Die globale Innovationslandkarte verändert sich schnell. Neue Technologien, wissenschaftliche Erkenntnisse oder Geschäftsmodelle kommen zunehmend aus den aufstrebenden Schwellenländern Asiens, insbesondere aus China und Indien. Diese Entwicklung stellt europäische Unternehmen vor ernste Herausforderungen, für deren Bewältigung sie auch auf bessere politische Rückendeckung und faire Rahmenbedingungen angewiesen sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Economist Intelligence Unit (EIU). Sie beruht auf einer Umfrage unter Spitzenmanagern großer europäischer Unternehmen.
61 Prozent der befragten Unternehmensführer in Europa gab an, dass sie von ihrer Regierung bisher gar keine oder nur geringe Unterstützung erfahren. Nur 31 Prozent fühlen sich tatkräftig unterstützt. Ganz anders nehmen die europäischen Topmanager dagegen die Förderung wahr, die ihre neuen asiatischen Konkurrenten von ihren Regierungen erhalten. Rund 70 Prozent gaben an, dass sie sich durch die politische Unterstützung, die asiatische Unternehmen bekommen, benachteiligt sehen. Ein Drittel der Befragten sprach sogar von "beachtlichen Nachteilen". Immerhin rund 27 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass die aufsteigende asiatische Konkurrenz sie in finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte.
Politik muss Voraussetzung für Innovationen „Made in Europe“ schaffen
Europäische Regierungen müssen deshalb schnell umfassende Maßnahmen ergreifen, um Europa als Innovationsstandort zu stärken und Unternehmen vor unfairem Wettbewerb zu schützen.
Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, sagte:
- "Um die Vorteile der Globalisierung für den Wohlstand der beteiligten Regionen und deren Bürger zu nutzen, braucht es verlässliche, stabile Handelsbeziehungen zwischen den Partnerländern und faire Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Unternehmen."
Als größte Konkurrenz empfinden europäische Unternehmen derzeit die expandierenden Konzerne aus China und Indien. Doch auch aus Malaysia, Indonesien, Taiwan und den Philippinen wird zunehmend Innovationsdruck spürbar. Als innovativster asiatischer Wirtschaftszweig gilt dabei der IT-Sektor, gefolgt von elektronischen Ausrüstungen, medizinischen Geräten, Maschinenbau und Automobilen. Gründe für Asiens wachsende Innovationskraft sind neben der Regierungsunterstützung vor allem der starke Ausbau des Bildungssystems und die schnelle Adaption von neuen Technologien.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen plant mehr Forschung und Entwicklung (F&E)
Bisher fühlen sich Europas Unternehmen dem Wettbewerb noch überwiegend gewachsen. Doch damit das auch so bleibt, planen fast alle Unternehmen noch mehr gezielte Strategien und Maßnahmen, um im Innovationswettbewerb mit Asien mithalten zu können. Mehr als die Hälfte der befragten Topmanager gibt an, künftig ihre F&E-Aktivitäten ausweiten zu wollen. Rund ein Viertel will sich verstärkt um Partnerschaften in Asien bemühen.
Deutsche Wirtschaftsführer zeigen sich bei der Einschätzung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit etwas selbstbewusster als ihre Kollegen in anderen europäischen Ländern. Ihr Selbstbewusstsein speist sich vor allem aus dem Vertrauen in die eigene Technologie. Gleichzeitig rechnen die Deutschen im Schnitt aber auch mit tiefgreifenderen Veränderungen als andere Europäer. Lediglich sieben Prozent der deutschen Firmen gehen davon aus, dass die Entwicklung in Asien keine Auswirkungen auf ihre Strategie haben wird, im Gegensatz zu 14 Prozent in anderen europäischen Ländern. Ein Drittel (32 Prozent) der deutschen Unternehmen rechnet außerdem damit, dass der Druck aus Asien zu finanziellen Schwierigkeiten führen könnte; in anderen europäischen Ländern erwarten das nur 21 Prozent. Neun Prozent der deutschen Unternehmen halten es für denkbar, dass sie von einem asiatischen Konkurrenten aufgekauft werden.
"Der deutsche Mittelstand, traditionell das Rückgrat des Innovationsstandorts Deutschland, steht durch den Aufschwungs Asiens vor einem grundlegenden Kulturwandel. Wenn wir die Veränderungen nicht viel ernster nehmen als bisher, könnten Deutschland und Europa den Anschluss verlieren", sagt Bernhard Bartsch, Asien-Experte der Bertelsmann Stiftung. "Wichtig sind gleiche Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer."
Wichtige Bausteine einer deutschen Innovationsinitiative wären die aktive Förderung von Forschung und Entwicklung, die Durchsetzung offener Märkte, fairer Wettbewerbsbedingungen und effektiven Schutzes von geistigem Eigentum sowie eine Migrationspolitik, die Deutschland zu einem attraktiveren Standort für internationale Wissenschaftler und Entwickler macht.
Hintergrund
Die Studie beruht auf einer Online-Umfrage sowie auf umfassender Sekundärforschung, die das Forschungsinstitut The Economist Intelligence Unit (EIU) im März, April und Mai 2016 durchführte. Teilnehmer der Umfrage waren Führungskräfte von Unternehmen, die ihre Firmenzentrale in ausgewählten europäischen Ländern haben. Die Stichprobe umfasste insgesamt 200 Personen; die Hälfte davon waren Führungskräfte von Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die andere Hälfte war für Unternehmen mit Sitz in anderen europäischen Staaten tätig.
Die Fragen konzentrierten sich auf die Einschätzung der Befragten, wie Innovationen in den asiatischen Schwellenländern ihren jeweiligen Industriezweig und ihr Unternehmen beeinflussen. Zum Zweck der Studie wurden China, Indien, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Taiwan, Thailand und Vietnam als "Asiatische Schwellenländer" definiert.
Die Stichprobe umfasst mehrere Industriezweige und verteilt sich relativ gleichmäßig auf Automobilindustrie, Schwermaschinenbau, Elektronik, Informationstechnologie, medizinische Geräte, petrochemische Produkte und Biowissenschaften. In Bezug auf die Unternehmensgröße entfallen 25 Prozent der Stichprobe auf Unternehmen mit einem globalen Jahresumsatz von weniger als 50 Millionen Euro, die Hälfte (47 Prozent) auf Unternehmen mit einem globalen Jahresumsatz von 50 bis 500 Millionen Euro und 28 Prozent auf Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 Millionen Euro, aber weniger als 10 Milliarden Euro.
Kontakt:
Bernhard Bartsch
Bertelsmann Stiftung
Tel.: +49 52 41 81 81 569
E-Mail: bernhard.bartsch(at)bertelsmann-stiftung.de