Nach der britischen Außenstelle des DAAD feiert in diesem Jahr auch die in Brasilien ein bemerkenswertes Jubiläum. Genau genommen wurde die DAAD-Vertretung in Rio de Janeiro unter Leitung von Friedhelm Schwamborn schon 1971 eingerichtet. Erst 1972 nahm sie jedoch ihren Geschäftsbetrieb voll auf. Die Eröffnung war ein Novum für den DAAD, denn es war seine erste Außenstelle überhaupt in der südlichen Hemisphäre.
Brasilien ist flächenmäßig der fünftgrößte und gemessen an der Einwohnerzahl der sechstgrößte Staat der Erde und zählt seit langem zu den größten Volkswirtschaften der Welt. 50 Prozent des Bruttosozialprodukts Südamerikas wird hier erwirtschaftet. Brasiliens Gewicht spiegelt sich auch in seiner akademischen Bedeutung wider: Im Ranking der zehn wichtigsten Hochschulen Lateinamerikas sind gleich sieben brasilianische Universitäten vertreten. Der DAAD finanziert deshalb zusätzlich zu seiner Außenstelle acht Lektorate im Land, das südlichste in Porto Alegre und das nördlichste in Belém. Vor zehn Jahren eröffnete der DAAD zudem das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWHI) in São Paulo. Der Standort für das einzige DWIH auf der Südhalbkugel ist sehr bewusst gewählt: In der Stadt und dem gleichnamigen Bundesstaat konzentrieren sich weltweit die meisten Auslandsniederlassungen deutscher Unternehmen.
Hochkarätig besetzte Konferenzen zum Jubiläum
Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum steht vor allem der akademische Austausch. So richtete der DAAD zum Auftakt im August in der Hauptstadt Brasília eine Doppelkonferenz zu den Themen "Nachhaltigkeit" und "Deutsche Sprache" aus, an der neben 80 Fachleuten auch DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks teilnahm.
Ein weiteres Highlight des Jubiläumsjahres war der Tag der offenen Tür im DWIH am 18. Oktober. Im November wird eine weitere, hochkarätig besetzte Konferenz in Porto Alegre stattfinden. Dabei wird der Frage nachgegangen auf welche Weise Menschenrechte eine Brücke zwischen den Kontinenten sein können, kündigt Gastgeberin Claudia Lima Marques vom Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Porto Alegre das Programm an. Auf der Liste der Vortragenden steht zum Beispiel Prof. Dr. Angelika Nußberger, Direktorin der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz an der Universität zu Köln und von 2011 bis 2020 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Außerdem werden Prof. Dr. Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und Mario Brandenburg, Staatsekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das DWIH in São Paulo besuchen.
Brasiliens akademisches System hat gelitten
Doch im Jubiläumsjahr gibt es auch Entwicklungen, die die Feierstimmung dämpfen. Die Sparpolitik der Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro belastet das akademische System des Landes stark – mit Folgen für die Arbeit des DAAD. In Zeiten gekürzter Budgets können brasilianische Hochschulen nicht mehr so häufig als Aktivpartner in internationalen Forschungsprojekten auftreten wie zuvor. An den Hochschulen sind Stellen für Doktorandinnen und Doktoranden knapp geworden, auch viele Stipendienprogramme wurden gekürzt. Dennoch sei das Land nach wie vor attraktiv für Forschende aus Deutschland und vielen anderen Teilen der Welt, glaubt Außenstellenleiter Dr. Jochen Hellmann. Das liege vor allem daran, dass sich – bedingt durch Brasiliens Größe und Vielfalt – gerade hier so viele zukunftsrelevante Fragen wissenschaftlich untersuchen ließen: etwa wie die Biodiversität des Amazonas-Regenwaldes erhalten werden könne. Wie erneuerbare Energien auszubauen seien, die Seuchenprävention in Schwellenländern zu verbessern wäre oder wie sich die Lebensqualität in Megacitys mit vielen Millionen Menschen erhöhen ließe. Mindestens genauso wichtig: Forschende aus aller Welt finden in Brasilien schnell Partner auf wissenschaftlich hohem Niveau. Gleiches gilt für Studierende, für die gerade Metropolen wie Rio oder São Paulo wegen ihrer vielfältigen Kultur und der attraktiven Studienangebote beliebte Ziele sind. Hinzu kommt, dass das riesige Land und seine Lebenskultur den eigenen Horizont vielleicht noch auf eine ganz andere Art erweitern kann als ein Studienjahr in einem europäischen Nachbarland.
Keine Sorgen um den Austausch
Entsprechend optimistisch fällt Hellmanns Zukunftsprognose für die Außenstelle aus. Er mache sich um den Austausch und die Arbeit des DAAD keine großen Sorgen – weder in die eine noch in die andere Richtung. Bei brasilianischen Studierenden sowie Doktorandinnen und Doktoranden sei ein Aufenthalt in Deutschland sehr beliebt. Das zeigt sich auch am Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Porto Alegre. Hier wird nicht nur zu Themen wie Globalisierung, Nachhaltigkeit und kulturelle Diversität geforscht, sondern auch der deutsch-brasilianische Dialog aktiv angeschoben. So gibt es einen Masterstudiengang zu deutschem und europäischem Recht. Der DAAD-Lektor vor Ort bietet neben Informationsveranstaltungen über Austauschmöglichkeiten auch Deutschkurse für Juristinnen und Juristen sowie andere Forschende und Studierende an, die einen Aufenthalt in Deutschland planen. Sie sind oft die besten "Botschafterinnen" und "Botschafter" für den Austausch: Menschen, die Monate oder auch Jahre in Deutschland oder Brasilien verbracht haben, ihr Gastland und dessen Hochschulsystem schätzen gelernt haben – und nun als Lehrende den von ihnen betreuten Studierenden einen ähnlichen Weg empfehlen können. Daher widmet der DAAD anlässlich des Jubiläums 35 dieser Wegbegleiterinnen und -begleiter des Austauschs einen Porträtband. Erzählt werden darin ganz persönliche deutsch-brasilianische Geschichten aus 50 Jahren erfolgreichen DAAD-Engagements für Austausch und Verständigung.