StartseiteAktuellesNachrichtenChinesische Belt and Road Initiative: "Nature"-Reportage zu Auswirkungen auf die Wissenschaft

Chinesische Belt and Road Initiative: "Nature"-Reportage zu Auswirkungen auf die Wissenschaft

Berichterstattung weltweit

Die Belt and Road Initiative (BRI) der chinesischen Regierung nimmt – neben Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft – erheblichen Einfluss auf Wissenschaft und Forschung in der ganzen Welt. Das Magazin "Nature" hat die Auswirkungen in einer fünfteiligen Artikelserie aufbereitet.

Seit 2013 verfolgt China die Belt and Road Initiative (BRI) zum Auf- und Ausbau von Infrastruktur und interkontinentalen Handelsströmen, mittlerweile sind über 100 Länder dem Plan beigetreten. Bis zum Jahr 2049 – dem 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik – soll das Projekt abgeschlossen sein. In einer mehrteiligen Reportage hat "Nature" erste Auswirkungen der BRI auf die beteiligten Staaten porträtiert. Neben wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden insbesondere die Konsequenzen für Wissenschaft und Forschung beleuchtet.

Im ersten, einleitenden Abschnitt der Serie werden allgemeine strategische Eckpunkte der BRI und beispielhafte Vorhaben in Asien, Europa, Südamerika und Afrika grob skizziert, die in den Teilen 2-5, je mit Fokus auf eine Weltregion, detaillierter nachgezeichnet werden. Danach besteht eine enge Verzahnung der von China angestoßenen Wirtschafts- und Infrastrukturprojekte mit Wissenschaftskooperationen; Letztere flankieren etwa den Ausbau von Schienen- und Wasserwegen und fördern den Austausch von technischem und regionalspezifischem Know-how.

Eine wichtige Rolle nimmt dabei die Chinesische Akademie der Wissenschaften (Chinese Academy of Sciences - CAS) ein, die in Kooperation mit der World Academy of Sciences (TWAS) jährlich 200 Stipendien für Doktorandinnen und Doktoranden vergibt, die dazu befähigt werden sollen, wissenschaftliche Fragestellungen in ihren Heimatländern zu behandeln. Insgesamt hat die Chinesische Akademie der Wissenschaften bislang rund 268 Mio. US-Dollar für Forschungsprojekte im Rahmen der BRI ausgegeben und weltweit neun Forschungs- und Ausbildungszentren eröffnet.

Neben der Chinesischen Akademie der Wissenschaften engagieren sich weitere Forschungseinrichtungen und Hochschulen aus China weltweit. Sie bieten wissenschaftliche Unterstützung an und schließen Kooperationsabkommen mit zahlreichen Partnern – laut "Nature" in einem Ausmaß, dass es seit dem Wettlauf der USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg nicht mehr gegeben hat. Die grundlegende Prämisse Chinas, so Theresa Fallon, Direktorin des Centre for Russia Europe Asia Studies in Brüssel, sei dabei, sowohl wissenschaftlich als auch ökonomisch eine Win-win-Situation herzustellen.

Pakistan und Sri Lanka

Nimmt man die Anzahl der mit aus dem Ausland co-publizierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen als Maßstab, ist China mittlerweile wichtigster Forschungspartner Pakistans – vor Saudi-Arabien und den USA. Mit Blick auf Sri Lanka stehen chinesische Co-Autoren auf einer Stufe mit Indien, hinter den USA, Großbritannien und Australien. In beiden Staaten werden zahlreiche Forschungskooperationen anberaumt, etwa in den Bereichen Genomforschung, Geophysik, Meteorologie und medizinische Chemie.

China unterstützt Pakistan finanziell beim Bau mehrerer Forschungseinrichtungen in Fachgebieten wie Landwirtschaft, Künstliche Intelligenz und Eisenbahnbau. Zwischen zahlreichen staatlichen Universitäten beider Länder bestehen bereits Kooperationen; zuletzt haben die Islamabad National University und China ein gemeinsames Forschungszentrum zu den Themen Umwelt, Klimawandel und Meereswirtschaft errichtet. Jedes Jahr vergibt China 7.000 Promotions- und Master-Stipendien für Studierende aus Pakistan, perspektivisch soll diese Zahl auf 20.000 erhöht werden. Aktuell sind bereits 28.000 Studentinnen und Studenten aus Pakistan an chinesischen Hochschulen eingeschrieben, weitere 6.000 arbeiten dort an ihrer Promotion. Des Weiteren findet Mandarin als optionale Fremdsprache verstärkt Einzug in das pakistanische Schulsystem. Aufgrund dieser Entwicklungen sei nach Auffassung der Autoren davon auszugehen, dass sich wissenschaftliche Kollaborationen des Landes langfristig von Ländern wie den USA und Großbritannien nach China verlagern.

Auf Sri Lanka führen Wissenschaftler der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Partner vor Ort ein gemeinsames Forschungsprojekt zur Meeresforschung durch. Dabei profitiert der Inselstaat von der technischen Expertise Chinas; im Gegenzug erhält die Chinesische Akademie der Wissenschaften Zugriff auf sämtliche Wetter-, Klima- und Meeresdaten, die dazu genutzt werden sollen, eine globale Klimadatenbank aufzubauen. Weitere Projekte befassen sich mit Nierenerkrankungen auf Sri Lanka und der lokalen Wasseraufbereitung, bei der China technische und finanzielle Unterstützungsleistungen bietet.

Die befragten Forscherinnen und Forscher in Pakistan und Sri Lanka sehen die Belt and Road Initiative für ihr Land vorwiegend positiv, kritisieren aber die bisweilen hohen finanziellen Risiken, die mit den Kooperationen einhergehen, und bemängeln fehlende Transparenz und Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Trotzdem überwögen die Vorteile, langfristig ergebe sich durch die Zusammenarbeit mit China im Rahmen der BRI die Perspektive auf viele gutausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Europa

In Europa, so die Autoren, richtet sich der Fokus der Belt and Road Initiative auf wirtschaftlich schwächere Staaten, vor allem in Mittel- und Osteuropa; zuletzt hat auch Italien ein entsprechendes Kooperationsabkommen unterzeichnet. Auch außerhalb der BRI strebt China Kooperationen in Europa an. So steht etwa das China-Belgium Technology Center mit einem Investitionsvolumen von 224 Mio. US-Dollar, in dem 17 High-Tech-Firmen aus China und Belgien Büros und Forschungslabore erhalten werden, kurz vor der Fertigstellung. In dem gemeinsamen Technologiepark soll Forschung in den Bereichen Medizintechnik, pharmazeutische Produkte, Krebsforschung, Solaranlagen und 3D-Druck durchgeführt werden.

Für Staaten, die mit der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte, Korruption und nicht ausreichender finanzieller Unterstützung in Forschung und Entwicklung zu kämpfen haben, ist das Geld aus China eine vielversprechende Möglichkeit, die eigene Wirtschaft voranzutreiben. Beispielsweise finanzieren chinesische Unternehmen in Bulgarien den Bau einer energieeffizienten "Smart City" nahe Sofia. In Budapest, das sich selbst als "Chinas Partner Nummer eins in Zentraleuropa" sieht, wurde 2017 das China-CEE Institute eröffnet, das die Forschungszusammenarbeit und den akademischen Austausch zwischen China und zentral- und osteuropäischen Staaten fördern soll.

Organisiert werden die BRI-Aktivitäten durch die 2012 ins Leben gerufene 16+1 Gruppe (offiziell: Cooperation between China and Central and Eastern European Countries, China-CEEC), die nahezu alle Länder Ost- und Mitteleuropas auf einer Achse von Estland über Tschechien bis nach Albanien umfasst und bis 2018 über 270 Projekte koordiniert hat. Unter den 16 Staaten sind elf Mitglied der Europäischen Union. Kritiker fürchten daher, dass China die Einigkeit innerhalb der EU untergräbt.

Insgesamt zeigen sich die europäischen Gesprächspartner vergleichsweise kritisch hinsichtlich der BRI. Ähnlich wie in Pakistan und Sri Lanka wird fehlende Transparenz über die Arbeitsweise der Institute beklagt. Im Zuge des Engagements von Huawei steigt die Sorge vor Überwachung durch die chinesische Regierung und Geheimdienste. Zudem wird seit der Übernahme des Roboterherstellers KUKA durch die chinesische Firma Midea befüchtet, dass wichtiges Know-how und Schlüsseltechnologien nach China abfließen könnten. Bislang machen Kooperationen mit China aber einen vergleichsweise geringen Teil ausländischer Investitionen in den BRI-Staaten aus: In den Balkanländern etwa hat China einen Anteil von 11 Prozent an allen ausländischen Investitionen, die EU über 70 Prozent.

Südamerika

Mit Blick auf Südamerika thematisiert die Reportage insbesondere die chinesischen Aktivitäten mit Bezug zu Astronomie und Raumfahrt. So hat 2013 das Chinese Academy of Sciences’ South America Center for Astronomy (CASSACA) in der chilenischen Hauptstadt seine Arbeit aufgenommen. Es verfügt über ein Jahresbudget von 1,5 Mio. US-Dollar und soll in Zukunft für Kooperationen mit weiteren südamerikanischen Staaten ausgebaut werden. Ebenfalls über die Zusammenarbeit mit Chile erhält die Volksrepublik Zugriff auf das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) – ohne Mitglied im Observatorium zu sein und damit ohne vorherige Vertragsverhandlungen mit allen beteiligten Partnern.

Im argentinischen Teil von Patagonien wurde 2012 ein von China mit 50 Mio. US-Dollar finanziertes Raumfahrtkontrollzentrum eingerichtet, das bei der Landung des chinesischen Rovers auf der erdabgewandten Seite des Mondes Anfang des Jahres von Bedeutung war. In Brasilien hat 2014 das Nationale Institut für Raumfahrtforschung (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais - INPE) in Zusammenarbeit mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften das China-Brazil Joint Laboratory for Space Weather eingeweiht.

Auch aus Sicht vieler südamerikanischer Forscherinnen und Forscher verlaufen die Entwicklungen in der Kooperation mit China wenig transparent. Mónica Rubio, Präsidentin der Chilean Society of Astronomy, merkt an, dass die Zusammenarbeit mit China aufgrund der personellen wie finanziellen Ressourcen sowie der langfristigen Vision, die das Land einbringt, zwangsläufig asymmetrisch abläuft. Dem chilenischen Astrophysiker Gaspar Galaz zufolge kommt das chinesische Vorgehen einem Kulturschock gleich: Während sich die Zusammenarbeit mit europäischen oder nordamerikanischen Einrichtungen auf Diskussionen, Machbarkeitsstudien und den Austausch mit Regierungsvertretern stütze, steuere China seine Projekte Top-down.

Afrika

Der afrikanische Kontinent spielt für die Belt and Road Initiative eine herausgehobene Rolle, wie die Autoren betonen. 39 Staaten sind derzeit Mitglied der BRI, weitere sollen folgen. Der wissenschaftlich-technologische Schwerpunkt seitens Chinas liegt in Afrika auf Landwirtschaft, Bildung und IKT. So hat beispielsweise Huawei mehr als die Hälfte des afrikanischen 4G-Netzes errichtet.

Mit Unterstützung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften wurde im November 2018 in Kenia das Sino-African Joint Research Centre eröffnet, das mittlerweile als Blaupause für weitere geplante Einrichtungen in ganz Afrika herangezogen wird. In dem Forschungszentrum werden spezielle Trauben gezüchtet, die warmem, semi-aridem Klima standhalten und dazu genutzt werden sollen, eine Weinindustrie im Land zu etablieren. Zusätzlich hat die Chinesische Akademie der Wissenschaften spezielle Reissorten entwickelt, mit denen ein höherer Ertrag als bislang erzielt werden kann.

Aus allen afrikanischen Staaten zusammengerechnet waren 2016 62.000 Studierende und Postgraduierte an chinesischen Universitäten eingeschrieben. Damit wird die Volksrepublik immer wichtiger für die Ausbildung des afrikanischen Forschungsnachwuchses. Inzwischen hat der Chinesische Sprachrat 59 Konfuzius-Institute in ganz Afrika eröffnet, um die chinesische Sprache und Kultur zu vermitteln – nur Frankreich hat mehr Kultureinrichtungen auf dem Kontinent. Zusätzlich wird Mandarin in mehreren Ländern – darunter Südafrika, Uganda und Kenia – an Sekundarschulen unterrichtet.

Im Gegensatz zu den teils kritischen Einschätzungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Europa, Asien und Südamerika wird das chinesische Engagement in den afrikanischen Ländern sehr positiv bewertet. "Africa is a rising star, but the Chinese have been a helping hand, and are helping us get to where we’d like to be, sooner", fasst Robert Gituru, Direktor des Sino-African Joint Research Centre, zusammen.

Fazit

Durch die intensiven wissenschaftlichen Investitionen Chinas in den BRI-Ländern verschiebt sich auch die Zukunftsperspektive der Forscher auf einem Großteil der Welt, so die Autoren. China hat sich als wissenschaftlicher Partner der Wahl für einen großen Teil der Entwicklungsländer erwiesen. Während frühere Generationen von Forschern aus Afrika, Asien und teilweise Südamerika in westlichen Ländern ausgebildet wurden und dorthin ihre wissenschaftlichen Bezüge hatten, zeichnet sich ein zunehmender Wandel ab: Junge Forschende, die nach ihrer Promotion oder ihrer Postdoc-Anstellung aus China zurückkehren, haben kaum Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus westlichen Staaten. China nimmt damit eine immer wichtigere Rolle in der globalen Forschungs- und Wissenschaftslandschaft ein.

Die vollständige Artikelserie

Quelle: Nature Redaktion: von Alexander Bullinger, VDI Technologiezentrum GmbH Länder / Organisationen: China Global Themen: sonstiges / Querschnittsaktivitäten

Weitere Informationen

Das Schmuckbild zeigt eine erleuchtete Stadt aus der Vogelperspektive bei Nacht.

© kwanchaift/Fotolia

Projektträger