Fachliche Stärken des Forschungssystems: Indien
Übersicht
Der Spezialisierungsindex dient dazu, das wissenschaftliche Profil eines Landes darzustellen. Er zeigt an, in welchen Bereichen ein Land im Vergleich zum gesamten weltweiten Publikationsaufkommen stark oder schwach vertreten ist. Ein negatives Vorzeichen stellt eine unterdurchschnittliche Spezialisierung dar. Der Indikator ist auf einen Wertebereich von -100 (stark negative Spezialisierung) bis +100 (stark positive Spezialisierung) normalisiert. Er geht zurück auf frühere Indikatoren für die Handelsspezialisierung und baut auf dem Konzept des komparativen Vorteils auf.
Indien weist gegenüber dem weltweiten Publikationsaufkommen eine besonders starke Spezialisierung (+25 und mehr) in den Fachgebieten Pharmazie, Informatik, Chemieingenieurwesen, Organische Chemie, Spezifisches Engineering, Materialforschung, Polymere und Elektrotechnik auf (Quelle: Monitoring des Asiatisch-Pazifischen Forschungsraums (APRA) - 2. Bericht (2020), S. 185, 200, Datenquelle: Scopus Elsevier 2016-18).
Spitzenleistungen werden vorwiegend in der Weltraumforschung und -technik, im Bereich Kernenergie, in der Verteidigungsforschung sowie in der Chemie und Informatik erzielt.
Anreize im Umfeld von Forschung und Innovation setzt die Regierung Modi seit 2014 durch mehrere ressortübergreifende Flaggschiff-Initiativen: „Make in India“, „Digital India“, „National Green Hydrogen Mission“, „Smart Cities Mission“ und seit 2024 mit der „IndiaAI mission” für Künstliche Intelligenz. Diese Initiativen sind mit teils milliardenschwere Investitionen der indischen Regierung verbunden.
Das indische Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MST) hatte in dem Dokument „Science, Technology and Innovation Policy (STIP 2013)" die Forschungsgebiete benannt, die die Politik priorisiert: Agrarwirtschaft, Wassermanagement, Umwelt- und Klimaveränderungen, Telekommunikation, Energie, Materialforschung sowie Gesundheit und die Entwicklung von Arzneimitteln. Sowohl STIP (2013) als auch Strategie „Strategy for New India@75“ (2018-22) betonen den Wert von inklusiver Innovation, Graswurzelinnovation bzw. frugaler Innovation, das heißt vereinfachter und anwendungsorientierter Lösungen, die auch für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen erschwinglich sind.
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Digitaler Wandel
Indien macht seit etwa zwei Jahrzehnten durch die rasante Entwicklung der Informationstechnologie („Silicon Valley“ Bangalore) auf sich aufmerksam. Es sind vor allem (ausgelagerte) Geschäftsprozesse, vom "Call Center" bis zur Softwareentwicklung im Auftrag ausländischer Firmen, die einen großen Anteil dieses Industriesektors ausmachen (siehe zu einer umfassenden Bestandsaufnahme den Bericht UNIDO-DST (2023): „Indian ICT Sectorial System of Innovation“ (IICTSSI).
Einen Schub erhielt die Technologieentwicklung seit 2015 durch die Flaggschiffinitiative „Digital India“, koordiniert vom Ministerium für Elektronik und Informationstechnologie (MeitY), unter der die Regierung stark in den Breitband-Ausbau investiert. Die Digital India Corporation (DIC, früher Media Lab Asia) leitet die Umsetzung der Flaggschiffinitiative. Diese verfolgt drei Kernziele, nämlich die Bereitstellung digitaler Infrastruktur für alle Bürgerinnen und Bürger, Verfügbarkeit von Verwaltung und Dienstleistungen auf Abruf und die digitale Befähigung der Bürger. Weitere Impulse für die digitale Entwicklung setzt die indische Regierung durch den Aufbau von 100 neuen digital vernetzten „Smart Cities“ unter der „Smart Cities Mission“. Neu ist auch die Investition in eine einheimische Halbleiterbranche, die sich allerdings noch im Anfangsstadium befindet (GTAI (2023): Indien will vier Halbleiterfabriken fördern).
Zu einer umfassenden Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) hatte die indische Regierung 2018 ein erstes Diskussionspapier vorgelegt „National Strategy for Artificial Intelligence #AIForAll“. Die Fortschritte Indiens in den folgenden Jahren waren beachtlich, was die Ausbildung von KI-Fachkräften und den steigenden Anteil Indiens an wissenschaftlichen KI-Publikationen betraf (siehe „The AI Index 2023 Annual Report“ des Stanford Institute, S. 38 und 182). 2023 konnten sich indische Hochschulen um Fördermittel bewerben, um in Zusammenarbeit mit Unternehmen eines von drei Exzellenzlaboren für KI aufzubauen („Centers of excellence for Artificial Intelligence“), die Entscheidung zur Vergabe steht noch aus (Stand April 2024).
Im März 2024 genehmigte das indische Kabinett eine umfassende „IndiaAI mission”um die Vision „Making AI in India and Making AI Work for India” durch die Schaffung eines KI-Ökosystems umzusetzen. Die Gesamtverantwortung für die Umsetzung liegt bei einer Abteilung der Digital India Corporation (DIC). Die Mission setzt sich aus den folgenden Komponenten zusammen:
- Unter der Säule „IndiaAI compute pillar“ wird eine hochklassiges Recheninfrastruktur aufgebaut, um die Anforderungen des Forschungssystems und der indischen Start-Ups zu bewältigen. Aufgabe eines neuen „IndiaAI Innovation Centre“ wird es sein, indigene Sprachmodelle („Large Multimodal Models“, LMMs, bekanntestes Beispiel ist Chat GPT) sowie domänspezifische Grundmodelle in kritischen Bereichen zu bauen.
- Eine neue „IndiaAI Datasets Platform“ wird einen Zugang zu hochwertigen Datenbeständen ohne personalisierte Daten für indische Startups und Forschende bereitstellen.
- „IndiaAI Startup” bietet Finanzmittel für innovative Start-Ups, die mit Hilfe von KI an zukunftsgewandten Lösungen arbeiten.
- Weiterhin wird ein Marktplatz für KI („AI marketplace”) geschaffen, auf dem KI-basierte Dienstleistungen und Modelle für Innovatoren gehandelt werden.
- Unter der „IndiaAI Application Development Initiative” soll die Anwendung von KI in kritischen Sektoren gefördert werden, basierend auf dem Input, den zentrale Ministerien und andere Institutionen liefern. Der Fokus liegt auf der Schaffung von KI-Lösungen mit einem Potential für große sozio-ökonomische Transformation.
- Mit Hilfe von „IndiaAI FutureSkills“ werden Studierende gezielt gefördert, die an KI-Programmen an Hochschulen teilnehmen wollen (grundständiges Studium, Master- und Promotionsprogramme).
- Unter der Säule „Safe & Trusted AI” werden Leitplanken eingezogen um die verantwortungsbewusste KI-Entwicklung in entsprechende Bahnen zu lenken. Auch international übernimmt Indien Verantwortung für die Thematik: MIt einer großen Mehrheit der Stimmen wurde das Land zum Vorsitzenden der Global Partnership on Artificial Intelligence (GPAI) für den Zeitraum von 2023-25 gewählt.
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Ingenieurswissenschaften und Produktionstechnologie
Die Ingenieurwissenschaften spielen in Indien eine wichtige Rolle. Leistungsträger sind die Forschungsinstitute Indian Institutes of Technology (IITs), das Indian Institute of Science (IISc), sowie eine Reihe von Instituten des Forschungsrats Council of Scientific and Industrial Research (CSIR). Der Bereich wird seit 2014 durch die Flaggschiffinitiativen „Make in India“ und „Digital India“ weiter gestärkt.
Das IISc baute mit Unterstützung des Unternehmens Boeing Indiens erste Smart Factory in Bangalore. Besonders in der Kfz- und Elektronikindustrie Indiens werden Wachstumspotenziale für den Einsatz von Industrierobotern gesehen. In der Strategie „Strategy for New India@75“ (2018-22, S. 23) steht eine große Initiative im Fokus, mit der die indische Industrie von Industrie 4.0-Technologien und Konzepten überzeugt werden soll. Dabei ist die Grundannahme, dass gerade Schwellenländer wie Indien stark von der Umsetzung von Industrie 4.0 profitieren. Das Central Manufacturing Technology Institute (CMTI) in Bangalore ist als neues Exzellenzforschungsinstitut für die Durchführung von FuE im Bereich der Industrie 4.0-Technologien und -Systeme vorgesehen und das Department für Wissenschaft und Technologie (DST) soll FuE-Projekte zwischen Industrie und Hochschulen zu cyber-physischen Systemen fördern.
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Energie
Ein für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes unabdingbarer Bereich ist die Energieforschung. Die zivile Kernenergieforschung, die sich auf die Entwicklung eines kompletten, geschlossenen Brennstoffkreislaufs, also auch auf die Wiederaufarbeitung und -verwendung des Plutoniums in schnellen Brütern, konzentriert, wird im Wesentlichen von den Forschungseinrichtungen des Department für Atomenergie durchgeführt. Neben dem Ausbau der Energieversorgung durch Kernenergie setzt die indische Regierung insbesondere auf regenerative Energien. Die Tatsache, dass es in Indien ein Ministerium für Neue und Erneuerbare Energien gibt (Ministry of New and Renewable Energy Resources (MNRE), früher: Ministry of Non-Conventional Energy Sources - MNES), unterstreicht die politische Bedeutung des Themas.
In absoluten Zahlen ist Indien der viertgrößte Kohlendioxid-Emittent der Welt, strebt aber bis 2070 Klimaneutralität an. Das Land hat im Rahmen seines 2008 verabschiedeten "National Action Plan on Climate Change" acht Missionen auf den Weg gebracht, darunter beispielsweise die „National Mission for Green India“. Diese sieht die Wiederaufforstung von 10 Million Hektar Wald vor sowie ein Programm zur CO₂-Abscheidung von bis zu 60 Millionen Tonnen vor.
Der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in Indien betrug 2021 5 Prozent und der Anteil an der Stromerzeugung 10 Prozent. Bis 2030 soll die Kapazität auf bis zu 500 Gigawatt erhöht werden (siehe GTAI (2023): Indien setzt beim Klimaschutz auf erneuerbare Energien). Die indischen Windturbinen produzierten im Finanzjahr 2021/2022 (1. April bis 31. März) rund 69 Terawattstunden Strom. Der Anteil am Strommix lag damit wie in der Vorperiode bei knapp 5 Prozent. Die Stromerzeugung durch Solarenergie war mit 73,5 Terawattstunden geringfügig höher als die durch Windkraft. Zum Vergleich: Mit Hilfe von Kohle wurden 1.041 Terawattstunden erzeugt. Die indische Regierung will die Kapazitäten für Wind- und Solarstromerzeugung bis 2030 deutlich ausbauen, bisher zeigt sich aber eine große Finanzierungslücke, um die gesetzten Ziele zu erreichen (siehe GTAI (2022): Branche hofft auf frischen Wind durch Offshore-Projekte).
Aufgrund der grundsätzlich guten Bedingungen für die Erzeugung von erneuerbarem Strom kann Indien langfristig ein weltweit wichtiger Produktionsstandort von grünem Wasserstoff werden. Mit der „National Green Hydrogen Mission“ vom Januar 2023 hat Indien seine Wasserstoff-Ambitionen unterstrichen. Zu den indischen Zielen gehört es, bis 2030 mindestens 5 Millionen Tonnen Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff pro Jahr zu schaffen und zu diesem Zweck eine Kapazität für erneuerbare Energien von etwa 125 GW zu installieren. Bereits 2022 wurde eine Absichtserklärung zur Deutsch-Indischen Wasserstoffkooperation von beiden Ländern unterzeichnet. Es soll eine bilaterale Taskforce für grünen Wasserstoff eingerichtet werden, um die Kooperation in diesem Bereich zu intensivieren, zum Beispiel durch Rahmenbedingungen für den Handel und gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte (Klima- und Energiepartnerschaften und Energiedialoge Jahresbericht 2022).
Agrar- und Biowissenschaften
Ein deutliches Indiz für die Wichtigkeit, die Biotechnologie in Indien einnimmt, ist die Tatsache, dass es ein eigenes Department für Biotechnologie (DBT) unter dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MST) gibt, das alle Forschungsaktivitäten im Land koordiniert. Die Schwerpunktthemen sind an den Bedürfnissen Indiens orientiert, z. B. die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch biotechnologische Maßnahmen. Etwa 64 Prozent der Bevölkerung Indiens lebt im ländlichen Raum mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 1,10 EUR pro Tag. Die Leistungen machen lediglich einen Anteil von 18 Prozent am BIP Indiens aus. Daher spielt die sogenannte grüne Biotechnologie eine wichtige Rolle in Indien. Das mit Abstand wichtigste Segment ist allerdings die Herstellung von Biopharmazeutika mit 49 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche (siehe unter Gesundheitsforschung).
Unter der Strategie „Strategy for New India@75“ sind höhere Ausgaben für landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung (FuE) vorgesehen, außerdem soll der Schwerpunkt von der Verbesserung einzelner Nutzpflanzen hin zu integrierten Konzepten für die Landwirtschaft verlagert werden, die die gesamte Wertschöpfungskette, einschließlich der Weiterverarbeitung, in den Blick nehmen. Gleichzeitig bleibt die Schaffung klimaresistenter Feldfrüchte eine wichtige Herausforderung. Die Strategie beauftragt ausdrücklich den Indian Council of Agricultural Research (ICAR) und die bundesstaatlichen Hochschulen für Agarwirtschaft (State Agriculture Universities, SAUs), zu beiden Punkten tätig zu werden (S. 26 und 34).
Die Lebensmittelindustrie setzt vor allem auf Digitalisierung und Industrie 4.0-Technologien (vgl. unter Ingenieurswissenschaften und Produktionstechnologie), um eine verbesserte Nahrungsmittelsicherheit für Indien zu erzielen, neue Anforderungen an eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu befriedigen und Exportmärkte zu sichern (siehe Bericht UNIDO-DST (2023): Indian Food Sectorial System of Innovation, S. 48 ff.).
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Gesundheitsforschung
Die indische Gesundheitsforschung hat eine vergleichsweise hohe, z.T. internationalen Standards entsprechende Qualität. Die Schwerpunkte liegen derzeit bei Untersuchungen zu Infektionskrankheiten. Indien zählt heute in der pharmazeutischen Industrie (insbesondere bei Generika) zu den bedeutendsten Herstellern weltweit und gilt dank seiner Generikabranche als Weltapotheke. Firmen wie z.B. Ranbaxy unterhalten eigene große Forschungsabteilungen mit international besetzten Forschungsteams. Nicht nur die Exporte von Arzneimitteln legen rasch zu, sondern auch der heimische Pharma-Markt. Gleichzeitig ist Indien bei komplexen Arzneimitteln weiterhin stark auf Importe angewiesen. Vor diesem Hintergrund wird Indien eine Stärkung seiner Arzneimittelforschung und -entwicklung empfohlen (siehe dazu den Bericht UNIDO-DST (2023): Indian Pharmaceutical Sectorial System of Innovation (IPSSI), S. 58 ff.) .
Die „Strategy for New India@75“ (2018-22, S. 45) sieht vor, dass die Kapazitäten in der Gesundheitsforschung ausgebaut werden. Dazu gehören Forschungskonsortien für vernachlässigte tropische Infektionskrankheiten und neu auftretende Krankheiten sowie ein landesübergreifendes Netzwerk von Forschungslaboratorien zur Virusforschung. Jeder Bundesstaat sollte zudem eine Gesundheitsforschungseinheit in ländlichen Gebieten mit Modellcharakter aufbauen.
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Mobilität und Raumfahrt
Das erfolgreiche indische Weltraumprogramm ist das Aushängeschild indischer Forschung und Technologie. Ziel ist es, indische Satelliten mit indischen Trägerraketen im Weltraum zu stationieren und über eigene Bodenstationen und Datenaufbereitungsanlagen für sogenannte sozio-ökonomische Zwecke wie Rundfunk und Fernsehen, Wettervorhersage, Erntevoraussagen oder Katastrophenschutz zu nutzen. Ein weiteres Ziel ist die Teilnahme an dem lukrativen Weltmarkt für Startdienstleistungen, Satellitenkommunikation und Fernerkundungsdaten. Am 22.10.2008 schickte Indien die erste eigene unbemannte Raumsonde zum Mond und mit der Mission Chandrayaan 3 gelang Indien 2023 eine Mondlandung. Die Raumfahrtforschung liegt in der Hand der Indian Space Research Organization (ISRO), des Departments für Weltraum (Department of Space, DOS) und deren kommerziellem Arm „Antrix Corporation“ (Quellen: DOS, ISRO, CII). Zurzeit arbeitet die IRSO intensiv daran, in Zukunft Indiens erste bemannte Raumfahrtmission zu ermöglichen.