Die Ministerin für Hochschulwesen, Forschung und Innovation, Frédérique Vidal, stellte am 22. November 2017 im Ministerrat ihre Gesetzesvorlage für „Orientierung und Studienerfolg“ (Projet de loi relatif à l’orientation et à la réussite des étudiants) vor. Aus Sicht der Regierung ist eine Neuregelung des Hochschul- und insbesondere Universitätszugangs aufgrund der hohen Abbrecherquoten von bis zu 60 Prozent an den Universitäten, Problemen bei der Studienplatzvergabe und den steigenden Studierendenzahlen nötig.
Der nun vorgelegte Entwurf basiert laut Vidal auf vier Prinzipien:
- Das Abitur bleibt die einzige Zugangsvoraussetzung zum Hochschulstudium und jeder Abiturient dürfe den Weg wählen, den er wünsche. Hier sind vor allem die Universitäten gemeint, da die meisten anderen Hochschulen in Frankreich aufgrund historischer wie rechtlicher Gegebenheiten ihre Studierenden seit jeher selbst aussuchen können.
- Die Begleitung bei der Studienplatzwahl soll intensiviert werden: Im letzten Schuljahr und perspektivisch auch vorher werden die Studienwünsche durch die Klassenräte (Lehrer, Schüler- und Elternvertreter) beratend kommentiert und zwei Lehrer pro Klasse stehen den Schülern direkt beratend zur Seite.
- Personalisierung: Das Lehrpersonal an den Hochschulen erhält das Dossier jedes Studierenden und kann ihm nach der Einschreibung etwa ergänzende Zusatz-Module oder die Verteilung der Kurse auf drei statt vier Jahre vorschlagen, um seine Erfolgschancen zu erhöhen.
- Der Studierende hat das „letzte Wort“: Er entscheidet, ob er die Ratschläge befolgt.
Wie die Tageszeitung Le Monde kommentiert, sei zum jetzigen Zeitpunkt unklar, wie die Schulen die Lehrertandems umsetzen und in welcher Form die Universitäten die Zusatzmodule anbieten können und sollen. Auch lösten die neuen Regeln nicht den großen „Systemfehler“ des französischen Hochschulsystems: Die besten Abiturienten würden sich weiterhin für selektive Studiengänge wie die Vorbereitungsklassen für Grandes Écoles oder private Hochschulen bewerben, so dass die Universitäten vor allem die weniger gut qualifizierten Abiturienten aufnehmen müssen und das zudem mit „zu geringen Mitteln“.
Die bisherige Vergabeplattform APB (Admission Post-Bac) wird zum 15. Januar 2018 durch ein neues System mit dem Namen Parcoursup ersetzt. Dort werden Studienwünsche nicht mehr nach Prioritäten geordnet, so dass ein Bewerber mehrere Studienplätze gleichzeitig vorgeschlagen bekommen kann. Auch können nur noch zehn statt wie bisher 24 Studienplatzwünsche formuliert werden. Die Bewerber sollen bis Mitte Mai eine Antwort erhalten um so mehr Planungssicherheit zu haben.
Wie Vidal im Ministerrat weiter ausführte, nimmt der Staat seine Rolle als „Regulierungsinstanz im Dienst der sozialen Durchmischung und geographischer Mobilität“ ernst: Für Studiengänge können auf Antrag der Hochschule Kapazitätsgrenzen definiert werden. In besonders gefragten Studiengängen sollen in den kommenden fünf Jahren neue Studienplätze geschaffen werden. Pro Studiengang soll es eine Mindestquote an Studienbeihilfe-Empfängern (also Studierender aus einkommensschwachen Familien) geben sowie in den berufsbildenden Kurzstudiengängen eine Mindestquote für Fachabiturienten (bac technologique) und Abiturienten mit einem berufsorientierenden Abitur (bac professionnel). Diese Abiturienten haben ein besonders hohes Risiko, an der Universität zu scheitern, bekommen aber an den beliebten (und selektiven) Kurzstudiengängen selten einen Platz. Es soll ein Studienplatz-Limit für Studierende aus anderen Regionen eingeführt werden, damit Studierende, die in der Nähe ihres Heimatorts studieren möchten, bessere Chancen haben. Für die besten Abiturienten werden überall Studienplätze freigehalten, damit diese Zugang zu Studiengängen erhalten, die sie sich vielleicht gar nicht zugetraut hätten. Und es sei die Verantwortung des Staates, so Vidal, in Person des regionalen Staatsvertreters (Recteur), Abiturienten zu unterstützen, die keinen Studienplatz finden.
Um den Studierenden weitere Erleichterungen zu ermöglichen werden zudem, wie von Premierminister Edouard Philippe Anfang November angekündigt, finanzielle Maßnahmen ergriffen. So werden ab dem Wintersemester 2018/19 alle Studienanfänger in die allgemeine Krankenversicherung überführt und sparen im Vergleich zum bisherigen Sondertarif 217 Euro im Jahr. Zum Wintersemester 2019/2020 wird die Maßnahme dann auf alle Studierenden ausgeweitet. Gleichzeitig wird zur Finanzierung von Sportangeboten oder studentischen Initiativen eine allgemeine Abgabe für studentisches Leben eingeführt. Studienbeihilfe-Empfänger sind davon ausgenommen. Die Regierung kalkuliert durch diese Maßnahmen mit einem Kaufkraft-Zuwachs von bis zu 100 Millionen Euro.
Neue Gesundheitszentren sollen eingerichtet werden. Sport- und Kulturaktivitäten der Universitäten sollen prinzipiell allen Studierenden offen stehen. Das unter dem ehemaligen Staatspräsidenten François Hollande eingeführte Gap-Year wird für Studierende weiterhin möglich sein.
Die Gesetzvorlage wurde von der größten Studierenden-Gewerkschaft UNEF sowie der Hochschullehrer-Gewerkschaft Snesup als „getarnte Selektion“ abgelehnt. Bisher konnten die Reformgegner jedoch nur wenige Studierende mobilisieren. Die französische Hochschulrektorenkonferenz CPU, die konservative Studierendengewerkschaft FAGE sowie zwei Gewerkschaften des Hochschulpersonals, SGEN-CFDT und SE-UNSA, unterstützen das Vorhaben prinzipiell.
Zum Nachlesen (Französisch):
- Elysée.fr: Compte-rendu du Conseil des ministres du mercredi 22 novembre 2017
- Le Monde (22.11.2017): Universités : le défi de la rentrée 2018
- Ministère de lʼEnseignement supérieur, de la Recherche et de l'Innovation (Communiqué 21.11.2017): Plan Étudiants - Parcoursup, la plateforme d'admission dans l'enseignement supérieur nouvelle formule
- EducPros.fr (28.11.2017): Parcoursup : les écoles et les prépas s'inquiètent de la nouvelle procédure
- Le Monde (22.11.2017): Les nouvelles règles d’entrée à l’université présentées en conseil des ministres