Überblick zur Bildungs-, Forschungs- und Innovationslandschaft und -politik: Tunesien
Bildungssystem
Zuständig für die Schulbildung ist das tunesische Bildungsministerium (Ministère de l’Education, ME). Das nach der Unabhängigkeit Tunesiens 1956 eingeführte Schulsystem ist stark an das französische, zentralistisch organisierte Bildungssystem angelehnt. Ähnlich wie in anderen arabischen Ländern gewinnen private Schulen an Bedeutung. Die Bildungsergebnisse sind derzeit nicht überzeugend, da Tunesien bei den PISA-Schulleistungstests hintere Ränge belegt (siehe Bildungsindikatoren).
In Tunesien beginnt die Grundschulbildung („Enseignement de Base") mit dem Eintrittsalter von sechs Jahren. Die ersten neun Jahre der Schulbildung sind verpflichtend und werden in sechs Jahre Grundschulbildung an einer Grundschule („École Primaire") und drei Jahre Hauptschulbildung an einem Collège unterteilt. Nach neun Jahren erfolgt ein erster Schulabschluss mit dem sogenannten „Diplôme de Fin d’Études de l’Enseignement de Base" (vergleichbar mit einem deutschen Haupt- bzw. Realschulabschluss). Die vierjährige Sekundarstufe („Enseignement Secondaire") ist in eine zweijährige allgemeine Vorbereitung sowie zwei weitere Jahre der Spezialisierung aufgeteilt. Die Oberschule wird mit dem Abitur („Examen National du Baccalauréat", arab. al-bakaluria) abgeschlossen (imove 2017: Marktstudie Tunesien für den Export beruflicher Weiterbildung, S. 30). Das tunesische Abitur bietet je nach Spezialisierung in der Oberstufe eine Hochschulzugangsberechtigung für alle Studienfächer oder nur für ausgewählte.
Für die Berufsausbildung in Tunesien gibt es diverse Ausbildungsgänge und Abschlüsse, die teilweise innerhalb der Grundbildung (8./9. Klasse), teilweise im Bereich der Sekundarbildung oder post-sekundären Bildung absolviert werden können (imove 2017, S. 31). Zuständig ist in erster Linie das Ministerium für Beschäftigung und Berufsbildung (Ministère de l'Emploi et de la Formation Professionnelle, MFPE). Unterstützt wird das MFPE durch die Ministerien für Tourismus, für Landwirtschaft oder auch für Gesundheit, die branchenspezifische Teilbereiche abdecken. Die dem MFPE angehörige Tunesische Agentur für berufliche Bildung (Agence Tunisienne de la Formation Professionnelle, ATFP, Internetauftritt in Arabisch), die 1993 gegründet wurde, verwaltet 138 der insgesamt 214 öffentlichen Ausbildungszentren. Die ATFP kooperiert mit ausländischen Organisationen und Unternehmen und steht hierdurch hinter nahezu jedem in Tunesien durchgeführten Berufsbildungsprojekt (imove (2017), S. 36).
Für die tunesischen Hochschulen ist das Ministerium für Höhere Bildung und Wissenschaftliche Forschung (Ministère de l’Enseignement Supérieur et de la Recherche Scientifique, MSERS) zuständig. Entscheidungen werden nach Beratung mit dem Universitätsrat (Conseil des Universités) getroffen. Der „DAAD-Hochschulreader Tunesien“ informiert zu Profil, Fach- und Studienrichtungen, internationalen Ko-operationen und enthält Kontaktadressen für alle staatlichen Universitäten und die wichtigsten privaten Hochschulen. Unter dem Dach von 13 Universitäten (darunter eine virtuelle Universität) gibt es über 200 eigenständige Institutionen, denn die „Ecoles“, die Institute und die Fakultäten verstehen sich jeweils als eigene Einheiten, die Universität ist die verwaltungstechnische Klammer (Webseite der staatlichen Universitäten mit den zugeordneten Institutionen). Ferner gibt es mehr als 20 Technische Hochschulen (Instituts Supérieur d’Etudes Technologiques, ISETs), deren Ausbildungsangebote einen wissenschaftlich-technologischen Schwerpunkt in angewandten Bereichen (Tourismus, Technik) haben und jeweils ein Praxissemester voraussetzen.
Für ein Studium an staatlichen Einrichtungen fallen für inländische wie für ausländische Studierende grundsätzlich keine Studiengebühren an, lediglich eine Verwaltungsgebühr. Etwa ein Drittel der Studierenden erhält staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt. Daneben operieren in Tunesien über 70 private Hochschulen, die sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen, obwohl sie Studiengebühren erheben (siehe DAAD-Bildungssystemanalyse 2023).
Tunesien hat bereits ab 2006 sukzessive das Bologna-System eingeführt, so dass das Studium, ähnlich wie in Deutschland, in drei Abschnitte und Abschlüsse unterteilt ist. Ausnahmen gelten für das Ingenieur- und Medizinstudium. Bachelor- und Master-Abschlüsse werden in zwei Ausprägungen vergeben: akademisch (fondamentale) versus angewandt (appliquée).
- Licence (al-Ijaza), Dauer drei Jahre;
- Master (al-Magistir), Dauer zwei Jahre;
- Doctorat (al-Dukturah), Dauer drei Jahre.
Trotz der jungen Bevölkerung in Tunesien ist die Anzahl der tunesischen Studierenden seit dem Studienjahr 2011/12, als über 360.000 Immatrikulierte verzeichnet waren, deutlich zurück gegangen, zuletzt allerdings wieder angestiegen. Mit etwa 300.000 beträgt sie weniger als ein Zehntel der Anzahl der Studierenden in Ägypten und in Deutschland (siehe Bildungsindikatoren).
Anders als in Ägypten legen die Studierenden in Tunesien einen Schwerpunkt auf die sogenannten MINT-Fächer, was die Beschäftigungsaussichten eigentlich verbessern sollte: Zwar werden die hohen deutschen Werte nicht erreicht, der Anteil von Mathematik, Naturwissenschaften, Statistik und Ingenieurwissenschaften liegt jedoch zusammen genommen über 20 Prozent (siehe Bildungsindikatoren). Dennoch stellt die Arbeitslosigkeit in Tunesien unter Hochschulgraduierten ein großes Problem dar, da die Unternehmen in Tunesien vor allem Personal ohne Hochschulabschluss nachfragen (siehe DAAD-Bildungssystemanalyse 2023).
Anfang 2015 hat die Regierung die Tunesische Strategie für Reformen in Hochschulen und Forschung („Plan stratégique de la réforme de l'enseignement supérieur et de la recherche scientifique 2015–2025“) angenommen, die für die Hochschulen über die nächsten zehn Jahre umfassende Reformen vorsieht. Dazu gehört ein Ausbau der universitären Autonomie, eine stärkere Vernetzung mit der lokalen Wirtschaft und eine bessere Schulung des Lehrpersonals. Primäres Ziel bleibt es, die Beschäftigungsaussichten („employabilité“) der jährlich 30.000 bis 40.000 Hochschulgraduierten zu verbessern. Gerade im Ausland gibt die hohe Arbeitslosigkeit vor dem Hintergrund eines fragilen Demokratisierungsprozesses und irregulärer Migration Anlass zur Sorge. Mit internationaler Unterstützung werden daher an den tunesischen Hochschulen Berufsberatungszentren eingerichtet, Praktika etabliert, Start-Ups gefördert und neue Lehrinhalte eingeführt, um die unternehmerischen Talente der Studierenden zu wecken. Leitbild ist das der „Entrepreneurial University“. Beiträge leisten die Weltbank mit 70 Mio. USD für den Zeitraum von 2016-24 im Rahmen des Projekts „Tunisia Tertiary Education for Employability Project" (TEEP, Bericht zur Implementation (2024), Bezugnahme in Tunesien als „Projet de Modernisation de l’Enseignement Supérieur en Soutien à l’Employabilité“, PromESSE-Tn). Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat ein Programm aufgelegt, das diese Zielsetzungen unterstützt (siehe unter Kooperation mit Deutschland).
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Forschungs- und Innovationssystem
Mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Höhe von 766 Mio USD (kaufkraftbereinigt) belegte Tunesien im weltweiten Vergleich 2018 etwa Rang 60 (eigene Berechnungen auf der Basis der OECD- und UNESCO-Daten). Die UNESCO stellt allerdings ab 2021 nur noch Daten zu zwei FuE-Indikatoren bereit. Demnach lag die FuE-Intensität, das heißt der Anteil der gesamten FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), 2019 in Tunesien bei 0,7 Prozent (siehe FuE-Indikatoren).
In Bezug auf die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen liegt Tunesien im weltweiten Vergleich 2023 auf Rang 59. Die Maghreb-Staaten Marokko und Algerien, die 2018 noch hinter Tunesien zurück lagen, platzieren sich inzwischen vor dem Land (Quelle: SCImago. SJR – SCImago Journal & Country Rank. Data retrieved 26 April, 2024, from www.scimagojr.com).
Im Global Innovation Index (GII) 2023, in dem Innovationsleistungen der Länder weitgehend unabhängig von absoluten Größenordnungen bewertet werden, liegt Tunesien im weltweiten Vergleich auf Rang 79 und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 6 Plätze verschlechtert. Innerhalb der Region Nahost-Nordafrika (Middle East and North Africa, MENA, unter Einbeziehung von Türkei und Iran) platziert sich das Land damit an zehnter Stelle. Innerhalb Afrikas liegt Tunesien an vierter Stelle hinter Mauritius (Rang 57), Südafrika (Rang 59) und Marokko (Rang 70).
In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien zu dem tunesischen Forschungs- und Innovationssystem publiziert, davon drei von der Europäischen Kommission:
-
die Hintergrundberichte zum tunesischen Forschungs- und Innovationssystem und den Abschlussbericht zu geplanten Reformen („Tunisia Background Report 2018”) und Schlussbericht („Tunisia Final Report 2019”);
-
der Bericht zum Technologietransfer in Tunesien („Technology Transfer Report Tunisia 2019-2020“);
-
der Bericht zur Entwicklung einer Smart Specialisation Strategie („Smart Specialisation Report Tunisia 2024“);
-
Eine wichtige Quelle ist auch die Tunesische Industrie- und Innovationsstrategie „Horizont 2035“ („Strategie Industrielle et de l‘Innovation Horizon 2035“), die das tunesische Industrieministerium 2022 publiziert hat.
Das öffentliche Wissenschaftssystem umfasst 13 staatliche Hochschulen sowie 38 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (Überblick) (siehe „Technology Transfer Report Tunisia 2019-2020“, S. 8). Zuständig für alle forschenden Hochschulen und einige außeruniversitäre Einrichtungen ist das Ministerium für Hochschulen und wissenschaftliche Forschung (MESRS). Die Ausgaben für FuE an außeruniversitären Einrichtungen lagen 2014 (neuere Daten sind nicht verfügbar) mit einem Anteil von 50 Prozent an den gesamten FuE-Ausgaben über denen an Hochschulen, die einen Anteil von 31 Prozent hatten (siehe archivierte FuE-Indikatorentabelle).
Die großen regionalen Entwicklungsunterschiede innerhalb von Tunesien spiegeln sich auch in dem Hochschul-, Forschungs- und Innovationssystem wider. Städte wie Tunis, Sousse, Monastir und Sfax und die dort angesiedelten Universitäten sind sämtlich im Osten des Landes beheimatet. Etwa die Hälfte der Forschungsstrukturen ist im Großraum Tunis konzentriert und weitere 30-40 Prozent im Sahel-Gebiet („Tunisia Background Report 2018”, S. 31).
Hochschulrankings können Anhaltspunkte für Forschungs- und Innovationsstärke einzelner Hochschulen bieten. Die fünf bestplatzierten tunesischen Hochschulen sind demnach 1. Université de Manouba, 2. Université de Sfax, 3. Université de Monastir, 4. Université de Sousse sowie 5. Université de Carthage (Times Higher Education - World University Ranking 2024 “Research Quality”).
Von den insgesamt 38 außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die folgenden dem Forschungsministerium MSERS unterstellt: das 1983 gegründete Zentrum für Biotechnologie Sfax (Centre de Biotechnologies de Sfax, CBS), das 1993 gegründete Nationale Zentrum für Nuklearwissenschaft und -technologien (Centre National des Sciences & Technologies Nucléaires, CNSTN), das 1995 gegründete Nationale Institut für physikalisch-chemische Analysen (Institut National de Recherche et d‘Analyse Physico-chimique, INRAP) sowie das 2005 gegründete Forschungs- und Studienzentrum zum Dialog zwischen den Zivilisationen und Religionen (Centre de Recherches et des Etudes pour le Dialogue des Civilisations et des Religions Comparées, CEREDIREC, Internetauftritt in Arabisch).
Dem MESRS sind weiterhin vier außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die in den Jahren 2005/6 als Teil des neuen Technologieparks Borj-Cédria gegründet wurden, zugeordnet (siehe unten). Einige außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind den Fachministerien unterstellt:
- Dem Gesundheitsministerium zugeordnet sind das 1893 gegründete Pasteur-Institut in Tunis (Institut Pasteur de Tunis, IPT) und das Nationale Institut für Ernährung und Lebensmitteltechnik (Institut National de Nutrition et de Technologie Alimentaire, INNTA).
- Dem Agrarministerium zugeordnet sind das 1914 gegründete Nationale Institut für Agrarforschung (Institut National de la Recherche Agronomique de Tunisie, INRAT), das 1924 gegründete Nationale Institut für Meereswissenschaft und Meerestechnologie (Institut National des Sciences et Technologies de la Mer, INSTM), das 1976 gegründete Institut für Aride Regionen (Institut des Régions Arides de médenine, IRA) sowie das 1996 gegründete Nationale Forschungsinstitut für Landbau, Wasser und Wald (Institut National de Recherche en Génie Rural, Eaux et Forêts, INRGREF).
- Dem Kulturministerium zugeordnet ist das 1957 gegründete Nationale Institut für das Kulturerbe (Institut National du Patrimoine, INP).
- Dem Ministerium für Investitionsentwicklung und Internationale Kooperation zugeordnet ist das 1973 gegründete Tunesische Institut für Wettbewerbsfähigkeit und Statistische Analysen (Institut Tunisien de la Compétitivité et des Etudes Quantitatives, ITCEQ).
- Dem Ministerium für Kommunikationstechnologie zugeordnet ist das 1988 gegründete Studien- und Forschungszentrum für Telekommunikation (Centre d’Etudes & de Recherche en Télécommunications, CERT).
- Dem Umweltministerium zugeordnet ist das 1993 gegründete Internationale Zentrum für Umwelttechnologien in Tunis (Centre International des Technologies de l’Environnement de Tunis, CITET).
- Das ebenfalls 1993 gegründete Tunesische Institut für Strategische Studien (Institut Tunisien des Etudes Stratégiques, ITES) ist direkt dem tunesischen Staatsoberhaupt zugeordnet.
Zu den Wirtschaftssektoren und -branchen, in denen Unternehmen in Tunesien FuE betreiben, gibt es keine gesicherten Daten. In der tunesischen Wirtschaft stellen besonders die Nahrungsmittelindustrie, die Textilindustrie und die Industrie für mechanische und elektrische Fertigung wichtige Standbeine dar. Diese Branchen gelten nicht als innovationsfreudig. Zudem dominieren kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), die nicht die Ressourcen haben, FuE durchzuführen oder zu finanzieren. Dies gilt natürlich umso mehr für Mikrounternehmen mit weniger als 5 Angestellten, die in Tunesien weit verbreitet sind.
Eine große öffentlich finanzierte Industrieforschungseinrichtung, die ähnlich wie Fraunhofer darauf ausgerichtet ist, Kooperations- und Auftragsforschung für Unternehmen zu betreiben, gibt es in Tunesien bisher nicht. Unter der Aufsicht des Ministeriums für Industrie sowie Kleine und Mittlere Unternehmen (Ministère de l’Industrie et des PMEs, MI) versucht ein Zentrum für Innovation und technologische Entwicklung (Centre d’innovation et de développement technologique, CIDT), die tunesischen Unternehmen mit Hilfe von Evaluierung und Beratung für Innovation zu begeistern. Die Technischen Zentren legen den Fokus eher auf die sektorenspezifische technische Beratung von Unternehmen als auf Forschung und Innovation.
Seit 2002 hat die tunesische Regierung eine Reihe von Technologieparks im Land aufgebaut (Überblick Verband Tunisia Technoparks). Die damit verbundenen Erwartungen waren ursprünglich hoch: Die Einrichtungen sollten innovative und hochqualitative Produkte für einheimische und auswärtige Märkte entwickeln, Perspektiven für den akademischen Arbeitsmarkt schaffen, Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor fördern und Investitionsanreize für ausländisches Kapital kreieren.
Einen Schwerpunkt auf FuE legt seit 2005 das Technopôle Borj Cédria mit insgesamt vier neuen außeruniversitären Forschungseinrichtungen: das Zentrum für grüne Biotechnologie (Centre de Biotechnologies de Borj-Cédria, CBBC), das Zentrum für Energieforschung und -technik (Centre de Recherche et des Technologies de l’Energie, CRTEN) sowie das Zentrum für Wasserforschung und -technik (Centre de Recherche & des Technologies des Eaux, CERTE). Das Nationale Zentrum für Materialwissenschaften (Centre National de Recherches en Sciences des Matériaux, CNRSM) kam 2006 dazu. Diese außeruniversitären Zentren, insbesondere das CBBC gehören heute zu den publikationsstärksten in Tunesien (Europ. Kommission (2018), S. 32). Zusätzlich wurden wie in anderen Technologieparks Hochschuleinrichtungen integriert. Das Ziel einer verbesserten öffentlich-privaten Interaktion konnte die Technologieparks jedoch bisher nicht erreichen. Mit Ausnahme des Technologieparks Elgazala (Pôle Elgazala des Technologies de la Communication) gibt es in den tunesischen Parks kaum Investitionen privater Unternehmen (siehe zu den Technologieparks die Zusammenfassung und Bewertung in der Tunesischen Industrie- und Innovationsstrategie „Horizont 2035“, S. 128 ff.).
Für FuE sowie Innovation gibt es in Tunesien zahlreiche Förderprogramme, die sich vor allem an Unternehmen wenden. Diese werden durch das Ministerium für Industrie, Bergbau und Energie (MI) bzw. die 1972 gegründete Agentur für Industrie und Innovation (Agence de Promotion de l’Industrie et de l’Innovation, API) administriert.
Seit 2008 unterstützt die Nationale Agentur für Forschungsförderung (Agence Nationale de la Promotion de le Recherche Scientifique, ANPR) das Forschungsministerium MESRS. Von dem Budget des Ministeriums wurden laut einer Bestandsaufnahme von 2018 40 Prozent für wettbewerbliche FuE-Förderung und 60 Prozent für institutionelle Finanzierung eingesetzt. Den Löwenanteil der wettbewerblichen Mittel vergab das MESRS unter einem Programm zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses („Programme d’Encouragement des Jeunes Chercheurs", PEJC (Ausschreibung 2024)) die Mittel unter anderen Programmen sind sehr limitiert („Tunisia Background Report 2018”, S. 57).
Einen Beitrag zur Etablierung einer Wissenschafts- und Innovationskultur in Tunesien leisten die zahlreichen Verbände und Fachgesellschaften, beispielsweise die Association Jeunes-Sciences de Tunisie (AJST) und die Association Tunisienne des Sciences Biologiques (ATSB).
Zu den Stärken des tunesischen Forschungs- und Innovationssystem gehören nach den eingangs erwähnten Studien eine gut entwickelte staatliche Forschungsinfrastruktur und eine hohe Rate an wissenschaftlichen Publikationen. Zu den Stärken des tunesischen Forschungs- und Innovationssystem gehören nach den eingangs erwähnten Studien eine gut entwickelte staatliche Forschungsinfrastruktur und eine relativ hohe Rate an wissenschaftlichen Publikationen. Zu den Schwächen zählt die mangelnde Fähigkeit des Systems, private Unternehmen zu Innovationen anzuregen sowie Akteure aus dem öffentlichen und privaten Sektor zu verbinden (Tunesischen Industrie- und Innovationsstrategie „Horizont 2035“, S. 110; „Technology Transfer Report Tunisia 2019-2020“, S. 15).
In Bezug auf die Formulierung der tunesischen Forschungspolitik sieht der gesetzliche Rahmen eigentlich eine Vielzahl von politischen Steuerungs- und Beratungsgremien vor, die jedoch seit der tunesischen Revolution 2011 weitgehend inaktiv sind (siehe Europ. Kommission (2018), S. 40). Eine umfassende Strategie für Forschung und Innovation in Tunesien fehlt bisher, auch gibt es bisher kaum Mechanismen für die Koordination zwischen den Ministerien (siehe Tunesische Industrie- und Innovationsstrategie „Horizont 2035“, S. 109).
Die 2015 angenommene Strategie für Reformen in Hochschulen und Forschung (siehe vorheriger Abschnitt) setzt darauf, an Hochschulen das Einwerben und das Management von Drittmitteln aus internationalen Quellen, regionaler Wirtschaftsförderung und dem Privatsektor zu stärken. Im August 2017 publizierte das Forschungsministerium MESRS eine Forschungsstrategie in arabischer, englischer und französischer Sprache („Tunisie - Recherche scientifique (2017-2022): Priorités, orientations futures et initiatives clés" bzw. „Tunisia - Scientific Research: Priorities, Future Directions and Key Initiatives (2017-22)"). Zu den über 20 strategischen Zielsetzungen (SOs) zählen (siehe für eine Zusammenfassung „Tunisia Background Report 2018”, S. 46 ff.):
- Schaffung eines transparenten wettbewerblich ausgerichteten Forschungsfördersystems, das sich an nationalen Prioritäten orientiert (SO4);
- Steigerung des Anteils der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 1 Prozent bis 2022 (SO5);
- Etablierung von Forschungsexzellenzzentren und Aufbau der Forschungskapazitäten (SO6);
- Insgesamt sollen der Unternehmenssektor und auch die privaten Hochschulen in der Forschung aktiver werden (SO20). Viel Wert wird auf eine bessere Verbindung der Forschungsstrukturen mit ihrem sozio-ökonomischen Umfeld gelegt (SO19). Auch der wissenschaftliche Nachwuchs soll mobiler werden, das heißt auch praktische Berufserfahrungen außerhalb des öffentlichen Forschungssektors anstreben (SO17);
- Die Steuerung der Technologieparks und die Ergänzung fehlender Elemente soll verbessert werden (SO16).
In Bezug auf fachliche Schwerpunkte war 2018 ein zentraler Aspekt die Konsensbildung zu nationalen Prioritäten, auf die Aktivitäten und Ressourcen ausgerichtet werden sollten (SO2). Auch die diversifizierten internationalen Aktivitäten sollen sich an diesen Prioritäten orientieren (SO3). Zwischen November 2016 und Mai 2017 wurden im Rahmen eines nationalen Konsultationsprozesses folgende prioritäre Forschungsgebiete für Tunesien identifiziert:
- Wasser, Energie und Lebensmittelsicherheit;
- Demokratische Gesellschaft im Aufbau: Bildung, Kultur und Jugend;
- Hochwertige Gesundheitsfürsorge;
- Digitaler und Industrieller Wandel;
- Steuerung und Dezentralisierung;
- Kreislaufwirtschaft.
Bei der Entwicklung einer Smart Specialisation Strategie für Tunesien wurden diese Prioritäten als zu breit eingeschätzt. Die Befragung von Stakeholdern führte zur Benennung einiger geeigneter Sektoren in Tunesien, darunter Energie, digitale Technologie und Nahrungsmittel. Die Informationsbasis für die Entwicklung einer geeigneten tunesischen Strategie wurde jedoch insgesamt als zu klein eingeschätzt („Smart Specialisation Report Tunisia 2024“, S. 44).
Weitere Informationen
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Indikatoren für Bildung
Indikator |
Tunesien |
Deutschland |
Stand |
---|---|---|---|
Anteil öffentlicher Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent] |
6,22 |
4,53 |
2015/21 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender aus dem Land [Prozent]* |
9,77 |
3,77 |
2021 |
Anzahl Studierender im Tertiärbereich insgesamt [Mio.] |
0,299 |
3,352 |
2022/21 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender im Land [Prozent]** |
2,89 |
11,23 |
2022/21 |
Anzahl Promovierender insgesamt |
9.478 |
192.270 |
2022/21 |
Anteil an neuen Studienabschlüssen in Mathematik, Statistik und Naturwissenschaften [Prozent] |
6,64 |
7,96 |
2022/21 |
Anteil an neuen Studienabschlüssen in Ingenieurswissenschaften, Fertigung und Konstruktion [Prozent] |
17,58 |
22,13 |
2022/21 |
PISA-Ergebnisse: Lesen [Punktzahl (Platzierung)] |
361 (65) |
509 (12) |
2015 |
PISA-Ergebnisse: Naturwissenschaften [Punktzahl (Platzierung)] |
386 (66) |
509 (16) |
2015 |
PISA-Ergebnisse: Mathematik [Punktzahl (Platzierung)] |
367 (67) |
506 (16) |
2015 |
Weitere Informationen
Links/Institutionen
FuE-Indikatoren
Indikator |
Tunesien |
Deutschland |
OECD-Gesamt |
Stand |
---|---|---|---|---|
FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent](1) |
0,7 |
3,1 |
3,0 |
2019/21/21 |
Anzahl der Forschenden (VZÄ) je Million Einwohner-/innen(1) |
1.672 |
5.536 |
4.079 |
2022/21/20 |
Anteil internationaler Ko-Patente an Patentanmeldungen unter dem Vertrag über Patentzusammenarbeit (PCT) [Prozent](2) |
40,0 |
19,3 |
8,2 |
2020 |
Indikatoren Stand März 2021 (Archiv)
Indikator |
Tunesien(1) |
Deutschland(2) |
OECD-Gesamt(2) |
Stand |
---|---|---|---|---|
Nationale FuE-Ausgaben [Mio. USD*] |
766 |
147.502 |
1.560.968 |
2018/19/19 |
FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent] |
0,6 |
3,2 |
2,5 |
2018/19/19 |
Ausgaben für FuE in Unternehmen (BERD) [Mio. USD*] |
140 |
101.747 |
1.112.817 |
2014/19/19 |
Anteil von BERD am BIP [Prozent] |
0,1 |
2,2 |
1,8 |
2014/19/19 |
Ausgaben für FuE in Hochschulen (HERD) [Mio. USD*] |
234 |
25.528 |
258.395 |
2014/19/19 |
Anteil von HERD am BIP [Prozent] |
0,2 |
0,6 |
0,4 |
2014/19/19 |
Ausgaben für FuE in außeruniversitären öffentlichen Forschungseinrichtungen (GOVERD) [Mio. USD*] |
382 |
20.227 |
151.334 |
2014/19/19 |
Anteil von GOVERD am BIP [Prozent] |
0,3 |
0,4 |
0,2 |
2014/19/19 |
Anzahl der Forschenden (Vollzeitäquivalente) |
20.489 |
449.464 |
5.347.423 |
2018/19/18 |
Anzahl der Forschenden (VZÄ) je 1000 Beschäftigte |
6,0 |
9,9 |
8,9 |
2018/19/18 |
Anteil der Forschenden (VZÄ) in privaten Unternehmen [Prozent] |
5,2 |
60,7 |
63,6 |
2018/19/18 |
Weitere Informationen
Bibliometrie
Die Verteilung der Publikationen auf Fachgebiete kann erste Hinweise auf die Stärken eines Forschungssystems geben (Bezugsjahr 2016, (Quelle: SCImago (2007). SJR – SCImago Journal & Country Rank. Retrieved August 8, 2017, from http://www.scimagojr.com).
Weltweit ist Medizin das Fachgebiet mit den meisten Publikationen (Welt: 15,9 Prozent sowie Deutschland 16,7 Prozent), gefolgt von den Ingenieurwissenschaften. Dies war bis vor einigen Jahren auch noch die Rangfolge in Tunesien. Seitdem haben sich dort jedoch die stetig wachsenden Computerwissenschaften (Informatik) mit 15,7 Prozent auf den ersten Rang geschoben (s. unten). In Tunesien folgen Ingenieurwissenschaften (14,5 Prozent) und Medizin (9,7 Prozent) erst dahinter.
Eine Spezialisierung Tunesiens ist in folgenden Fachgebieten festzustellen (Auswahl basierend auf Spezialisierungsindex Länderanteil/Weltanteil ≥ 1,3):
- Computerwissenschaften (Informatik) (15,7 Prozent, Welt: 7,2 Prozent, Deutschland: 7 Prozent)
- Ingenieurwissenschaften (14,5 Prozent, Welt: 10,9 Prozent, Deutschland 9,3 Prozent)
- Mathematik (9,7 Prozent, Welt: 4,3 Prozent, Deutschland: 4,6 Prozent)
- Energie (3,2 Prozent, Welt: 2,2 Prozent, Deutschland: 1,6 Prozent).
Bei einem weltweiten Vergleich der Anzahl der Publikationen liegt Tunesien im Jahr 2016 insgesamt auf Rang 50. Innerhalb der einzelnen Fachgebiete erreicht Tunesien die beste Platzierung in Informatik (Rang 37).