Expertengruppen zum Reaktorunfall sind noch heute aktiv
In den ersten Tagen nach dem 11. März 2011 überschlugen sich die Nachrichten – und die drängenden Fragen nach Fachinformation aus Medien und Bevölkerung. „Nach rund einer Woche versachlichte sich das Gespräch", berichtet Dr. Joachim Knebel, Chief Science Officer des KIT und Programmsprecher Nukleare Sicherheitsforschung der Helmholtz-Gemeinschaft. Dazu trugen nicht zuletzt die sechs Arbeitsgruppen bei, welche das KIT federführend für die Helmholtz-Gemeinschaft in Absprache mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung einrichtete, um die Vorgänge in Japan zu bewerten und aufzubereiten. In den ersten drei Monaten nach der Krise waren die rund 30 beteiligten Forscherinnen und Forscher zeitweise rund um die Uhr eingespannt. Die Arbeitsgruppen befassen sich unter anderem mit dem Zerstörungsgrad der einzelnen Reaktorkomponenten, dem Störfallablauf und der Energiefreisetzung im Reaktorkern, mit der Prognose der weiteren Entwicklung, mit Ausbreitungsrechnungen und Auswirkungen der radioaktiven Freisetzungen auf die Menschen in Japan. Derzeit liegt der Schwerpunkt auf der Rekonstruktion und dem physikalischen Verständnis des Störfallablaufs. In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Anlagen-und Reaktorsicherheit (GRS) sowie Experten aus den USA und Japan sammelten die Wissenschaftler alle verfügbaren Daten, versuchten darauf basierend den jeweils aktuellen Status zu erfassen und die weitere Entwicklung vorauszusagen. „Unsere Berechnungen, beispielsweise zur Bodenkontamination mit Cäsium, erwiesen sich durchweg als zutreffend", erklärt Wolfgang Raskob, der mit seinem Team am KIT tägliche Vorausrechnungen erstellte.
Auf der Website des KIT unter www.kit.edu/besuchen/6042.php veröffentlichten die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse. Die Seiten verzeichneten in der Zeit von März 2011 bis Januar 2012 knapp 54.000 Zugriffe. „Die Grafiken zu den Ausbreitungsberechnungen wurden sogar in Japan als unabhängige Information abgerufen", berichtet Knebel. Beim KIT gingen bis Mitte April 2011 rund dreihundert protokollierte Anfragen ein. Gleichzeitig berichteten mehr als 270 Artikel in Online-Medien, mehr als 150 Artikel in Printmedien, über 50 TV-Beiträge und über 80 Radio-Beiträge über die Tätigkeit der Helmholtz-Forscher am KIT nach Fukushima.
Zudem bot das KIT für Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Reaktorunglücks im Norden Japans aufgehalten hatten, den Service, sich im In-vivo Messlabor des KIT mittels Ganzkörperzähler auf Inkorporationen von radioaktiven Substanzen messen zu lassen.
Ende letzten Jahres besuchte eine Delegation der Japan Atomic Energy Agency das KIT, um sich vor Ort über die Reaktorsicherheitsforschung zu informieren und eine verstärkte Kooperation zu vereinbaren.
Aktuelle Lage in Fukushima
In der Umgebung des Kraftwerkstandortes Fukushima versuchen die Japaner derzeit, die Dekontamination von mehreren Hundert Quadratkilometern Boden vorzubereiten. „Durch Abtragen einer rund fünf Zentimeter starken Schicht Erde soll die radioaktive Belastung unter den Schwellenwert von fünf Millisievert sinken", erläutert Wolfgang Raskob vom Institut für Kern- und Energietechnik (IKET) des KIT. „Bisher wurden diese Maßnahmen an Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen vorgenommen." Für die Lagerung der abgetragenen Erde zeichnet sich allerdings noch keine langfristige Lösung ab. An der Anlage selbst werden derzeit Schutzhüllen aus Stahlgerüsten und Polyesterplatten errichtet, um die Reaktoren gasdicht abzuschließen. Stählerne Spundwände, die etwa 23 Meter in den Untergrund gerammt werden, sollen verhindern, dass radioaktiv kontaminiertes Wasser aus den Reaktoren ins Meer oder ins Grundwasser gelangt. „Inzwischen gibt es wieder funktionierende Kühlkreisläufe", sagt Raskob. Schutt und Schrott sollen nach und nach von der Anlage abgetragen werden, um diese dann rückzubauen und/oder die Bereiche mit der höchsten Radioaktivität in einem Sarkophag einzuschließen.
Nukleare Sicherheitsforschung am KIT
„Auch in Zeiten der Energiewende sind die am KIT vorhandenen Kompetenzen in der Kerntechnik weiterhin gefordert. Denn es gilt, Lösungen für eine sichere und verantwortungsvolle Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu erarbeiten und dann auch umzusetzen", betont Joachim Knebel. Darüber hinaus benötige Deutschland das einschlägige Know-how, um die Sicherheit von Kernkraftwerken in anderen Ländern zu beurteilen – Unfälle hätten grenzüber-schreitende Folgen – und um in internationalen Gremien zu Sicherheitsfragen sprechfähig zu bleiben.