten festzustellen (Auswahl basierend auf Spezialisierungsindex Länderanteil/Weltanteil ≥ 1,3):
• Chemie (9,1 Prozent, Welt: 5,1 Prozent, Deutschland: 5,4 Prozent)
• Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazeutik (6,3 Prozent, Welt: 1,9 Prozent, Deutschland: 1,6 Prozent).
Bei einem weltweiten Vergleich der Anzahl der Publikationen liegt Ägypten im Jahr 2016 insgesamt auf Rang 35. Innerhalb der einzelnen Fachgebiete erreicht Ägypten die beste Platzierung in Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazeutik (Rang 15) sowie Chemie (Rang 22).
Um die im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen verkündeten Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) umzusetzen, hat Ägypten eine Strategie zur nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Strategy, SDS) angenommen, die „Egypt Vision 2030“. Ägypten hat sich darin zum Ziel gesetzt, in allen Kategorien bis zum Jahr 2030 unter die Top 30 Länder der Welt aufzusteigen und sich als regionale Führungsmacht zu etablieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Entwicklungsstrategien in den verschiedenen Sektoren in Zusammenarbeit von Regierung und Nicht-Regierungsorganisationen sowie mithilfe internationaler Beratung ausgearbeitet.
Ein Großprojekt der ägyptischen Regierung ist der Ausbau des „Goldenen Dreiecks“ („Golden Triangle“) zwischen den Städten Qusayr, Safaga, and Qena. Das über 9000 Quadratkilometer große und an Bodenschätzen reiche Gebiet (u.a. Phosphat, Zink, Gold) soll mit jeweils drei neuen Häfen und drei neuen Flughäfen zu einer bedeutenden Wirtschaftszone ausgebaut werden. Mit der neuen Hauptstadt „Neu-Kairo“ wird gleichzeitig eine hochmoderne Stadt gebaut, ausgestattet mit neuester Technik für 6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, mehr als 1 Million neuer Wohnungen, Parlaments- und Regierungsgebäuden sowie einem neuen Flughafen. Der Umzug der Regierung wird voraussichtlich im Jahr 2021 stattfinden. Die neue Hauptstadt ist dabei nur eine von 15 neuen Städten, die die ägyptische Regierung in den kommenden Jahren in verschiedenen Gebieten aufbauen will, um das Bevölkerungswachstum aufzufangen. Gleichzeitig soll damit die bisher im Nildelta konzentrierte ägyptische Bevölkerung besser über das Land verteilt werden. Die Einrichtung neuer Städte setzt dabei wichtige Innovationsimpulse, denn sie folgt Richtlinien für den Einsatz erneuerbarer Energien und für umweltfreundlichen öffentlichen Transport (Quelle: „Sustainable Cities Criteria“, 2030 Vision of Egypt: Egypt's Voluntary National Review 2018, S. 45).
Als ein Land mit knappen Wasserressourcen und sehr begrenztem fruchtbarem Ackerland bei gleichzeitig hohem Bevölkerungswachstum sowie starker Landflucht sind die Sicherung von Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Energie zentrale Themen in der ägyptischen Politik und Forschung. Es sind folgende Themen als prioritär benannt („Ministry of Scientific Research Strategic Goals“): 1. Landwirtschaft und Ernährung, 2. Gesundheit und Medizin, 3. Wasser, 4. Energie, 5. Tourismus und Altertum, 6. Investitionen, Transport und Handel, 7. Strategische Industrien, 8. Schutz von Umwelt und natürlichen Ressourcen, 9. Informations- und Kommunikationstechnologien und 10. Geisteswissenschaften.
Energie
Traditionell deckt Ägypten seinen stetig wachsenden Energiebedarf vor allem durch Öl und Gas, teilweise aus Importen und teilweise aus eigenen Reserven, die mit Hilfe ausländischer Investoren erschlossen werden. Damit verbunden war bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Ansiedlung einer eigenen petrochemischen Industrie. Eine renommierte Forschungseinrichtung in diesem Bereich ist das Egyptian Petroleum Research Institute (EPRI). Die Nutzung von Energiequellen soll zukünftig breiter gestreut werden: Dazu gehört der Bau eines eigenen Atomkraftwerks mit Hilfe des russischen Staatsunternehmen ROSATOM, das voraussichtlich im Jahr 2030 fertig gestellt wird („El Dabaa Nuclear Power Plant“). Nuklearenergie soll so bis 2035 3 Prozent des ägyptischen Energiebedarfs abdecken.
Ägypten verfügt aber auch über bedeutende Potentiale für erneuerbare Energien und strebt im arabischen Raum eine Führungsrolle bei deren Verbreitung an. Zuständig ist das Energieministerium und die Behörde New and Renewable Energy Authority (NREA). Seit 2008 beherbergt die ägyptische Regierung das Regional Center for Renewable Energy and Energy Efficiency (RCREEE) in Kairo, das arabische Länder unterstützt und berät. In Ägypten selbst lag allerdings der Anteil von Solar- und Windenergie 2015 bei lediglich 1 Prozent. Angesichts der großen Potentiale hat sich die Regierung ehrgeizige Ziele gesetzt: Unter der integrierten Energiestrategie („Integrated Energy Strategy to 2035“) soll der Anteil der erneuerbaren Energien bereits 2022 bei 20 Prozent liegen und bis 2035 auf insgesamt 42 Prozent steigen. Dabei wird bis 2022 stärker auf Windenergie gesetzt und bis 2035 folgende Zusammensetzung im Energiemix angestrebt: konzentrierte Solarenergie (CSP): 3 Prozent, Photovoltaik: 22 Prozent, Windenergie: 14 Prozent und Wasserkraft: 2 Prozent.
Die Regierung ergreift verschiedene Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele: So wurden die Energiesubventionen reformiert und 2014 wurde ein Einspeisetarif für Wind- und Solarstrom eingeführt. Windparks werden u.a. im Golf von Suez installiert. Mit Hilfe von internationalen Investoren treibt Ägypten den Bau des weltweit größten Solarparks Benban in der südlichen Provinz Aswan voran (siehe 2030 Vision of Egypt: Egypt's Voluntary National Review 2018, S. 39). Im Februar 2018 wurde in Borg El Arab bei Alexandria ein Solarthermisches Kraftwerk mit Strahlungsbündelung (concentrated solar power, CSP) eröffnet. Das MATS-Kraftwerk („Multipurpose Applications by Thermodynamic Solar") liefert Strom und thermische Energie, die für die Meerwasserentsalzung genutzt wird („Novel Solar Thermal Power Plant Opens in Egypt"). An dem Kraftwerk mit Pilotcharakter sind neben ägyptischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und dem Privatsektor weitere Partner aus Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien beteiligt. Tatsächlich wurde in Ägypten bereits vor über 100 Jahren ein Vorgänger entwickelt: Frank Shumann, ein US-Amerikaner deutscher Abstammung, präsentierte im Juli 1913 im ägyptischen Maadi bei Kairo das erste großtechnische Parabolrinnenkraftwerk der Welt, das eine Bewässerungsanlage speiste. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelte weitreichende Pläne zur Verbreitung der neuen Technologie (Quelle: Frank Dittmann: „Hat der Erste Weltkrieg eine Energiewende verhindert? Frank Shuman und die Solarenergie.“)
Eine große Herausforderung für Ägypten ist es, die Meerwasserentsalzung mit Hilfe von erneuerbaren Energien wie Solarenergie zu betreiben. Ein weiteres Problem stellt die niedrige Effizienz der Solarzellen verbunden mit hohen Preisen dar. Das 2009 gegründete Egypt Nanotechnology Center (EGNC) arbeitet an der Optimierung von Solarenergiesystemen durch den gezielten Einsatz von Nanotechnologien. Um solche und ähnliche Herausforderungen zu bewältigen, ist derzeit geplant, unter Schirmherrschaft des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und mit einer Finanzierung von USAID an mindestens drei ägyptischen Universitäten – Ain Shams University, Mansoura University und Aswan University – ein Exzellenzzentrum für Energieforschung und -innovation (Center of Excellence for Energy, COE-Energy) aufzubauen (Ahmed F. Ghoniem: „Promoting energy research, education and entrepreneurship in Egypt“ in Nature middle east, 22 April 2019).
Weitere Informationen
Geistes- und Sozialwissenschaften
Der Kulturtourismus ist für Ägypten ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Zuständig ist das Ministerium für Altertum und Tourismus. Unter der „Egypt Vision 2030“ soll die Anzahl der ausländischen Touristen, die ägyptische Museen und Kulturerbestätten besucht, von 1,8 Millionen pro Jahr (2015) auf 2,3 Mio. (2020) und schließlich auf 3,3 Mio (2030) gesteigert werden. Das pharaonische Erbe hat im Land eine Vielfalt von Ausgrabungsstätten, Lehr- und Forschungseinrichtungen der Ägyptologie entstehen lassen. In Kairo findet sich die weltweit größte Konzentration koptischer und islamischer Baudenkmäler. Viele Stätten, darunter die Pyramiden, die Tempel und Grabbauten Luxors und die islamische Altstadt Kairos, wurden bereits 1979 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. 2002 kamen das Katharinenkloster als Kulturdenkmal und 2005 das Wadi al-Hitan als Naturdenkmal hinzu (Quelle: Auswärtiges Amt).
Äpgypten war aufgrund des einzigartigen kulturellen Erbes schon im 19. und 20. Jahrhundert ein Magnet für ausländische Forschungseinrichtungen. Dazu gehören das 1880 gegründete Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO), das 1948 gegründete American Research Center in Egypt (ARCE) und das 1907 gegründete Deutsche Institut für Ägyptische Altertumskunde als Vorgänger des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo (DAI). Das Ägyptische Museum im Stadtzentrum von Kairo beherbergt unter anderem die berühmte Goldmaske Tut Ankh Amuns, die kürzlich unter Beteiligung des DAI restauriert wurde. Zusätzlich hat die ägyptische Regierung zahlreiche Museumsneubauten in den vergangenen Jahren begonnen (Quelle: Auswärtiges Amt). Mit dem Grand Egyptian Museum (GEM), das 2020 in der Nähe von Gizeh eröffnet werden soll, richtet Ägypten eines der größten Museen der Welt ein.
Digitaler Wandel
Unter der Strategie zur nachhaltigen Entwicklung „Egypt Vision 2030“ soll sich Ägypten in ein globales digitales Drehkreuz verwandeln. Bereits heute ist der ägyptische Sektor für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ein Wachstumsmotor und stellt einen steigenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Software und Dienstleistungen sind auf dem Binnenmarkt und im Ausland gefragt. Ägypten profitiert von einer stark verbesserten Konkurrenzfähigkeit im Wachstumsbereich Outsourcing, das heißt der Auslagerung von Dienstleistungen. Der Staat errichtet Technologiezonen, fördert kleine Unternehmen und modernisiert die eigenen Behörden. Künftig sollen elektronische Zahlungen verstärkt die Bargeldnutzung ablösen (Quelle: GTAI (2017): Ägypten treibt Digitalisierung voran).
Ägypten verfügt seit 1999 über ein eigenes Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie (Ministry of Communication and Information Technology, MCIT), das derzeit seinen Sitz im 2003 eröffneten Technologiepark Smart Village hat. Für Unternehmen im IKT-Sektor gibt es in Ägypten eine eigene Fördereinrichtung, die Information Technology Development Agency (ITIDA). Start-Ups werden durch das Technology Innovation and Entrepreneurship Center (TIEC) unterstützt. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen können unter Programmen des Science and Technology Development Fund (STDF) Förderung einwerben. IKT ist dabei als prioritäres Fachgebiet ausgewiesen. 2019 hat der STDF eine erste Bekanntmachung zu Künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Eine Universität, die sich besonders im Bereich IKT engagiert, ist die Nile University, die seit 2008 in dem Center for Informatics Science (CIS) forscht.
Der regionale Stellenwert Ägyptens zeigt sich auch darin, dass Microsoft Research für die Einrichtung seines ersten Labors in Afrika überhaupt im Jahr 2007 Kairo auswählte („Advanced Technology Lab Cairo“, siehe AIWSI-Länderstudie Ägypten (2012), S. 66). Der Schwerpunkt liegt auf Sprachverarbeitungsprozessen. Microsoft kooperiert mit verschiedenen ägyptischen Universitäten wie der Cairo University, der Ain Shams, Helwan und Nile University, der American University in Cairo (AUC) und der Bibliotheca Alexandrina (siehe ERAWATCH-Report, S.13).