Überblick zur Bildungs-, Forschungs- und Innovationslandschaft und -politik: Türkei
Bildungssystem
Aufgrund der sehr jungen türkischen Bevölkerung ist die Bildungspolitik von großer Bedeutung. Zuständig für den gesamten Bildungsbereich ist das Ministerium für Nationale Bildung (Ministry of National Education, Millî Eğitim Bakanlığı). Für alle türkischen Staatsangehörigen besteht eine generelle Schulpflicht. Der Besuch an staatlichen Schulen ist kostenlos. Das Einschulungsalter wurde im Zuge der Schulreform von 2012 auf fünf Jahre herabgesetzt und die Schulpflicht von acht auf zwölf Jahre ausgedehnt (4 + 4 + 4-Modell). Die Grundschulbildung umfasst somit den Unterricht für fünf- bis achtjährige Kinder, die Mittelschulbildung den Unterricht für neun- bis 13-jährige Kinder. Die Oberschule umfasst eine vierjährige Ausbildung für 14- bis 17-jährige Jugendliche an allgemeinbildenden oder beruflich-technischen Gymnasien, an denen Berufsbildung für technisches Fachpersonal in Industrie und Dienstleistungssektor durchgeführt wird.
Die von der Türkei erzielten Bildungsergebnisse in der PISA-Studie weisen auf erheblichen Reformbedarf in der Schulbildung hin. Auch unter PISA 2018 liegt die Türkei etwa 20-35 Punkte unter dem Durchschnitt der OECD-Mitgliedsländer. Seit PISA 2012 ist allerdings ein moderater Aufwärtstrend in Mathematik und in den Naturwissenschaften erkennbar. Die sehr niedrigen Ergebnisse von PISA 2015 werden als Anomalie gewertet (PISA Country Note Turkey, S. 3).
Bildungspolitische Zielsetzungen für die frühkindliche Bildung, die Schulbildung und die berufliche Aus- und Weiterbildung hat das Ministerium für Nationale Bildung 2019 in der „Turkey’s Education Vision 2023“ festgelegt.
Nach zwölf Jahren hat jeder Schüler und jede Schülerin nach Abschluss der Schule das Recht, an der Hochschulzugangsprüfung teilzunehmen. Auf der Basis der Ergebnisse weist die zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ÖSYM) einen Studienplatz zu. Zwischen 2001 und 2010 hat sich die Anzahl der Studierenden mehr als verdoppelt: Sie stieg von 1,6 auf 3,5 Mio. Zwischen 2010 und 2020 gab es ebenfalls mehr als eine Verdoppelung und die Anzahl der Studierenden erreichte 2020 knapp 8 Mio. Zwischen 2001 und 2020 hat sich die Anzahl der Studierenden im Ergebnis verfünffacht. Damit belegt die Türkei 2020 im weltweiten Vergleich Rang 6 hinter China (53,82 Mio. in 2021), Indien (38,87 Mio. in 2021), den USA (18,75 Mio.), Brasilien (8,98 Mio.) und Indonesien (8 Mio. in 2018) (Quelle: UNESCO-UIS).
Dabei ist allerdings die Rolle der Kurzzeitstudiengänge (ISCED Level 5) zu beachten, in denen 2021/22 mehr als ein Drittel der türkischen Studierenden (3,25 Mio. Studierende) eingeschrieben ist. Insbesondere Studieninteressierte, die bei der Hochschulzugangsprüfung keine ausreichende Punktzahl erreichen, können sich für ein zweijähriges, in der Regel technisch bzw. berufsorientiertes Ausbildungsprogramm (Önlisans) an einer Berufsfachhochschule entscheiden (DAAD-Ländersachstand Türkei 2020). Dagegen strebten 2021/22 4,57 Mio. türkische Studierende einen Bachelorabschluss (Lisans) nach vierjährigem Studium an einer regulären Universität an, während etwa 358.000 Studierende die weiterführenden 2-jährigen Masterstudiengänge (Yüksek Lisans) belegten und etwa 109.000 Studierende in einem mindestens dreijährigen Promotionsstudium zum Erwerb des Doktorgrades (Doktora) eingeschrieben waren (neuere Statistiken auf der Seite des Hochschulrats YÖK, siehe auch Überblick zur Kooperation mit Deutschland zur Rolle von YÖK (Council of Higher Education; Yükseköğretim Kurulu).
In Reaktion auf die stark gestiegenen Studierendenzahlen sind seit 2006 rund 100 türkische Hochschulen gegründet worden. Alte und sehr große Universitäten, wie die Istanbul University, die Gazi University und die Anadolu University wurden 2018 zerschlagen und in mehrere kleinere und eigenständige Universitäten aufgeteilt. Landesweit sind auf diesem Weg 2018 20 neue Universitäten gegründet worden. Ein beträchtlicher Teil der Studierenden absolviert das Studium aufgrund der Überlastung der türkischen Hochschulen als Fernstudium. Da die Studierendenzahlen weiter zunehmen, sind zusätzliche Universitätsgründungen geplant (DAAD-Ländersachstand Türkei 2020).
Die derzeit 185 türkischen Hochschulen gliedern sich in 129 staatliche, 72 Stiftungsuniversitäten und fünf Vakıf MYO (Meslek Yüksek Okulu). Letztere sind nicht-staatliche Berufshochschulen, die einen zweijährigen Ausbildungsgang anbieten. Die staatlichen Universitäten in der Türkei sind für türkische Studierende im Bachelor- und Masterstudium gebührenfrei. Stiftungsuniversitäten verlangen dagegen hohe Studiengebühren von circa 20.000 bis 105.000 Türkischen Lira pro Studienjahr (DAAD-Ländersachstand Türkei 2020).
Türkische Studierende aus einkommensschwachen Familien können sich für Stipendien der Turkish Education Foundation (Türk Egitim Vakfi, TEV) bewerben. Diese im Jahr 1967 gegründete unabhängige Stiftung fördert die Berufsausbildung und die Hochschulstudien von begabten Schulabsolventinnen und -absolventen an technischen und berufsbildenden Gymnasien, Fachhochschulen und Universitäten.
In der Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren verfügen in der Türkei knapp 40 Prozent über einen Abschluss im Tertiärbereich. Damit liegt die Türkei zwar noch unter den OECD-Durchschnittswerten (45,9 Prozent), hat aber bereits Deutschland überholt. Allerdings ist der Anteil der Abschlüsse in den Kurzzeitstudiengängen hoch, über einen Bachelor, Master- oder Promotionsabschluss verfügen nur 25 Prozent der jungen Erwachsenen (siehe Bildungsindikatoren sowie OECD Education at a Glance (2020), Abbildung A1.6, Daten und Grafik).
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Forschungs- und Innovationssystem
Ähnlich wie bei der Hochschulbildung zeichnet sich auch im Bereich Forschung und Innovation in der Türkei eine dynamische Entwicklung ab. Die FuE-Intensität, das heißt der Anteil der gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt, hat sich zwischen 2002 (0,5 Prozent) und 2022 (1,3 Prozent) mehr als verdoppelt. Allerdings liegt die Türkei damit immer noch deutlich unter dem OECD-Durchschnittswert von 2,7 Prozent. Im selben Zeitraum hat sich die Anzahl der Forschenden (Vollzeitäquivalente, VZÄ) in der Türkei von 24.000 (2002) auf 215.000 Forschende (2022) beinahe verzehnfacht (siehe FuE-Indikatoren).
Mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Höhe von 43,136 Milliarden USD (kaufkraftbereinigt; inflations- und kaufkraftbereinigt: 36,987 Milliarden USD, Bezugsjahr 2022) belegt die Türkei im weltweiten Vergleich nun etwa Rang 11. Dabei platziert sich die Türkei hinter Russland (für das allerdings bei der OECD nur Daten bis 2020 vorliegen). Weiterhin liegt die Türkei fast gleichauf mit Italien auf Rang 10 (kaufkraftbereinigt: 43,5 Milliarden; inflations- und kaufkraftbereinigt: 31,7 Milliarden) und Kanada auf Rang 12 (kaufkraftbereinigt: 41,3 Milliarden; inflations- und kaufkraftbereinigt: 32,4 Milliarden). Die Türkei hat somit in den vergangenen Jahren viele europäische Länder (Schweiz, die Niederlande und Spanien) klar überholt.
In Bezug auf die absolute Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen belegt die Türkei 2023 im globalen Vergleich Rang 15 (Quelle: SCImago. SJR – SCImago Journal & Country Rank. Data retrieved April 26, 2024, from www.scimagojr.com). Innerhalb der MENA-Region (Nahost und Nordafrika) liegt die Türkei damit auf dem Spitzenrang und hat auch den Iran überholt. Sofern man sich allerdings auf die FuE-Intensität (siehe oben) und die Zitationshäufigkeit der Publikationen (gemessen am H-Index) konzentriert, liegt Israel innerhalb der MENA-Region klar an erster Stelle.
Im Global Innovation Index (GII) 2023 werden Innovationsleistungen der Länder weitgehend unabhängig von absoluten Größenordnungen bewertet: Hier konnte sich die Türkei im weltweiten Vergleich innerhalb von zwei Jahren von Rang 51 auf Rang 39 verbessern. Damit liegt die Türkei in der MENA-Region hinter Israel (Rang 14) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (Rang 32), aber knapp vor Saudi-Arabien (Rang 41).
Der Forschungs- und Technologierat der Türkei TÜBİTAK (Scientific and Technological Research Council of Türkiye; Türkiye Bilimsel ve Teknolojik Araştırma Kurumu), der 1963 gegründet worden war, wurde 2011 aus der Zuständigkeit des Premierministers herausgelöst und dem damals neu gegründeten Ministerium für Forschung, Industrie und Technologie unterstellt. Seit Juli 2018 operiert das Ministerium unter der Bezeichnung Ministerium für Industrie und Technologie (Sanayi ve Teknoloji Bakanlığı, Internetauftritt in Türkisch).
Die Unternehmen in der Türkei liegen in Bezug auf ihre Anteile an Finanzierung und Durchführung zwar noch unter den OECD-Durchschnittswerten, sie sind aber vor den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen an erster Stelle platziert (siehe FuE-Indikatoren). Knapp 60 Prozent der Ausgaben fallen in dem Sektor Industrielle Fertigung an, knapp 40 Prozent bei den Dienstleistungen. Die aktivste Fertigungsbranche ist Computer, Elektronik und Optik mit FuE-Ausgaben von 1,9 Mrd. USD, gefolgt vom Fahrzeugbau (1,45 Mrd. USD). Die FuE im Sektor Dienstleistungen ist stark auf Computerprogrammierung mit FuE-Ausgaben von 3,3 Mrd. USD konzentriert (Quelle: Daten für 2017, OECD Research and Development Expenditure in Industry 2019). Unter den weltweit 2.500 größten FuE-Investoren finden sich 2021 sieben Unternehmen, die ihren Hauptsitz in der Türkei haben. Das bestplatzierte Unternehmen ist das Elektronikunternehmen Aselsan Elektronik Sanaysi Ve Ticaret, das mit FuE-Ausgaben von 149 Mio. Euro auf Rang 855 liegt (Quelle: 2021 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, IRI, Anm.: FuE-Ausgaben je Unternehmen im IRI umfassen Ausgaben für Aktivitäten im Hauptsitzland, aber auch allen anderen Ländern). Außerdem führen mehr als 100 Unternehmen, die ihren Hauptsitz im Ausland haben, FuE in der Türkei durch, darunter Mercedes-Benz, Huawei, Socar und Bosch. Der türkische Staat unterstützt die Einrichtung ausländischer FuE-Laboratorien seit 2014 durch ein spezielles Programm, unter dem beispielsweise Ericsson Unterstützung erhält (Quelle: Industrie- und Technologiestrategie 2019-23, S. 19, siehe unten).
Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen spielen in der Türkei insgesamt eine untergeordnete Rolle. Der wichtigste Träger ist dabei der Forschungs- und Technologierat der Türkei TÜBİTAK (siehe oben), der 1972 damit begonnen hatte, das Marmara Research Centre (TÜBİTAK MAM) für industrienahe Forschung mit Sitz in Gebze aufzubauen. Heute umfasst das Zentrum insgesamt sieben Institute, die zu Geo- und Marinewissenschaften, Materialwissenschaften, Energie, umweltschonendere Produktion, chemischen Technologien, Biotechnologie sowie zu Lebensmitteln forschen. 2010 wurden zwei Institute aus dem Marmara-Zentrum herausgelöst und einem neuen Forschungszentrum für Informations- und Kommunikationstechnologien (TÜBİTAK BILGEM), ebenfalls mit Sitz in Gebze, zugeordnet. Die TÜBİTAK-Institute führen Auftragsforschung für die Industrie durch und stellen zusätzliche Dienstleistungen bereit. Außerhalb der beiden Zentren gibt es noch einige weitere TÜBİTAK-Forschungsinstitute, so beispielsweise die TÜBİTAK-Sternwarte (TÜBİTAK National Observatory, TUG) und ein Institut für Raumfahrttechnologie (Space Technologies Research Institute, UZAY).
Die Hochschulen dominieren den öffentlichen Sektor bei der Durchführung von FuE. Während sich private (überwiegend profitorientierte) Hochschulen in anderen Ländern häufig auf die Lehre konzentrieren, sind die privaten gemeinnützigen Stiftungsuniversitäten in der Türkei bei der FuE-Finanzierung und der FuE-Durchführung sehr aktiv.
Internationale Hochschulrankings können Anhaltspunkte zu Forschungs- und Innovationsstärken ausgewählter Hochschulen geben. In dem Times Higher Education - World University Ranking 2021 „Best for Research“ liegen zwei Stiftungsuniversitäten mit internationaler Ausrichtung innerhalb der Türkei ganz vorne: die 1993 gegründete Koç University (weltweit Rang 401-500) sowie die junge Sabancı University, die seit 1999 Studierende aufnimmt. Dazu kommen drei staatliche Universitäten: die Yildiz Technical University, die Istanbul Technical University (ITU), mit dem Gründungsjahr 1773 eine der ältesten technischen Hochschulen der Welt, sowie die Istanbul University, die ihre Wurzeln bis 1453 zurückverfolgen kann. Sämtliche Hochschulen, die aktuell unter den Top 5 gerankt werden, haben ihren Sitz in Istanbul.
Die ITU sowie die Istanbul University gehören auch zu den zehn Universitäten, die im September 2017 vom türkischen Staatspräsidenten im Beisein des Hochschulrats YÖK zu Forschungsuniversitäten ausgerufen und in diesem Zuge mit weiteren Fördermitteln ausgestattet worden sind. Die anderen designierten Forschungsuniversitäten sind die Ankara University, Boğaziçi University, Erciyes University, Gazi University, Gebze Technical University, Hacettepe University, das Izmir Institute of Technology sowie die Middle East Technical University (ODTÜ - Orta Doğu Teknik Üniversitesi, siehe DAAD-Ländersachstand Türkei 2020).
2018 wurden etwa 1,9 Prozent der FuE-Ausgaben an den Hochschulen durch Unternehmen finanziert, die Türkei liegt damit trotz steigender Tendenz noch deutlich unter den OECD-Durchschnittswerten (siehe FuE-Indikatoren). Mit dem Technologieentwicklungszonen-Gesetz von 2001 hat die Türkei wirksame steuerliche Anreize für die Gründung von Technologieparks geschaffen. Diese führen Hochschulen und Unternehmen an einem Ort zusammen und bilden so eine Grundlage für Wissens- und Technologietransfer zwischen öffentlichem und privaten Sektor (dazu Europäische Kommission - OECD STIP COMPASS, im Folgenden STIP COMPASS). Im Februar 2022 gab es 76 aktive Technologieparks in der Türkei, während 16 weitere bereits in Planung waren. Über 7.500 Unternehmen führen in den Parks FuE-Aktivitäten durch (Webseite ODTÜ zu Technologieparks). Seit 2010 haben sich zahlreiche Parks in der Association of Technology Parks in Türkiye (TGBD) zusammen geschlossen (Überblick Mitglieder TGBD).
Die türkischen Unternehmen erhalten für die Durchführung von FuE neben Steuererleichterungen vergleichsweise großzügige staatliche Zuschüsse (siehe FuE-Indikatoren).
Für die wettbewerbliche Förderung von FuE in Hochschulen und Unternehmen ist TÜBİTAK die wichtigste Einrichtung. Dieser leistet sowohl Personen- als auch Projektförderung und ist sowohl für Grundlagenforschung als auch für anwendungsbezogene FuE zuständig. Insgesamt förderte TÜBİTAK im Jahr 2018 über 17.000 Projekte mit Fördermitteln von umgerechnet ca. 260 Mio. Euro. Seit 2014 bietet TÜBİTAK eine Förderung für ausländische Unternehmen an, die in der Türkei Laboratorien aufbauen möchten („Frontier R&D Laboratories Support Programme", siehe Zusammenfassung im STIP COMPASS).
Eine spezielle Fördereinrichtung für kleine und mittlere Unternehmen ist KOSGEB (Small and Medium Enterprises Development Organization of Türkiye; T.C. Küçük ve Orta Ölçekli İşletmeleri Geliştirme ve Destekleme İdaresi Başkanlığı), das wie TÜBİTAK ebenfalls dem Ministerium für Industrie und Technologie unterstellt ist.
Die Technology Development Foundation of Türkiye (TTGV) wurde im Jahre 1991 gegründet, um die von der Weltbank erhaltenen Mittel für die Entwicklung der Technologie in der Türkei zweckmäßig einzusetzen. Heute ist TTGV eine private gemeinnützige Einrichtung, welche die Etablierung von technologiebezogenen Startups und die Expansion von Technologieunternehmen fördert.
Auch die türkischen Fachministerien, wie zum Beispiel das Umweltministerium und das Verkehrsministerium vergeben wettbewerbliche Förderung für FuE. Der angelsächsischen Tradition folgend hat die türkische Regierung 2019 mit TÜSEB (Health Institutes of Türkiye; Türkiye Sağlık Enstitüleri Başkanlığı) eine eigene Förderorganisation für Gesundheitsforschung geschaffen, die dem Gesundheitsministerium untersteht. Ein Schwerpunkt ist die Förderung und Stärkung der Infrastrukturen im Bereich der Arzneimittelforschung und -entwicklung, der Bioinformatik und der medizinischen Geräte (siehe dazu STIP COMPASS).
Strategische Ausrichtung
Der Forschungs- und Technologierat TÜBİTAK, der FuE sowohl fördert als auch durchführt, übt zusätzlich eine beratende Funktion für die Forschungs- und Innovationspolitik aus. TÜBİTAK fungierte als Sekretariat für den Supreme Council for Science and Technology (SCST), der zwischen 1989 und 2018 das zentrale Koordinierungs- und Entscheidungsgremium in der Türkei war. Im Juli 2018 wurde der SCST durch den neuen STIPC (Science, Technology and Innovation Policies Council; Bilim, Teknoloji ve Yenilik Politikaları Kurulu, BTYPK) ersetzt (siehe dazu STIP COMPASS). Der STIPC ist als hochrangiges Koordinierungsgremium direkt dem türkischen Präsidenten unterstellt. Zu seinen Aufgaben gehört es, Synergien zu stiften, Doppelarbeit zu vermeiden und Politiken und Strategien unter einem gemeinsamen Rahmen zusammenzuführen.
Der STIPC hat im September 2019 einen übergeordneten strategischen Rahmen für türkische Richtlinien, Strategien und Politiken für Wissenschaft, Technologie und Innovation angenommen. Unter der Nationalen Wissenschafts-, Technologie- und Innovationsstrategie und dem Innovationsaktionsplan (National Science, Technology and Innovation Strategy & Action Plan; Bilim, Teknoloji ve Yenilik Politikaları ve Stratejileri Çerçevesi) strebt die türkische Regierung an, die gesellschaftliche und ökonomische Wirkung von FuE und Innovation zu verstärken, Abhängigkeiten vom Ausland zu verringern, hochrangige, innovative Lösungen zu entwickeln, die der Türkei im Vergleich zum Ausland einen Vorteil verschaffen, FuE-Infrastrukturen auszubauen und das Innovationsökoystem zu entwickeln (siehe Zusammenfassung im STIP COMPASS).
Das Ministerium für Industrie und Technologie legt strategische Ziele in sogenannten Strategischen Plänen fest (Übersicht). Diese basieren auf
- dem Elften Entwicklungsplan vom Juli 2019 (11th Development Plan of Turkey 2019-23, Zusammenfassung im STIP COMPASS; Langfassung in Türkisch: On Birinci Kalkınma Planı) und
- der Industrie- und Technologiestrategie 2023 (Industry and Technology Strategy 2023, Zusammenfassung im STIP COMPASS; Langfassung in Türkisch: 2023 Sanayi ve Teknoloji Stratejisi). Übergreifende Mission der Strategie ist es, die Türkei bis 2023 zu einem der weltweit führenden Industrieländer zu machen und dazu die technologische Kapazität stark auszubauen, Importe zu beschränken und Exporte auszubauen (Nationaler Technologieumzug; Milli Teknoloji Hamlesi).
Eine Reihe spezifischer quantifizierbarer Ziele für 2023 sind in der Industrie- und Technologiestrategie 2023 (S. 28) sowie im Strategischen Plan 2019-23 (S. 4) enthalten, darunter auch einige mit FuE-Bezug: Demnach soll die FuE-Intensität, die 2017 bei 1 Prozent lag, auf 1,8 Prozent gesteigert werden. Die Anzahl der Forschenden lag 2017 bei knapp 112.000 und die des FuE-Personals bei 153.000 (Vollzeitäquivalente, VZÄ, vgl. FuE-Indikatoren). Diese Anzahl soll bis 2023 auf 200.000 bzw. 300.000 anwachsen und sich somit fast verdoppeln. Unter den weltweit 2.500 größten FuE-Investoren waren 2018/19 fünf Unternehmen mit Hauptsitz in der Türkei platziert (siehe oben), bis zum Jahr 2023 wird eine Platzierung von 23 Unternehmen angestrebt.
Die Industrie- und Technologiestrategie 2023 (S. 72) kündigt weiterhin einen Ausbau der Förderprogramme von TÜBİTAK an und hebt besonders das „Industry PhD Support Programme“ hervor, an dem sich 77 türkische Hochschulen beteiligen. Bisher wurden über 600 Promovierende entsprechend den Bedürfnissen der Industrie ausgebildet. Mit Hilfe des Deneyap-Programms sollen bereits Schülerinnen und Schüler der Primar- und Sekundarstufe im Alter von 9-17 Jahren eine dreijährige Schulung zu Technologien erhalten („Try it-Do Technology – the Project for 100 Workshops in 81 Provinces“, dazu STIP COMPASS). Angekündigt wird darüber hinaus auch die Schaffung eines Artificial Intelligence Institute als Teil von TÜBİTAK, das Projekte zur Künstlichen Intelligenz durchführen soll (S. 77).
Mit der Industrie- und Technologiestrategie 2023 verfolgt das Ministerium für Industrie und Technologie das Ziel, die Wertschöpfungsproduktion in der Industrie durch die Unterstützung von kritischen Technologien zu verbessern. Dazu kündigt die Strategie (S. 35) sektorale Roadmaps an, die sich an den Bedürfnissen und Dynamiken der Wirtschaft orientieren sollen, darunter 5G-Schlüsseltechnologie, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, Robotik und Autonomie, Internet der Dinge („Internet of Things“), Big Data und Datenanalyse, Cybersicherheit, Blockchain, additive Fertigung, Super Performance Computing, unbemannte Luftfahrt, Weltraumtechnologien, Nanotechnologien, Biotechnologien, Agrartechnologien sowie Energietechnologien.
Weitere Informationen
Links/Institutionen
- EC-OECD STIP COMPASS: Türkei – Länderinformationen zur Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik
- Türkei: Ministerium für Industrie und Technologie
- Türkei: TÜBITAK - Scientific and Technological Research Council of Türkiye
- Türkei: KOSGEB - Small and Medium Enterprises Development Organization of Türkiye
- Türkei: TGBD - Association of Technology Parks in Türkiye
Indikatoren für Bildung
Indikator |
Türkei |
Deutschland |
OECD-Gesamt |
Stand |
---|---|---|---|---|
Bildungsanteil am Bruttoinlandsprodukt: Bildung insgesamt [Prozent] |
4,73 |
4,60 |
5,10 |
2020 |
Wachstum des Bildungsanteils am BIP (Differenz des BIP-Bildungsanteils zu dem des Vorjahres) [Prozent] |
-0,51 |
0,26 |
0,19 |
2020 |
Bildungsanteil am Bruttoinlandsprodukt: tertiäre Bildung [Prozent] |
1,54 |
1,34 |
1,50 |
2020 |
Öffentlicher Anteil an den Ausgaben für tertiäre Bildung [Prozent] |
68,81 |
82,50 |
67.13 |
2020 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender aus dem Land [Prozent]* |
0,65 |
4,19 |
2,09 |
2021 |
Anzahl Studierender im Tertiärbereich insgesamt [Mio.] |
8,281 |
3,352 |
- - |
2021 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Studierender im Land [Prozent]** |
2,71*** |
11,23 |
6,44 |
2021 |
Anzahl Promovierender insgesamt |
145.746 |
192.270 |
- - |
2021 |
Anteil internationaler abschlussorientierter Promovierender im Land [Prozent]** |
6,70*** |
22,48 |
23,61 |
2021 |
Anteil 25- bis 34-Jähriger mit einem Abschluss im Tertiärbereich [Prozent] |
41,25 |
37,28 |
47,23 |
2022 |
Anteil an neuen Studienabschlüssen in Mathematik, Statistik und Naturwissenschaften [Prozent] |
2,22 |
7,99 |
5,28 |
2021 |
Anteil an neuen Studienabschlüssen in Ingenieurswissenschaften, Fertigung und Konstruktion [Prozent] |
11,36 |
22,21 |
13,68 |
2021 |
PISA-Ergebnisse: Lesen [Punktzahl (Platzierung)] |
456 (36) |
480 (21) |
472 |
2022 |
PISA-Ergebnisse: Mathematik [Punktzahl (Platzierung)] |
453 (39) |
475 (24) |
485 |
2022 |
PISA-Ergebnisse: Naturwissenschaften [Punktzahl (Platzierung)] |
476 (34) |
492 (22) |
476 |
2022 |
Weitere Informationen
Links/Institutionen
FuE-Indikatoren
Indikator |
Türkei |
Deutschland |
OECD |
Stand |
---|---|---|---|---|
Nationale FuE-Ausgaben [Mio. USD**] |
36.987 |
131.834 |
1.707.033 |
2022/2022/2022 |
FuE-Ausgabenwachstum im Vergleich zum Vorjahr [Prozent] |
-0,39 |
1,92 |
4,03 |
2022/2022/2022 |
Nationale FuE-Ausgaben [Mio. USD*] |
43.136 |
174.857 |
2.105.709 |
2022/2022/2022 |
FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) [Prozent] |
1,32 |
3,13 |
2,73 |
2022/2022/2022 |
Anteil der FuE-Ausgaben des Staates am BIP [Prozent] |
0,43 |
0,94 |
0,62 |
2022/2021/2021 |
Anteil der FuE-Ausgaben der Wirtschaft am BIP [Prozent] |
0,66 |
1,96 |
1,77 |
2022/2021/2021 |
Ausgaben für FuE in Unternehmen (BERD) [Mio. USD*] |
26.495 |
117.799 |
1.552.993 |
2022/2022/2022 |
Anteil der öffentlich finanzierten Ausgaben für FuE in Unternehmen (direkter Förderanteil) [Prozent] |
17,28 |
3,52 |
4,46 |
2022/2021/2021 |
Anteil der vom Ausland finanzierten Ausgaben für FuE in Unternehmen [Prozent] |
1,47 |
7,90 |
8,55 |
2022/2021/2021 |
Ausgaben für FuE in Hochschulen (HERD) [Mio. USD*] |
14.564 |
31.709 |
328.495 |
2022/2022/2022 |
Anteil der unternehmensfinanzierten Ausgaben für FuE in Hochschulen [Prozent] |
0,18 |
13,09 |
6,25 |
2022/2021/2021 |
Ausgaben für FuE in außeruniversitären öffentlichen Forschungseinrichtungen (GOVERD) [Mio. USD*] |
2.076 |
21.163 |
179.168 |
2022/2022/2022 |
Anteil der unternehmensfinanzierten Ausgaben für FuE in außeruniversitären öffentlichen Forschungseinrichtungen [Prozent] |
4,50 |
7,93 |
3,27 |
2022/2021/2021 |
Anzahl der Forschenden (Vollzeitäquivalente) |
215.515 |
484.823 |
6.117.392 |
2022/2022/2021 |
Anzahl der Forschenden (VZÄ) je 1000 Beschäftigte |
7,08 |
10,63 |
9,88 |
2022/2022/2021 |
Anteil der Forschenden (VZÄ) in privaten Unternehmen [Prozent] |
61,60 |
61,50 |
66,80 |
2022/2022/2021 |
Anteil internationaler Ko-Patente an Patentanmeldungen unter dem Vertrag über Patentzusammenarbeit (PCT) [Prozent](1) |
4,2 |
19,3 |
8,2 |
2020 |
Weitere Informationen
FuE-Finanzierung
In den OECD-Ländern mit überwiegend hohem Einkommen finanziert meist die inländische Wirtschaft den größten Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (OECD Gesamt und Deutschland 64 Prozent). Die Anteile betragen für den Staat 24 bzw. 28 Prozent und für das Ausland 7 Prozent (OECD Gesamt und Deutschland).
Wie zu erwarten, ist in der Türkei, einem Land mit mittlerem Einkommen (Einteilung Weltbank), der Anteil der inländischen Wirtschaft noch etwas geringer als im OECD-Raum bzw. in Deutschland. Jedoch ist die türkische Wirtschaft bereits seit 2007 vor dem Staat die wichtigste Finanzierungsquelle. Das Land bewegt sich somit klar in Richtung OECD-Modell. Auffällig in der Türkei ist der große Anteil privater gemeinnütziger Finanzierung und Hochschulfinanzierung von 12,4 Prozent: Nach den Zahlen der UNESCO für 2017 geht der Anteil fast ausschließlich auf die türkischen Hochschulen zurück. Offenbar investieren die privaten Stiftungsuniversitäten der Türkei erhebliche Erträge aus Stiftungsvermögen und/oder Studiengebühren in die Finanzierung von FuE (2017: knapp 2,9 Mrd. USD, Quelle: Statistik-Institut der UNESCO, 9. Juni 2022).
FuE-Durchführung
Bei der Durchführung von Forschung und Entwicklung nehmen die Unternehmen in den OECD-Ländern meist eine dominante Rolle ein (Anteile für Deutschland und OECD Gesamt liegen bei 67 und 71 Prozent). Die Unternehmen in der Türkei haben noch etwas kleinere Anteile, liegen jedoch an erster Stelle.
Im öffentlichen Sektor sind der OECD-Raum und in geringerem Maße auch Deutschland hochschulzentriert (Verhältnis von GOVERD zu HERD von etwa 35 : 65 bzw. 45 : 55). Im öffentlichen Forschungssektor in der Türkei dominieren die Hochschulen noch stärker gegenüber den außeruniversitären öffentlichen Forschungseinrichtungen (Verhältnis von GOVERD zu HERD von etwa 20 : 80 bzw. 1 : 4).