Am 17. März 2002 hob das „Gravity Recovery and Climate Experiment“, kurz GRACE, vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk ab. Die gemeinsame Mission der US-amerikanischen Raumfahrtagentur NASA, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), sowie des Helmholtz-Zentrums Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) mit weiteren Forschungs- und Industriepartnern, bestehend aus zwei hintereinander fliegenden Zwillingssatelliten, hat erstmals das Schwerefeld der Erde und vor allem dessen kurzfristige Änderungen präzise und über einen langen Zeitraum vermessen. Nach mehr als dem Dreifachen der nominellen Laufzeit von fünf Jahren endete die Mission Ende 2017. Im Mai 2018 hob das Nachfolge-Duo GRACE-FO aus Kalifornien ab und setzt die Zeitreihe fort.
Niels Hovius, wissenschaftlicher Direktor (interim) des GFZ fasst die Ergebnisse zusammen:
"Was uns die 20 Jahre Daten an Umweltveränderungen und Folgen des Klimawandels zeigen, ist dramatisch. Ohne die beiden Missionen GRACE und GRACE-FO wären wir weiter auf Schätzungen angewiesen, was den globalen Wasserkreislauf betrifft. Umso wichtiger ist es, dass wir die Zeitreihe nicht abreißen lassen und in spätestens fünf Jahren eine Nachfolgemission starten“.
Bei einer Jubiläumsveranstaltung auf dem Potsdamer Telegrafenberg informierten Forschende des GFZ, aber auch der Nachbarn – vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der NASA, des DLR, zweier Max-Planck-Institute und von Airbus Defense & Space die Politikerinnen und Politiker über die Missionen.
Die Raumfahrtbeauftragte des Bundes, Anna Christmann, sagte:
„20 Jahre GRACE-Mission sind ein Grund zum Feiern. Die Messdaten der Satellitenmissionen GRACE und GRACE-FO liefern wichtige Beiträge zur Modellierung des Systems Erde. Beide Missionen basieren auf einer erfolgreichen und vertrauensvollen Kooperation zwischen Deutschland und den USA. Erst durch die Expertise und Kompetenzen beider Länder ist es möglich, einzigartige Schwerefeldmessungen durchzuführen und so die Ursachen und Folgen der Klimakrise noch besser zu verstehen."
Brandenburgs Forschungsministerin Manja Schüle schloss sich der Gratulation an und fügte hinzu:
„Auf dem Telegrafenberg wird seit Jahrzehnten Spitzenforschung im Bereich der Erdsystemforschung, des Umwelt-Monitorings und der Klima-Modellierung betrieben. Vom GeoForschungsZentrum, aber auch vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung – geballte Expertise, um Lösungen für die globalen Herausforderungen des Klimawandels zu finden. Dazu hat vor genau 20 Jahren auch und insbesondere der Start der GRACE-Mission beigetragen. Deren Satelliten haben einen wichtigen Beitrag zum Monitoring des Klimawandels geleistet, indem sie beispielsweise Änderungen im globalen Wasserkreislauf, Details des Meeresspiegelanstiegs und das immer raschere Abschmelzen des Polareises anzeigten.“
Bedeutung der Schwerefelddaten für die Erdsystemforschung
Wichtigstes Produkt von GRACE und nun GRACE-FO sind monatliche Karten des Schwerefeldes für den ganzen Globus. Dazu sagte Andreas Lindenthal, Leiter von Airbus Space Systems Deutschland:
„Die von GRACE bzw. GRACE-FO gemessenen Unterschiede im Erdschwerefeld liefern grundlegende Hinweise auf die großräumige Dynamik des Planeten. Die Überwachung beispielsweise der oberflächennahen und unterirdischen Wasserspeicherung, sowie der Veränderungen des Meeresspiegels und der Meeresströmungen bietet ein integriertes globales Bild davon, wie sich der Energiehaushalt der Erde entwickelt - Veränderungen, die wichtige Auswirkungen auf das tägliche Leben vieler Menschen haben.“
Die GRACE- und GRACE-FO-Satelliten geben unter anderem Auskunft über den gesamten Wassergehalt auf und unter der Erdoberfläche („Total Water Storage“, kurz TWS) und dessen räumliche und zeitliche Änderungen. Das Global Climate Observing System der World Meteorological Organization hat TWS im Jahr 2020 als „essenzielle Klimavariable“ („Essential Climate Variable“) definiert und damit deutlich gemacht, welch große Rolle die Daten von Schwerefeldmissionen für die Überwachung und Beschreibung des Klimawandels spielen.
Der Leiter des GRACE-Programms bei Airbus, Albert Zaglauer, unterstreicht:
„Mit unseren äußerst zuverlässigen und langlebigen GRACE und GRACE-FO-Satelliten hat Airbus Wissenschaftlern und Anwendern die entscheidenden Messwerkzeuge geliefert, die eine globale, nachhaltige Forschung über den Zustand unseres Planeten ermöglichen. Mit unserer fortgeschritten Satellitentechnologie und unserem Fertigungs-Know-how verfügen wir auch heute schon über die Antworten auf künftige Missionsanforderungen und können diese zuverlässig entwickeln und umsetzen.“
Messprinzip des Satellitenduos
Das mit GRACE realisierte Messprinzip ist das einzige Verfahren, das Änderungen im Wasserkreislauf – sogar bis weit unter der Erdoberfläche – beobachten kann. Die GRACE- und GRACE-FO-Daten ermöglichten es erstmals, den Eismassenverlust der großen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis genau zu quantifizieren, ebenso wie Verläufe von Dürren. Besondere Aufmerksamkeit erregten die Rekordverluste des Grönlandeises im Jahr 2019 und die Dürrejahre 2018 und 2019 in Europa: So sind in Grönland 2019 mehr als 530 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen, in etwa zweimal so viel wie das jährliche Mittel seit 2002. In Mitteleuropa führte die Dürre der letzten Jahre im Sommer 2019 zu einem Wasserdefizit, das doppelt so groß war wie das übliche Wasserdefizit im Sommer. Die Mission trägt entscheidend dazu bei, das System Erde besser zu verstehen. Im aktuellen Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist GRACE die am dritthäufigsten genannte Satellitenmission.
Bei der Jubiläumsveranstaltung informierten die Forschenden und Industriepartner auch über das Messprinzip und dessen Weiterentwicklung. Die beiden GRACE und GRACE-FO-Satelliten senden kontinuierlich Mikrowellensignale aus, die vom jeweils anderen empfangen werden. Daraus werden minimale Abstandsänderungen im Mikrometerbereich zwischen den beiden Raumfahrzeugen abgeleitet, die wiederum durch Massenänderungen auf der Erde hervorgerufen werden. Aus den etwa 500 Umläufen des Satellitentandems innerhalb eines Monats lassen sich dann fortlaufend Karten des globalen Erdschwerefeldes mit einer Auflösung von rund 300 Kilometer mal 300 Kilometer ableiten. Diese nun 20 Jahre langen Zeitreihen haben gezeigt, wie sich im Lauf der Zeit Wasser, Eis und festes Material auf der Erde beziehungsweise unter ihrer Oberfläche bewegen. Die auf GRACE-FO erstmals im Weltall erprobte Abstandsmessung zwischen den beiden Satelliten per Laser-Interferometrie (LRI für Laser Ranging Interferometer) hat sich bewährt. Das LRI soll bei der geplanten Nachfolgemission GRACE-I die bisherige Abstandsmessung per Mikrowellen ersetzen. Das LRI wurde vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik mitentwickelt und soll bei einem Weltraumteleskop für Gravitationswellen eingesetzt werden.
Die vielfältige Kooperationen Wissenschaft und Technologieentwicklung werden maßgeblich durch Mittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) unterstützt.
Künftig soll ICARUS mitfliegen
An den Plänen für die Nachfolgemission GRACE-I arbeiten Forschende des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA, des DLR und des GFZ bereits gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von zwei Max-Planck-Instituten. Wie ihre beiden Vorgängermissionen wird GRACE-I wissenschaftliches und technologisches Neuland betreten. Das I steht für die zusätzliche Nutzlast ICARUS (International Cooperation for Animal Research Using Space) – ein System, mit dem Tierwanderungen vom All aus verfolgt werden können. Außerdem soll ein neuartiges Gerät zur Ausmessung des Schwerefeldes mitfliegen, ein Quantum Gravity Gradiometer QGG. Das QGG soll – wie das LRI auf GRACE-FO – als Technologiedemonstrator für nachfolgende Schwerefeldmissionen erprobt werden.