Als bevölkerungsreichstes Land der Erde verzeichnet China insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten massive industrielle und landwirtschaftliche Aktivitäten im Einzugsgebiet großer Flusssysteme, die beträchtliche Mengen an Nährstoffen, Schadstoffen und anderen bedenklichen Substanzen wie Mikroplastik und Medikamentenrückstände ins Meer spülen. Insbesondere rasant wachsende Megastädte, die bis zu 100 Millionen Einwohner haben können, und industrielle Zentren an Küsten und Flussmündungen sind für diese Entwicklung verantwortlich.
Wie wirken sich die riesigen Bevölkerungszahlen und die weiterhin stark zunehmende Industrialisierung dieser Ballungsräume auf die Schadstoffbelastung in den betroffenen Küstenmeeren aus? Sind dadurch bedingte Veränderungen bereits erkennbar und ist zu erwarten, dass Umweltschäden durch Klimaänderungen noch verstärkt werden? Das sind die zentralen Fragen des vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) koordinierten deutsch-chinesischen Verbundprojektes MEGAPOL (kurz für „Megacity’s fingerprint in Chinese marginal seas: Investigation of pollutant fingerprints and dispersal“), in dessen Rahmen die Schiffsexpedition SO269-SOCLIS (kurz für „Südchinesisches Meer – natürliches Laboratorium unter klimatischen und anthropogenen Stress“) stattfindet.
Projekt- und Expeditionsleiterin Joanna Waniek vom IOW zur anstehenden Mission:
„Unser Untersuchungsgebiet – die Region um das Mündungsgebiet des Perlflusses im Südchinesischen Meer – ist in der Tat wie ein natürliches Labor, in dem wir nicht nur für China relevante Fragen untersuchen, sondern, angesichts weltweit wachsender Megastädte, quasi einen Blick in die Zukunft von Küstenmeeren mit immensem Zivilisationsdruck werfen können. Neben den dort jetzt schon existierenden Extrem-Ballungszentren gibt es über die großen Flüsse einen intensiven Austausch zwischen Land und Ozean sowie Veränderungen der physikalischen Antriebe hinter diesem Austausch, wie Monsun und Meeresströmungen, die wiederum vom Klimawandel beeinflusst werden – also alles, was wir an ‚Zutaten‘ für ein gut interpretierbares Modellsystem brauchen.“
An dem interdisziplinären Expeditionsteam an Bord der SONNE beteiligen sich neben dem IOW auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Hamburg und Köln, des Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG), der Shanghai Jiao Tong University und das Guangzhou Marine Geological Survey. Aufbauend auf Erkenntnissen und Methodenentwicklungen im Rahmen von zwei vorausgegangenen Expeditionen ins Südchinesische Meer auf chinesischen Forschungsschiffen (2015 und 2018) ist ein umfangreiches Arbeitsprogramm geplant, das Luft-, Wasser- und Meeressediment-beprobung, hydrographische und hydroakustische Messungen sowie die Erfassung von Sedimentationsmustern mittels Verankerungen umfasst.
Joanna Waniek erläutert:
„Unsere bisherigen Arbeiten legen nahe, dass vor allem zwei Substanzgruppen – organische und anorganische Schadstoffe sowie reaktiver Stickstoff aus Flüssen mit charakteristischer Isotopenzusammensetzung – geeignet sind, um als Marker die Transportwege anthropogener Verschmutzung von der Quelle bis zum Meer zu identifizieren und zu quantifizieren.“
Der Fokus läge dabei auf „altbekannten“ Schadstoffen wie PCB, DDT und PAH, ebenso wie auf „neuen“ Schadstoffen wie Mikroplastik, Hormone, Antibiotika und UV-Filter, wie sie z.B. in Sonnencremes enthalten sind, so die Meeresforscherin. Zusammen mit den Ergebnissen der vorherigen Forschungsfahrten und den Daten der chinesischen Partnerinstitutionen ermöglicht die diesjährige Expedition ins Südchinesische Meer, eine Entwicklung der akuten Belastung in der Region über einen Zeitraum von 5 Jahren nachzuzeichnen. Aufschluss darüber, wie sich Austausch- und Transportprozesse zudem in den letzten Jahrtausenden verändert haben, versprechen sich die Forscher*innen vor allem von der Analyse von Sedimentkernen, die an ausgewählten Stationen gezogen werden sollen.
Dazu Joanna Waniek:
„Die Ablagerungen sind wie ein Archiv, das uns die Rekonstruktion von früheren Umweltbedingungen und Sedimentablagerungs-prozessen ermöglicht und Hinweise darauf gibt, wie die jüngere, durch Menschen bedingte Verschmutzungshistorie des betreffenden Meeresgebietes verlaufen ist. Die Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Partnern hat sich für alle als ausgesprochen fruchtbar erwiesen. Wir freuen uns daher sehr auf den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch, der bei so einer Expedition besonders intensiv und spannend gerade für die jüngeren Expeditionsteilnehmerinnen und Expeditionsteilnehmer ist."