Mit diesem „Programmgesetz“ (Loi de programmation pluriannuelle) ist zum ersten Mal seit 2006 ein mehrjähriger Finanzplan für die Forschung verabschiedet worden. Angekündigt wurde es am 1. Februar 2019 vom damaligen französischen Premierminister Edouard Philippe anlässlich des 80jährigen Bestehens der größten Forschungseinrichtung Frankreichs, des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung CNRS (Centre nationale de la recherche scientifique). Ziel des Programmgesetzes sollte es sein, die französische Forschung durch strukturelle Reformen und die Gewährleistung budgetärer Planungssicherheit über mehrere Jahre sichtbarer und leistungsstärker zu machen. Insbesondere soll damit der von Forschenden sowie zahlreichen Studien beklagten Unterfinanzierung des französischen Forschungssystems ein Ende gesetzt werden. Zum Vergleich: während Deutschland FuE-Ausgaben von 3,13% des BIP im Jahr 2018 vorweisen konnte, erreichte Frankreich im selben Jahr nur knapp 2,38%. Darüber hinaus sollten mit dem Gesetz die Attraktivität wissenschaftlicher Karrieren gesteigert und die Verbreitung und der Transfer von Wissen in Gesellschaft und Wirtschaft gefördert werden.
Nach einer breit angelegten öffentlichen Konsultation im Frühjahr 2019, in die öffentliche und private Akteure von Forschung und Wissenschaft involviert wurden, wurden zur Vorbereitung des Programmgesetzes drei Arbeitsgruppen – „Finanzierung“, „Attraktive Karrierewege“ und „Angewandte Forschung“ – ins Leben gerufen, die Premierminister Philippe im September 2019 ihre Empfehlungen vorlegten. Diese beinhalteten insbesondere eine deutliche Mittelaufstockung für die Hochschul- und Forschungseinrichtungen, höhere Gehälter und die Einführung von „Tenure Tracks“ sowie die Ausschreibung „Universitärer Innovationszentren“ und die Verstetigung von erfolgreichen Innovationsstrukturen, wie etwa den Instituten für technologische Forschung IRT oder den Gesellschaften zur Beschleunigung des Technologietransfers SATT.
Das Verfahren an dem Gesetzentwurf wurde im Frühjahr 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie ausgesetzt, dann jedoch wieder aufgenommen und beschleunigt. Der Entwurf zur Loi de programmation pluriannuelle de la recherche 2021-2030 wurde am 18. Juni 2020 von dem Nationalen Rat für Hochschulbildung und Forschung (Conseil national de l'enseignement supérieur et de la recherche - CNESER), der die Hochschul- und Forschungseinrichtungen repräsentiert, angenommen und anschließend am 22. Juli 2020 dem Ministerrat vorgestellt. Im September wurde über den Gesetzentwurf im Parlament beraten. Die Assemblée Nationale verabschiedete den Text in erster Lesung am 24. September 2020. Anschließend wurde eine aus Abgeordneten und Senatsmitgliedern paritätisch besetzte Kommission eingesetzt, um einzelne Aspekte des Gesetzentwurfs zu präzisieren und insbesondere Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität wissenschaftlicher Karrieren zu spezifizieren. Nach der Ratifizierung durch die Assemblée Nationale am 17. November 2020 stimmte der Senat für die endgültige Verabschiedung des Gesetzes am 20. November 2020.
Mit dem Gesetz wird eine Erhöhung der öffentlichen Forschungsinvestitionen um 25 Mrd. Euro über die nächsten Jahre beschlossen, was die jährlichen öffentlichen Ausgaben für Forschung von derzeit 15 Mrd. Euro auf 20 Mrd. Euro im Jahr 2030 erhöhen soll. Ziel ist, sich der Zielmarke von 3% des BIP für Forschungs- und Entwicklungsausgaben aufzuwenden, anzunähern. Andere Maßnahmen zielen auf strukturelle Veränderungen der Forschungslandschaft, Vereinfachung der Mechanismen der Forschungsförderung und Annäherung von Forschung und Gesellschaft ab.
Parallel zur Vorbereitung der Loi de programmation pluriannuelle de la recherche wurde am 12. Oktober 2020 ein von der Regierung als „historisch“ bezeichnetes Vereinbarungsprotokoll „Vergütung und Laufbahnen“ für die Jahre 2021 bis 2030 verabschiedet. Dieses von den drei Gewerkschaften SNPTES, Sgen-CFDT und Unsa, den öffentlichen Forschungseinrichtungen CNRS, Inserm, Inrae, Inria sowie der Conférence des Présidents d'Université unterschriebene Protokoll sieht insbesondere über die nächsten Jahre gestaffelte Gehaltserhöhungen für Forschende und Doktoranden vor, sowie die Verringerung der Unterschiede bei akademischen Graden und Laufbahnen zwischen Karrieren in Forschungsinstituten und Karrieren in Hochschulen.
Während die Regierung das Programmgesetz, welches am 1. Januar 2021 parallel zum Start des neuen Forschungsrahmenprogramms der EU in Kraft treten soll, als „historische Investition“ bezeichnet, stößt es in der akademischen und wissenschaftlichen Gemeinde sowie bei Gewerkschaften nach wie vor auf teilweise starke Kritik. Der bekannte Mathematiker und Abgeordnete Cédric Villani, der lange den Text unterstützte und in der Anfangsphase der Gesetzentwicklung involviert wurde, beklagte gar in der Nationalversammlung, das Gesetz stelle einen "verpfuschten Kompromiss [dar], der der geleisteten Arbeit nicht gerecht wird“. Bezogen auf die Erhöhung der Forschungsinvestitionen wird häufig bemängelt, dass der Großteil dieser Erhöhungen in späteren Jahren stattfinden, somit von zukünftigen Regierungen getragen werden soll und deshalb unsicher ist.
Die wissenschaftliche Gemeinde zweifelt darüber hinaus daran, dass das Gesetz dazu beiträgt, die derzeit prekäre Lage junger Forscher tatsächlich zu bessern. Für besonderen Unmut sorgt in dieser Hinsicht die Einführung sogenannter "unbefristeter Verträge im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts" (CDI de mission scientifique), da diese nach Ablauf des zugehörigen Forschungsprojekts enden. Außerdem wird die Stärkung der projektbezogenen Finanzierung in der Forschung angeprangert und darin das Risiko einer potenziellen Einschränkung der Forschungsfreiheit gesehen.
Bereits zu Beginn des Jahres 2020 löste der Text eine große Protestbewegung aus, die nach dem Lockdown und einer Pause im Frühjahr im Herbst wieder erstarkte. Besonders im Fokus der Proteste stehen zwei nachträglich eingereichte Änderungsanträge („amendements“), über die im Senat abgestimmt wurde:
Der erste bezieht sich auf den eingeführten "Straftatbestand der Behinderung", welcher greift, wenn der "Frieden oder die Ordnung" der Institution durch physisches Eindringen von Außenstehenden in die Universitäten gestört wird. Während die Opposition darin eine "libertizide" Maßnahme sieht, argumentiert die Ministerin für Hochschulbildung, Forschung und Innovation Frédérique Vidal, dies sei "in keiner Weise dazu gedacht, uneinigen Stimmen einen Maulkorb zu verpassen", sondern "im Gegenteil, um die kontradiktorische Debatte vor Zensurversuchen oder unzulässigen von außen geförderten Beschädigungen" zu schützen.
Der zweite umstrittene Änderungsantrag untergräbt aus Sicht der Kritiker die Rolle des Nationalen Hochschulrats (CNU) bei der Einstellung von Lehrerenden und Forschenden. Demnach würde den Universitäten erlaubt, unter bestimmten Bedingungen einen Kandidaten oder eine Kandidatin auch dann einzustellen, wenn er oder sie nicht wie bisher üblich vom CNU qualifiziert wurde. Aus Sicht der Rechtsprofessorin Véronique Champeil-Desplats (Nanterre) berge dies die Gefahr einer Begünstigung der "Mandarinats" und der "lokalen Anwerbung". Hier versprach die Ministerin eine Konsultationsphase, bevor das entsprechende Dekret verfasst wird.
Zum Nachlesen
- MESRI (10.09.2020): Projet de loi de programmation de la recherche 2021-2030 : début du travail parlementaire
- MESRI (24.09.2020): L'Assemblée nationale a adopté en première lecture le projet de loi de programmation de la recherche
- MESRI (13.10.2020): Loi de programmation de la recherche 2021-2030 : signature d'un accord historique sur les rémunérations et les carrières
- MESRI (10.11.2020): Les parlementaires trouvent un accord sur la loi de programmation pour la recherche
- Le Monde (20.11.2020): Le projet de loi controversé de programmation de la recherche définitivement adopté par le Parlement
- Le Monde (21.11.2020): "La recherche n’échappe pas à la dérive liberticide du gouvernement"
- OECD (abgerufen 27.11.2020): Gross domestic spending on R&D (indicator)